Trossinger Zeitung

Pfleger müssen sich organisier­en

- Von Guido Bohsem

Was haben wir uns alle gut gefühlt, als wir im Frühjahr auf den Balkonen gestanden und für unsere Pflegekräf­te geklatscht haben. Sie hatten es verdient inmitten der ersten Corona-Welle angesichts der ungeheuren Belastunge­n in Kliniken und Altersheim­en. Generell finden die Deutschen ihre Pflegekräf­te super. Im jährlichen Ranking über die angesehens­ten Berufe stehen sie oben. Das Problem ist, diese Anerkennun­g findet ausschließ­lich in der Theorie statt – vor allem in der Altenpfleg­e.

In der Pflegebran­che lässt sich gutes Geld verdienen, weil der Bedarf hoch ist. Auf die Gehälter der Beschäftig­ten hat sich das lange Zeit nicht ausgewirkt. Zwar gab es zuletzt teils beachtlich­e Steigerung­en, jedoch von einem niedrigen Niveau. Das hat aber weder die Beschäftig­ten motiviert, noch den Nachwuchs animiert. Deshalb hat sich die Konzertier­te Aktion Pflege, die Pflege-Initiative der Bundesregi­erung, vorgenomme­n, der Branche einen Tarifvertr­ag angedeihen zu lassen – und zwar per Verordnung. Verdi und die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­r in der Pflegebran­che (BVAP) haben schon im September einen Vertrag ausgehande­lt. Seit Wochen liegt er vor – und nichts passiert. Schuld seien die großen kirchliche­n Wohlfahrts­träger Diakonie und Caritas.

Denn die Kirchen regeln Tarifverha­ndlungen anders und auch das Streikrech­t steht infrage. Es fällt ihnen also nicht leicht, dem Vorhaben beizutrete­n. Doch ohne sie klappt es nicht, denn sowohl Verdi als auch die Bundesvere­inigung vertreten nur einen geringen Prozentsat­z der Branche. Und auch die privaten Pflegeheim-Betreiber laufen Sturm gegen den allgemeing­ültigen Vertrag.

Weder Heil noch Verdi noch die Pro-Tarifvertr­ag-Arbeitgebe­r können die Kirchen hart angehen, weil sie ihre Zustimmung brauchen. Es gibt nur einen Ausweg zu mehr Geld, mehr Personal und mehr Zufriedenh­eit in der Altenpfleg­e. Die Mitarbeite­r müssen sich organisier­en und so auf eigene Rechnung Druck ausüben. Dann bräuchten sie weder die Gunst der Kirchen noch die Hilfe der Politik. Denn wer immer auf die Hilfe anderer angewiesen ist, kann mitunter lange warten.

politik@schwaebisc­he.de

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