Bewundert und verhasst
Boris Johnsons umstrittener Chefberater Dominic Cummings gibt sein Amt auf
LONDON - Noch einmal dominierte er die Schlagzeilen. Diesmal aber handelten die seitenlangen Berichte der britischen Medien nicht von Dominic Cummings‘ Machtfülle als engsten Berater des Premierministers Boris Johnsons. Analysiert wurde am Freitag vielmehr die bevorstehende Amtsniederlegung des gleichermaßen bewunderten wie verhassten Cummings aus der Downing Street. Gemeinsam mit der Kündigung des bisherigen Kommunikationsdirektors Lee Cain signalisiert dies eine Neuorientierung der seit Monaten glücklos agierenden konservativen Regierung.
Ob der Rückzug des Duos fanatischer Antieuropäer einen Brexit-Deal leichter macht oder nun das leichtgewichtige Kabinett umgebildet wird, blieb unklar. Jedenfalls komme Cummings‘ Abgang keinen Moment zu früh, sagten viele Mitglieder der Tory-Fraktion, in der es zuletzt vernehmlich rumort hatte. Nicht nur aus Sicht altgedienter Abgeordneter stand der mächtige Berater allzu häufig in der Zeitung; für ihren Geschmack hatte sich auch die Verachtung des 48-Jährigen für Mandatsträger und parteipolitisch neutrale Berufsbeamte allzu sehr auf die Regierung übertragen. Kein Premierminister könne es sich leisten, „wenn ein einzelner Berater zur Dauerstory wird“, sagte der mächtige Ausschussvorsitzende Bernard Jenkin der BBC. „Niemand ist unverzichtbar.“
Dabei schien genau das im Mai noch so. Damals wurde bekannt, dass Johnsons Chefberater Cummings zu Beginn des Corona-Lockdowns Ende März gegen alle Anweisungen der Regierung verstoßen hatte. Nicht nur ging er trotz Covid-19-Symptomen ins Büro; anschließend fuhr er noch mit Frau und vierjährigem Sohn mehr als 400 Kilometer zum Anwesen seiner Eltern im nordenglischen Durham. „Ich habe nichts falsch gemacht“, lautete der Kernsatz des Historikers mit Abschluss an der Elite-Uni Oxford damals.
Dass Johnson ihn mit diesem Regelverstoß davonkommen ließ, verursachte einen eklatanten Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Hatten die Briten bis dahin die Regierung im Kampf gegen Sars-CoV-2 beinahe vorbehaltlos unterstützt, stürzten nun Sympathie- und Umfragewerte in den Keller. Mittlerweile liegt die Labour-Opposition unter Keir Starmer regelmäßig vor den Konservativen, Premier Johnson stufen die Briten mehrheitlich als inkompetent und unzuverlässig ein.
Offenbar hat Cummings das Schicksal vieler Politikstrategen ereilt, die erfolgreiche Kampagnen mit simplen Slogans führen können, sich aber für kompromissbereites Regierungshandeln
als ungeeignet erweisen. Mit beinharten Kampagnen machte er sich in EU-feindlichen Kreisen einen Namen, gab „die Unterminierung der Glaubwürdigkeit der BBC“als strategisches Ziel aus und amtierte für die Vote LeaveKampagne im Brexitreferendum 2016 als Chefstratege. Der Slogan „Die Kontrolle zurückgewinnen“, „take back control“, ging auf ihn zurück.
Quer durch die Brexit-Lager und Parteien – letztere hält der Historiker für ebenso überflüssig wie Beamte – sammelte Johnsons Chefideologe Feinde. Der frühere Premier David Cameron, in dessen Regierungszeit (2010 bis 2016) Cummings als Stabschef des heutigen Kabinettsbüroministers Michael Gove arbeitete, bezeichnete ihn als „Karriere-Psychopathen“. Sein Abgang gebe der Regierung Chance zu einem anderen Ton und besseren Umgangsformen, sagte Ausschusschef Jenkin: „In Zukunft sollten Respekt, Integrität und Vertrauen eine zentrale Rolle spielen.“