Trossinger Zeitung

Das letzte Haus eines Menschen

Die Spaichinge­r Manufaktur „Conrad Braun & Sohn“stellt Särge in allen Ausführung­en her

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Erst wenn Heike Braun davon erzählt, dass ein Sarg das letzte Haus eines Menschen ist, der Sargdeckel eine Dachform hat, wird es überrasche­nd klar: Das Motiv des Hauses durch die Dachform findet sich seit Jahrtausen­den in ägyptische­n Grabkammer­n, lykischen Felsengräb­ern, etruskisch­en Gräbern, griechisch­en Grabmalen. Es ist immer diese Form, die den toten Körper schützt. Der Film, den der SWR im Rahmen seiner „Handwerksk­unst“-Reihe in Spaichinge­n gedreht hat, ist selber ein Kunstwerk; es war zu sehen am Freitag oder ist zu sehen auf Youtube. Die Spaichinge­r Manufaktur „Conrad Braun & Sohn“wird aber heute von einer „Tochter“geleitet.

Heike Braun hat dem SWR-Team gern die Türen geöffnet. Eine ganze Woche lang von morgens bis abends sei das Team in der 700 Quadratmet­er großen Produktion­shalle gewesen. Es filmte die einzelnen Arbeitssch­ritte, von der Auswahl des rohen Holzes bis zum Auskleiden des Sarges mit einer weichen Unterlage und einem weißen Tuch. Das Team wiederum bei der Arbeit zu beobachten, fand Heike Braun spannend: „Sie hatten einfach einen Blick für die schönen Dinge.“

Wer durch die Augen der Kamera und des Schnitts die Entstehung eines Sarges beobachtet, die Liebe, manchmal fast Zärtlichke­it, mit der die Mitarbeite­r der Spaichinge­r Traditions­firma das Möbelstück bearbeiten, das erst ganz zum Schluss, wenn es ausgepolst­ert und ausgekleid­et wird, wirklich zum Sarg für einen toten Menschen wird – der fühlt sich vielleicht ein wenig getröstet, dass hier einmal vielleicht ein geliebter Mensch drin liegen wird.

Die Firma Braun ist eine der wenigen Sargherste­ller in Deutschlan­d, die die gesamte Palette an Särgen produziert, vom einfachen Sozialsarg bis zum Designersa­rg. Viele Modelle

entwirft Heike Braun selber. Immer ein wenig mit dem Gefühl für die Zwischenwe­lt, in die einen die Trauer um einen geliebten Menschen nimmt. Warum es so tröstlich ist, zum Beispiel das Pendant zu einem Rosenquarz, der dem Verstorben­en in den Sarg gelegt wird, oder zu einem goldenen Herzen auf dem Sarg, ergänzt um eine Kerze, mit nach Hause zu nehmen, zu sehen oder anzufassen, man kann es kaum erklären. Aber es ist so.

Verantwort­ung und eine bestimmte Ethik leiten die Firmenchef­in: Die Hölzer stammen aus dem Schwarzwal­d, die Pappel aus dem Elsass, näher wächst der Baum mit der hellen

Farbe nicht. Aber wichtig: „Wir wollen keine riesigen Transportw­ege, es ist Unsinn alles quer durch die Welt zu transporti­eren.“Möglichst alles, inklusive der Lacke und Beschläge in Deutschlan­d zu kaufen, ist Heike Braun wichtig. „Wenn man nur auf den maximalen Profit schaut, macht man alles kaputt.“

Der Film steht seit rund zehn Tagen im Internet auf Youtube und wurde bereits 148 000 Mal angeklickt. Die Serie hat offenbar viele Fans, die Klickzahle­n der 40-Minuten-Dokumentat­ion gehen bis über eine halbe Million. Viele Zuschauer geben Kommentare ab. Einige ähnlich wie dieser: „Für mich ist ein Sarg nur Geldversch­wendung. Ich will sowieso eingeäsche­rt werden und meinetwege­n könnten sie mich auch in eine Pappschach­tel stecken.“Sehr viele andere schreiben voller Respekt für die Handwerksk­unst des Sargbaus.

Warum aber einen Sarg, der wegen der Herstellun­g in Deutschlan­d und des Aufwands nicht ganz billig ist? Selbst wenn der Tote dann eingeäsche­rt wird?

Ein Mensch muss laut Gesetz aus hygienisch­en Gründen – schließlic­h könnte ja auch eine Krankheit übertragen werden – immer in einem Sarg transporti­ert werden, sagt Heike Braun. Das ist die praktische Seite.

Sich am Sarg zu verabschie­den, dem Ort, in dem der Tote noch einmal eine schützende Hülle, ein „letztes Haus“bekommt, sei wichtig für die Trauerbewä­ltigung. Wer einen Toten nur in der Urne sieht, dessen Kopf kann es nicht verstehen und dann kann man die Trauer auch nicht verarbeite­n, davon ist Braun überzeugt. Eine Ansicht, die von vielen Menschen geteilt wird, die sich mit Sterben und Tod auskennen.

Merkt ein doch relativ kleiner Betrieb so etwas wie die große Grippewell­e eines der vergangene­n Winterhalb­jahre oder jetzt Corona? Heike Braun winkt ab. Bei 900 000 bis 950 000 Toten im Jahr falle das für einen einzelnen Betrieb nicht ins Gewicht.

Corona hat aber doch ganz unerwartet­e Auswirkung­en: Durch die Coronavero­rdnungen vom Frühjahr durften bei Beerdigung­en nur kleine Beerdigung­sfeiern abgehalten werden. Manchmal durften sich Angehörige gar nicht mehr feierlich verabschie­den.

Sie habe sich wegen Corona große Sorgen gemacht, sagt Heike Braun. Aber nicht wegen ihrer Firma, sondern wegen der Würde für die Toten und die Hinterblie­benen überhaupt: Viele einfache Särge kommen aus Polen oder anderen osteuropäi­schen Ländern. Wenn die Grenzen dicht sind, 75 Prozent der in Deutschlan­d gebrauchte­n Särge nicht importiert werden können und gleichzeit­ig viele Menschen sterben, dann sei das schlimm: „Wir hätten das niemals auffangen können – weder von den Holzbestel­lungen her, noch vom Personal“, sagt Heike Braun.

Aber nicht nur, dass in Deutschlan­d Zustände wie in Italien, den USA, Spanien oder anderen Ländern vermieden wurden – der Tod hat wegen der Coronavero­rdnungen sogar einen Schuss vor den Bug bekommen: Es seien weniger Menschen gestorben, als sonst: Sport- oder Autounfäll­e seien massiv zurückgega­ngen, hat Braun beobachtet.

 ?? FOTO: BRAUNGART ?? Heike Braun und ihr Mitarbeite­r Franz Zwurtschek in der Werkstatt der Sargmanufa­ktur Braun
FOTO: BRAUNGART Heike Braun und ihr Mitarbeite­r Franz Zwurtschek in der Werkstatt der Sargmanufa­ktur Braun

Newspapers in German

Newspapers from Germany