Trossinger Zeitung

Als die Pixel laufen lernten

Mit „Toy Story“begann vor 25 Jahren der Erfolg der computeran­imierten Filme

- Von Alexander Matzkeit

FRANKFURT (epd) - Zwei Spielzeugf­iguren, Cowboy Woody und Astronaut Buzz Lightyear, werden von Rivalen zu Freunden: So einfach ist die Geschichte von „Toy Story“. Der Film war ein Riesenerfo­lg – und ein Vorbote der Digitalisi­erung einer Branche. Es war der erste Film, der komplett am Computer erzeugt wurde: Vor 25 Jahren kam „Toy Story“in die Kinos. Er wurde ein Riesenerfo­lg. Mit seinen drei Fortsetzun­gen, die letzte lief erst 2019 über die Leinwände, hat „Toy Story“inzwischen weltweit 2,6 Milliarden Euro nur an den Kinokassen umgesetzt.

Vor allem aber setzte er technisch neue Maßstäbe. „,Toy Story’ war das Ankommen der Computergr­afik in der kommerziel­len Filmlandsc­haft“, erklärt Ulrich Wegenast, Künstleris­cher Leiter des Internatio­nalen Trickfilmf­estivals in Stuttgart. „Alles, was davor kam, waren nur Experiment­e.“

Beinahe hätte es den Film gar nicht gegeben. Als die Macher ihr Werk in einem frühen Stadium erstmals einem Testpublik­um zeigten, fiel er bei den Zuschauern durch. Finanzier Disney stand kurz davor, das komplette Projekt einzustamp­fen. Dabei war das Studio selbst schuld. Disney-Animations­chef Jeffrey Katzenberg hatte Regisseur John Lasseter und sein Team so lange gedrängt, die Geschichte um lebendiges Spielzeug mit sarkastisc­hen Sprüchen hip und cool zu machen, bis keiner mehr die Charaktere leiden konnte.

Nach dem Desaster bei der Testvorfüh­rung blieben dem Pixar-Team nur zwei Wochen, um „Toy Story“mit Drehbuchän­derungen das Herz zurückzuge­ben und sich ihre kreative Freiheit zurückzuer­obern – so zumindest lautet heute die Legende.

Lasseter, dem 2017 im Zuge der #MeToo-Bewegung zahlreiche Kolleginne­n sexuelle Belästigun­gen vorwarfen, hatte Disney 1983 als Animator verlassen, um für Pixar zu arbeiten. Damals war die Firma noch die Forschungs­abteilung für Computergr­afik von Star-Wars-Regisseur George Lucas.

„,Toy Story’ war das Ankommen der Computergr­afik in der kommerziel­len Filmlandsc­haft.“

Ulrich Wegenast, Künstleris­cher Leiter des Internatio­nalen Trickfilmf­estivals in Stuttgart.

Die digitalen Kurzfilme aus Lasseters Team begeistert­en in den frühen 80er-Jahren vor allem die Welt der Technik-Nerds. Mit dem Fünfminüte­r „Tin Toy“gewann dann aber 1988 auch erstmals ein Werk aus dem Hause Pixar den Oscar für den besten animierten Kurzfilm. Lasseter hatte seine Bestätigun­g, dass Computerbi­lder auch eine Seele haben können.

Aus „Tin Toy“entstand die Idee, einen längeren Film über lebendige Spielzeuge zu machen – und dabei die Schwächen des Rechners, in dessen Bildern alles ein bisschen wie Plastik aussieht, in Stärken zu verwandeln. Tom Hanks und Tim Allen liehen den beiden Hauptfigur­en im Original ihre Stimmen.

„Toy Story“sorgte nicht nur dafür, dass ab den 2000er-Jahren fast jeder Film aus dem Computer kam, sondern auch dafür, dass jeder ein Stück vom Kuchen abhaben wollte. Gerade in Europa kam es zu einem regelrecht­en Wettrüsten in der Produktion. Jeder wollte zeigen: Wir können das auch.

Der Film habe die Animations­branche verändert, sagt Wegenast: „Eine Weile war es unmöglich, überhaupt noch zweidimens­ional animierte Filme zu machen.“Erst in den vergangene­n fünf bis zehn Jahren habe sich die Lage ein wenig beruhigt, erklärt Wegenast: „Der Effekt von 3D-Computergr­afik hat sich abgenutzt. Heute suchen wir oft händeringe­nd Menschen, die noch in 2-D arbeiten können.“Der Computer ist dennoch aus der Animation nicht mehr wegzudenke­n. Selbst zweidimens­ional aussehende Filme sind häufig Hybride, in denen beispielsw­eise die Hintergrün­de dreidimens­ional sind.

In den vielen 3-D-Animations­filmen, die auf dem „Toy Story“-Trittbrett mitfuhren, konnte Jeffrey Katzenberg dann übrigens auch seinen fieseren Humor unterbring­en. Er verließ Disney und bescherte der Welt mit seinem neuen Studio DreamWorks Hits wie „Shrek“und Flops wie „Große Haie, kleine Fische“. Insgesamt

sorgte der neue Boom des Trickfilms für eine Bandbreite, wie man sie seit den 70er- Jahren nicht mehr gesehen hatte. Filme wie Wes Andersons „Der fantastisc­he Mister Fox“oder Ari Folmans „Waltz with Bashir“wären ohne ihn schwer denkbar.

Pixar, seit 2006 für einen Kaufpreis von 7,4 Milliarden Dollar fester Teil des Disney-Imperiums, gelangen im Kielwasser des Erfolgs von „Toy Story“eine Reihe von außergewöh­nlichen Hits wie „Findet Nemo“und „Oben“, der 2009 sogar die Filmfestsp­iele von Cannes eröffnete. Selbst als sich das Studio in den 2010er Jahren immer mehr auf Fortsetzun­gen verlegte, bemühte es sich, seinen Ruf als Schmiede außergewöh­nlicher Geschichte­n zumindest gelegentli­ch mit Filmen wie „Alles steht Kopf“oder „Coco“zu erhalten.

Und die Digitalisi­erung, die „Toy Story“in der Produktion von Trickfilme­n ankündigte, überrollte die Filmbranch­e schließlic­h auch in der Distributi­on. Der neueste Pixar-Film „Soul“über einen Jazzmusike­r, der sich im Leben nach dem Tod zurechtfin­den muss, kommt gar nicht mehr ins Kino. Er startet zu Weihnachte­n exklusiv auf dem Streamingd­ienst Disney Plus.

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FOTO: MARY EVANS ARCHIVE/PIXAR/IMAGO IMAGES Die Spielzeugk­iste wird zum Leben erweckt – per Computeran­imation: Bo Peep, Mr. Potato Head, Woody, Buzz Lightyear, Slinky Dog und Rex.
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FOTOS (2) : PAUL FENTON/MARY EVANS ARCHIVE/PIXAR/IMAGO IMAGES John Lasseter (links) versuchte, den Computeran­imationen mehr Leben einzuhauch­en. Mit „Toy Story“hatte er Erfolg. Doch ohne menschlich­e Vorbilder geht es nicht, wie der Blick über die Schulter des Mitarbeite­rs der Pixar Studios zeigt.
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