Sterben in Corona-Zeiten
Das Abschiednehmen gestaltet sich schwierig – Klinik setzt auf individuelle Absprachen
TUTTLINGEN - Was gehört zu einem würdevollen Tod? Ein würdevoller Abschied. Für den, der gehen muss, wie auch für diejenigen, die zurückbleiben. Doch die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass aus Sterben mit Anstand zeitweise Sterben mit Abstand wurde.
Im Tuttlinger Klinikum sind zwischen April und Anfang November 220 Menschen gestorben, davon 15 bestätigt Corona-infizierte Menschen. Zu Beginn der Pandemie war es im Krankenhaus generell nicht möglich, Angehörige zu besuchen, teilt das Klinikum auf Anfrage mit. Der Kontakt konnte lediglich über das Telefon und später auch über Tablets stattfinden, die das Klinikum extra angeschafft hat, damit Patienten Videoanrufe machen können. Todkranke Menschen, die auf diesem Wege nicht mehr kommunizieren konnten, blieb diese Möglichkeit verwehrt. Den Angehörigen auch.
„Wir sind jetzt besser auf die Situation eingestellt“, gibt Aline Riedmüller, Pressesprecherin des Klinikums, Auskunft. Hygienekonzepte seien etabliert und eingeübt worden, mittlerweile stünde ausreichend Schutzkleidung zur Verfügung. „Gegebenenfalls können wir auch auf Schnelltests zurückgreifen“, so Riedmüller. Dadurch ist auch die Begleitung Sterbender und das Abschiednehmen möglich. Doch es braucht individuelle Regelungen durch eine Absprache zwischen Angehörigen, der Pflege auf der Station und den behandelnden Ärzten. Denn seit 22. Oktober und den erneut steigenden Corona-Zahlen herrscht wieder ein generelles Besuchsverbot in den beiden Klinikstandorten Tuttlingen und Spaichingen.
Die Hospizgruppe Tuttlingen begleitet Schwerstkranke und Sterbende „für ein würdevolles Leben bis zuletzt“, heißt es auf ihrer Homepage. „Mit Ausbruch der Pandemie war damit erst mal Schluss“, sagt Andreas Honold von der Hospizgruppe.
Rund zwei Drittel der ehrenamtlichen Begleiter gehört aufgrund Alter und Krankengeschichte zum gefährdeten Kreis mit Blick auf Corona. Honold: Wir wollten niemanden einem Risiko aussetzen. Deshalb haben wir zwischen April und Juni zunächst keine Begleitungen mehr gemacht.“
Mit den Lockerungen der Kontaktsperren und der Bereitschaft der meisten Begleiter, wieder tätig sein zu wollen, wurde die Arbeit im Sommer wieder aufgenommen. Auch in der Annahme, „dass eine Anrufwelle auf uns zukommt“. Doch das Gegenteil
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sei der Fall gewesen.
Pro Jahr begleitet die Gruppe zwischen 30 und 35 Menschen auf ihrem letzten Lebensweg. In diesem Jahr könne man die Anzahl praktisch an einer Hand ablesen, seit Juni seien es lediglich zwei bis drei gewesen. Vor allem in den Altenheimen seien die Hospiz-Begleiter oft tätig gewesen. „Da kam aber zuletzt so gut wie gar nichts“, so Honold. Dagegen ist der Kontakt mit Menschen, die die Gruppe schon länger begleitet, wieder weitergegangen. Auch diese Kontakte waren unterbrochen. Honold: „Für uns war es schon ein bedrückendes Gefühl, dass wir dort nicht mehr hingehen konnten.“
In den Tuttlinger Pflegeheimen St. Anna und dem Bürgerheim, die beide in Trägerschaft der Stiftung Sankt Franziskus sind, wäre ein Einsatz der Hospizgruppe grundsätzlich möglich, wie Bereichsleiter Manuel Jahnel sagt. Dabei müssten die Begleiter eine Schutzkleidung tragen, so wie andere Externe auch, zum Beispiel Physiotherapeuten. Jahnel: „Es gab seit dem Corona-Ausbruch bei uns aber keinen Fall, in dem wir die Gruppe hinzugerufen haben.“Entweder hätten Angehörige den Sterbeprozess begleitet oder Mitarbeiter konnten dabei sein. Manchmal trete der Tod auch plötzlich und ohne Vorwarnung ein.
Wie viele Angehörige bei dem Prozess des Abschiedsnehmens zugelassen sind, wird jeweils individuell geregelt – und immer mit Blick auf die geltenden Hygieneregeln. Meistens seien es ein bis zwei enge Bezugspersonen, die diesen Weg mit den Sterbenden gehen. Bei größeren
Familieneinheiten versucht die Heimleitung, eine Art „rollierendes System“zu etablieren, sodass die Angehörigen abwechselnd dabei sein können.
Eine pauschale Zahl, wie viele Angehörige bei dem Prozess des Abschiednehmens zugelassen sind, gibt es auch im Klinikum nicht. „Das muss individuell besprochen werden“, erklärt Riedmüller. Berücksichtigt würden dabei neben dem
Willen des Betroffenen auch medizinische Aspekte, die sich zum Beispiel aus infektiösen Erkrankungen wie Corona heraus ergeben. Ebenso spielen räumliche Gegebenheiten eine Rolle, besonders auf der Intensivstation. Das Klinikum stellt aber fest: „Die derzeitige Situation erlaubt es uns noch, eine Sterbebegleitung zu ermöglichen.“Alles weitere hängt von der Entwicklung der CoronaZahlen ab.