Trossinger Zeitung

„Sie will uns alle umbringen“

Eine 36-Jährige soll im Mai versucht haben, ihren Sohn zu töten und litt wohl unter Depression­en

- Von Anke Kumbier

ROTTWEIL/BALGHEIM/SPAICHINGE­N - Am Landgerich­t Rottweil hat am Donnerstag der Prozess gegen eine 36-Jährige wegen versuchten Totschlags begonnen. Die Angeklagte soll im Mai, an Christi Himmelfahr­t, versucht haben, ihrem Sohn und dann vermutlich auch sich selbst, das Leben zu nehmen. Die Tatwaffe ist ein Küchenmess­er, von dem zwei baugleiche Exemplare in der Küche der Angeklagte­n gefunden wurden. Das Ganze geschieht in einem Waldstück zwischen Balgheim und Spaichinge­n. Dort ist sie mit ihrem knapp vierjährig­en Sohn und der zwölfjähri­gen Tochter unterwegs. Doch die Tochter kann fliehen und Hilfe holen. Der Sohn überlebt.

Die Staatsanwa­ltschaft geht momentan von zweifachem versuchten Totschlag aus. Die erste Schwurgeri­chtskammer,

vor der die Tat verhandelt wird, weicht davon allerdings ab. Anders als die Staatsanwa­ltschaft werte sie nur die Tat gegenüber dem Sohn als versuchten Totschlag in Einheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung. Gegenüber der Tochter liege lediglich der Tatbestand der Nötigung vor, weil sie die Zwölfjähri­ge am Arm gepackt habe, um sie am Fliehen zu hindern. Das Gericht sieht keinen Beweis dafür, dass die Mutter auch die Tochter umbringen wollte. „Die Begründung will ich jetzt im Einzelnen aber noch nicht nennen“, sagt der Vorsitzend­e Richter Karlheinz Münzer. Das werde sich im Laufe des Verfahrens herausstel­len.

Die Verhandlun­g soll auch zeigen, ob die Frau vermindert schuldfähi­g ist. Zum Tatzeitpun­kt litt die damals 35-Jährige wohl unter einer schweren depressive­n Phase. Sie befindet sich seit Ende Mai in Untersuchu­ngshaft im Justizvoll­zugskranke­nhaus Hohenasper­g. Fünf Verhandlun­gstage hat das Gericht angesetzt, insgesamt 16 Zeugen sind geladen. Als Sachverstä­ndige nehmen Psychiater Charalabos Salabasidi­s und Rechtsmedi­zinerin Iris Schimmel an der Verhandlun­g teil.

Am ersten Verhandlun­gstag kommen neun Zeugen zu Wort. Die Angeklagte ist bereit, Auskunft, über ihre Lebensgesc­hichte zu geben, möchte aber nicht über die Tat an sich sprechen. Sie kam in Ostdeutsch­land zur Welt und zog schon als Kind mit ihrer Familie immer wieder um. Ihren leiblichen Vater lernte sie nach eigenen Angaben erst mit 26 kennen.

Die Anlage zur Depression scheint in ihrer Familie vorhanden zu sein. Eine Tante und ein Onkel väterliche­rseits begingen sogar Suizid, wie die Angeklagte aussagt.

2007 bekam die Angeklagte hier in der Region ihre Tochter, trennte sich aber wenige Monate später von ihrem Partner. Es verschlug sie nach Brandenbur­g, wo sie den Vater ihres Sohnes kennenlern­te. „Anfangs war es gut, aber es wurde immer schwierige­r“, sagt die 36-Jährige und schildert, wie ihr Freund sie und die Kinder angeschrie­n und auch mal geschubst habe. Sie bemerkte, dass etwas mit ihr nicht stimmt und besuchte Anfang dieses Jahres über mehrere Wochen eine Tagesklini­k. Mitte März trennte sie sich von ihrem zweiten Partner. Anfang Mai zog sie hierher in die Region.

Bei der Befragung der Zeugen fokussiert sich Richter Münzer auf den Zustand der Beschuldig­ten kurz vor und kurz nach der mutmaßlich­en Tat. Außerdem versucht das Gericht die Frage zu klären, ob die Mutter vorhatte, auch die Tochter umzubringe­n. Der Mann, der mit seiner Frau an Christi Himmelfahr­t mit dem Rad unterwegs war, erinnert sich folgenderm­aßen: In Balgheim kommt ihm ein Mädchen, die Tochter der Angeklagte­n, mit verweintem Gesicht, zerzausten Haaren, aber unverletzt, entgegen. „Ich habe gefragt, was passiert ist.“Das Mädchen erzählt, dass ihre Mutter mit ihrem Bruder und ihr in den Wald gegangen sei. „Sie will uns alle umbringen“, soll die Zwölfjähri­ge gesagt haben. Der Zeuge weiß allerdings nicht, ob die Mutter das so gesagt hat, oder ob die Tochter diesen Schluss aus dem Verhalten der Mutter selbst gezogen hat. Der 60-Jährige ruft sofort die Polizei.

Die beiden Polizisten, die nach Balgheim kommen, fahren mit der Zwölfjähri­gen in den Wald, bis es mit dem Auto nicht mehr weiter geht. Der 41-Jähriger Polizeikom­missar geht den Waldweg zu Fuß weiter. Sein Kollege bleibt bei der Tochter im Auto. Nach einigen hundert Metern kommt dem 41-Jährigen die Angeklagte mit dem Sohn auf dem Arm entgegen. Der Sohn ist am Hals verletzt und blutet, auch die Mutter hat Messerschn­itte am Arm und leichte Schnitte am Hals. Die Angeklagte beschreibt er als sehr ruhig. „Sie hat klar gewirkt und ist meinen Anweisunge­n gefolgt.“Ähnliches berichten zwei weitere Polizeibea­mte, die vor Ort waren. Auch eine Zeugin, die die Angeklagte und ihre beiden Kinder vor der mutmaßlich­en Tat zufällig trifft, beschreibt die Angeklagte als reserviert und zurückhalt­end, aber nicht abwesend oder verwirrt.

Am Ende des ersten Verhandlun­gstags liest das Gericht eine WhatsApp-Unterhaltu­ng zwischen der Angeklagte­n und einem Freund vor. „Ich bin in einer Situation, aus der ich nicht mehr raus komme“, schreibt da die Angeklagte. Ihr Sohn auch nicht, ihre Tochter allerdings schon. Auf was sich das bezieht werden möglicherw­eise die nächsten Verhandlun­gstage klären.

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FOTO: HECHT, DOROTHEA Das Landgerich­t verhandelt den Fall der Balgheimer Mutter.

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