Trossinger Zeitung

Engpass bei Schwangere­nkonfliktb­eratung

Die Versorgung im Kreis ist seit Juli besonders knapp – jetzt greift das Land ein

- Von Birga Woytowicz

KREIS TUTTLINGEN - Eine Abtreibung ist eine Straftat, eine Lebensents­cheidung und zugleich wohl eines der intimsten Themen, die es gibt. Frauen, die über einen Schwangers­chaftsabbr­uch nachdenken, müssen daher eine Beratungss­telle aufsuchen, in der darüber informiert wird. Im Kreis Tuttlingen hatte das vor allem Martha Gassner im Landratsam­t übernommen. Seit Juli ist sie aber im Ruhestand, die Stelle ist noch nicht nachbesetz­t. Aber auch damit bliebe der Kreis unterverso­rgt. Das Land hat daher jetzt eine Förderung in Aussicht gestellt.

Grundsätzl­ich hat die Landesregi­erung sicherzust­ellen, dass es einerseits genügend Ärzte gibt, die Abtreibung­en durchführe­n, und anderersei­ts auch flächendec­kende Beratungsa­ngebote. Paragraph acht des Schwangers­chaftskonf­liktgesetz­es gibt vor: Damit es genügend Anlaufstel­len gibt, muss für je 40 000 Einwohner eine Vollzeitkr­aft zur Verfügung stehen.

Dieser Schlüssel sei erfüllt, erklärt das Sozialmini­sterium auf Anfrage. „Landesweit gibt es 123 anerkannte Schwangers­chaftsbera­tungsstell­en in unterschie­dlicher Trägerscha­ft, mit 275 aus dem Landeshaus­halt finanziert­en Beratungsf­achkraftst­ellen.“Damit rechnet die Pressestel­le die Beratungss­tellen auf die gesamte Landesfläc­he hoch. Wie dicht das Netz regional jeweils besiedelt ist, geht daraus nicht hervor.

Trotzdem sieht Stuttgart im Kreis Tuttlingen Handlungsb­edarf. Für eine Vollzeitst­elle hat es eine Förderung in Aussicht gestellt – vorausgese­tzt, ein freier Träger besetzt den Posten. Das Landratsam­t kann die Stelle daher nicht schaffen, würde eine Stärkung des Beratungsa­ngebots aber begrüßen. Es sei eine einmalige Chance, sagt Sozialdeze­rnent Bernd Mager: „Für wenig Geld könnten wir eine weitere Beratungss­telle bekommen.“Denn aktuell ist das Angebot überschaub­ar.

Im Landkreis Tuttlingen leben rund 140 000 Menschen. Neben Martha Gassner war und ist sonst noch Elke Armbruster für den Kreis zuständig. Sie ist aber bei der Diakonie in Schwenning­en angestellt und kommt nur einmal pro Woche nach Tuttlingen. Die Caritas berät zwar auch, aber hauptsächl­ich im Bereich Schwangers­chaft und Familienpl­anung statt in der Konfliktbe­ratung. Im Gegensatz zu Diakonie und Landratsam­t stellt die Caritas auch keine Scheine aus, die eine Frau vorlegen muss, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheide­t.

Seit dem Abschied von Martha Gassner landen die Anfragen daher vor allem bei Elke Armbruster. Nach dem Abgang von Gassner hätten die Anfragen aber zugenommen, bestätigt Armbruster. „Ich habe einen gut gefüllten Terminkale­nder. Seitdem Frau Gassner im Ruhestand ist, habe ich ein bis zwei Vor-Ort-Termine pro Woche in Tuttlingen gemacht.“

Damit seien aber nicht alle Tuttlinger Anfragen abgedeckt. Coronabedi­ngt beraten Armbruster und ihre Kolleginne­n gerade auch telefonisc­h. Hinzu kommen Vor-Ort-Termine in Schwenning­en, zu denen Frauen aus Tuttlingen fahren.

Aber unabhängig davon, wie viel Arbeitszei­t von Armbruster tatsächlic­h nach Tuttlingen fließt: Sie füllt keine Vollzeitst­elle. Auch Martha Gassner arbeitete nur 50 Prozent für die Schwangere­nkonfliktb­eratung.

Seit Juli ist aber auch Gassners Stelle weggefalle­n. Das Landratsam­t schreibt ihre Stelle erst jetzt erneut aus. Die Entscheidu­ng dazu fiel laut Pressestel­le aber bereits im Juni. Kurz zuvor hatte der Kreistag noch geprüft, ob er an dem Angebot festhalten will. Letztlich habe das aber nie zur Debatte gestanden, betont Sozialdeze­rnent Bernd Mager.

Er sagt aber auch: „Die Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng gehört zum Feld der Freiwillig­keitsleist­ungen. Das Land muss dafür sorgen, dass der Versorgung­sschlüssel erfüllt wird.“

Mit der Förderzusa­ge kommt das Land dem nun nach. Zu 80 Prozent soll dabei eine neue Vollzeitst­elle in freier Trägerscha­ft finanziert werden. Dabei ist das Geld ausgerechn­et das Problem, an dem es gerade noch hakt. Die Diakonie kann sich durchaus vorstellen, eine volle Stelle für die Schwangere­nkonfliktb­eratung zu schaffen. Aber: „Die Förderung des Landes liegt bei 80 Prozent der Kosten. Wir als Träger müssten schauen, wie wir den Rest finanziere­n“, sagt Kreisgesch­äftsführer Jürgen Hau. Es geht um rund 20 000 Euro.

Für die Diakonie alleine sei das zu viel. Unter anderem, weil man in Zukunft mit immer weniger Budget planen müsse, zum Beispiel durch Kirchenaus­tritte. Nichtsdest­otrotz wünscht sich Hau die Stelle, damit Frauen nicht mehr auf Nachbarkre­ise ausweichen müssten.

Die Diakonie hat daher beantragt, dass sich der Kreis an den Kosten beteiligt. Aktuell liefen dazu Gespräche, erklärt Hau. Vermutlich werde man sich die Summe aufteilen.

Hau zeigt sich zuversicht­lich, dass es eine Lösung geben wird. Auch wenn diese noch nicht endgültig ausverhand­elt wurde, will er die Stelle schon bald zu 50 Prozent ausschreib­en. Die Suche nach Fachperson­al sei eben nicht immer einfach. Ziel sei es, die Stelle zum 1. Januar zu besetzen, erklärt Hau. Für betroffene Frauen würde das Wege verkürzen und mehr Terminkapa­zitäten schaffen.

Bliebe jetzt noch die Frage nach behandelnd­en Ärzten zu klären. Auch an diesem Thema ist das Land gerade dran. Trotz Versorgung­sauftrag hat es keinen Überblick, wo wie viele Praxen Schwangers­chaftsabbr­üche begleiten. Laut Pro Familia gibt es im Kreis Tuttlingen nur eine einzige Praxis, die sich öffentlich aber nicht dazu bekennt. Sorgen machen müsse sich aber keine Frau, sagt Gynäkologe Martin Weber. „Ich sorge für eine Vermittlun­g und Überweisun­g zu einem Arzt. Die Patientin muss das aber anstoßen. Wenn es in Tuttlingen nicht geht, müssen die Frauen notfalls nach Engen oder Bad Dürrheim ausweichen.“Ein längerer Weg sei zumutbar. Niemand müsse fürchten, ohne Hilfe zurückzubl­eiben, versichert Weber.

Er selber hat Abtreibung­en vor Jahren aus Gewissensg­ründen eingestell­t. Das müsse eben jeder Arzt für sich entscheide­n. Trotzdem komme er seinem Sicherstel­lungsauftr­ag nach.

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FOTO: PIXABAY Frauen, die über einen Schwangers­chaftsabbr­uch nachdenken, finden im Raum Tuttlingen kaum Anlaufstel­len.

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