Gerüchte über den Kranken im Kreml
In Russland gibt es Spekulationen über den Gesundheitszustand des Präsidenten Wladimir Putin
MOSKAU - In Moskau gibt es Gerüchte über den Gesundheitszustand Wladimir Putins. Demnach soll der russische Präsident schwer krank sein und im Januar zurücktreten. Putin aber wirkte bei seinen vergangenen Auftritten topfit.
Roman Rotenberg, der Sohn von Putins altem Judo-Trainingsgefährten Boris Rotenberg, spielte für die „Weißen“. Der Wirtschaftsmagnat Wladimir Potanin und EishockeyWeltstar Alexander Owetschkin spielten für die „Roten“. Nur Wladimir Putin fehlte, als am Samstag in einem Eisstadion bei Moskau berühmte Profis und kremlnahe Prominenz die Saison der „Nächtlichen HockeyLiga“startete. Der russische Präsident hatte nur ein Grußwort gesandt, Potanin verlas es. Die Promi-Liga gilt als Lieblingsereignis’ Putins, seit 2011 jagt er hier selbst den Puck. Dieses Jahr aber hat der begeisterte Sportler noch bei keiner der Hockey-Galas mitgespielt.
Es sind Ereignisse wie diese, die seit Wochen Spekulationen über den Gesundheitszustand des 68-jährigen anheizen. Einige Gerüchte sagen sogar einen baldigen Rücktritt Putins voraus. Der liberale Fernsehkanal TV Doschd berichtete Mitte November von einem Hustenanfall, nachdem Putin sich bei einer Videokonferenz mehrfach stark geräuspert hatte. Und eine Moskauer Masseurin, die auch Parlamentarierinnen durchknetet, erzählt ihren Kunden, in der Staatsduma erwarte man „gewaltige Veränderungen“zu Beginn des Jahres. Hauptquelle der Gerüchte ist der Historiker Waleri Solowej, ein erklärter Regierungskritiker, der sich trotzdem enger Kontakte zum Kreml rühmt. Er verkündete schon im Mai in einem Interview, Putin werde bald zu einem Rücktritt gezwungen sein, weil er Medikamente mit starken Nebenwirkungen einnehme. Im Oktober schob er nach, russische Wissenschaftler arbeiteten fieberhaft an der Entwicklung eines Antikrebsmittels für den Staatschef. Dem britischen Boulevardblatt „Sun“versicherte er im November, Putin leide an Parkinson und werde im Januar auf Druck seiner Töchter und seiner mutmaßlichen Lebensgefährtin Alina Kabajewa in Rente gehen.
Kremlsprecher Dmitri Peskow allerdings bezeichnete alle Spekulationen
als Unsinn, der Präsident besitze eine ausgezeichnete Gesundheit. „Es gibt keinerlei Anlass für einen Rücktritt aus Gesundheitsgründen“, sagt der kremlnahe Politologe Alexei Muchin der „Schwäbischen Zeitung“. „Sicher ist Putins Gesundheit in diesem Alter nicht mehr ideal. Aber er wird medizinisch bestens betreut.“Am Dienstag schlenderte Putin gewohnt lässig vor den Kameras umher, als er staatliche TV-Journalisten durch seinen Landsitz Nowo-Ogarjowa bei Moskau führte. In einem spartanisch möblierten Erholungsraum gab er ein wortreiches Interview. Dabei sah der Präsident weder krank aus noch wie ein Greis. Allerdings scheint Putin immer mehr Zeit in Nowo-Ogarjowo und vor allem in seiner Sommerresidenz in Sotschi zu verbringen. Im Kreml taucht er nur noch selten auf. Kritische Politologen erklären das ebenso wie seinen Verzicht auf die Eishockey-Auftritte mit Putins Angst vor Covid-19. Aber Anfang des Monats versammelte der Präsident zum Tag der Volkseinheit auf dem Roten Platz zwei Dutzend uniformierter Jugendlicher und Journalisten um sich, Masken trug niemand. Und die Neigung zum Homeoffice im sonnigen Süden erklärte der Blogger Oleg Kaschin schon 2016 mit Putins bekannter Sorge um die eigene Gesundheit.
Aber der Präsident verliert offenbar langsam nicht nur die Lust am Eishockey. Auch politisch manövriert er nicht mehr so entschlossen und flexibel wie früher. Auf die Pandemie reagierte Putin nach Ansicht vieler Beobachter mit ähnlichem Desinteresse wie auf den Ausbruch des Karabach-Krieges. Und in Belarus unterstützt er bisher stur den brutalen Kurs seines Kollegen Alexander Lukaschenko. Die Möglichkeit, den exzentrischen Gewaltherrscher zu entmachten und damit die protestierenden Weißrussen für sich zu begeistern und sein Image im Westen aufzubessern, nutzte er nicht.
Der liberale Politologe Juri Korgonjuk glaubt, dass Putin die Macht noch lange nicht hergeben wird. „Das ist eine Maschine ohne Rückwärtsgang.“Der russische Präsident drohe im Amt zu vergreisen wie einst die sowjetischen Generalsekretäre Leonid Breschnew oder Juri Andropow. „Sie haben sich an ihre Posten geklammert, bis sie das Bewusstsein verloren haben.“