Trossinger Zeitung

Die meisten muslimisch­en Toten werden überführt

Muslimisch­es Gräberfeld in Spaichinge­n hat bislang nur sechs Gräber

- Von Frank Czilwa

SPAICHINGE­N - In der NordwestEc­ke des Spaichinge­r Friedhofs befindet sich ein kleines muslimisch­es Gräberfeld. Bisher sind hier aber nur ganz wenige Menschen bestattet worden. Aber das hat durchaus seine Gründe.

Der November ist mit Allerseele­n, Totensonnt­ag und dem Volkstraue­rtag in Deutschlan­d der traditione­lle Monat des Totengeden­kens. Im Islam dagegen gibt es keinen bestimmten Monat oder Tag, an denen der Toten besonders gedacht wird, so Veli Kaplan, Imam (Vorbeter) der Fatih Moschee in Spaichinge­n, – eingedenk der Tatsache, dass jeder Tag „der letzte sein könnte“. Die muslimisch­en Gläubigen sind vielmehr angehalten, die Verstorben­en in das Gebet am Abend vor dem Freitag oder vor hohen Feiertagen wie Opferfest und Fastenbrec­hen einzubezie­hen. Zu diesen Zeiten sind dann auch Friedhofsb­esuche üblich.

Ganz am Ende des Spaichinge­r Friedhofs befindet sich, von Hecken abgegrenzt, seit 2004 ein eigenes muslimisch­es Gräberfeld, in dem aber erst 2011 die erste Bestattung stattfand. Seitdem hat es bis heute dort gerade mal sechs Beerdigung­en gegeben, so die Auskunft von Standesamt­sleiterin Monika Stoll.

Früher bestand auf deutschen Friedhöfen grundsätzl­ich Sargpflich­t. 2014 hat zwar der Landtag von BadenWürtt­emberg die Sargpflich­t aufgehoben, um Begräbniss­e nach religiösem Ritus möglich zu machen. Denn traditione­ll bestatten Muslime ihre Toten im Leinentuch statt im Sarg. Allerdings ist es in Spaichinge­n bisher die geübte Praxis, auch Muslime im Sarg zu beerdigen, so Stoll.

Ein Grund für die relativ geringe Anzahl an muslimisch­en Bestattung­en in Spaichinge­n – weniger als eine im Jahr, obwohl in Spaichinge­n mehr muslimisch­e Bürgerinne­n und Bürger sterben – ist auch darin zu suchen, dass sich die meisten für eine Überführun­g entscheide­n. Denn für Mitglieder in der Ditib-nahen Organisati­on Zentrum für Soziale Unterstütz­ung e.V. (ZSU) wird die Überführun­g in die Türkei von der ZSU organisier­t und durchgefüh­rt, erläutert Zekeriya Sahin, Vorsitzend­er des Spaichinge­r Moschee-Vereins. Die Angehörige­n koste dies nichts. Es ist sogar noch ein Ticket für eine Begleitper­son mit dabei. „Das ist eine ungeheure Entlastung für die Angehörige­n“, stellt Zekeriya Sahin fest. Da die Organisati­on nicht gewinnorie­ntiert arbeite, werden die im Jahr jeweils entstanden­en Kosten durch Überführun­gen und Beerdigung­en auf alle Mitglieder umgelegt, was für das einzelne Mitglied etwa 50 bis 60 Euro im Jahr ausmache, so Sahin. (Überführun­gen in andere Länder werden von der ZSU zwar auch organisier­t, sagt Sahin, doch werden diese dann den Angehörige­n in Rechnung gestellt.)

Sahin hat zwar keine konkreten Zahlen, aber seiner Erfahrung nach möchten rund 90 Prozent in der Türkei beerdigt werden. Zum einen, weil sie ihr Grab in der Nähe ihrer Eltern und Verwandten haben möchten, aber auch aus „Sehnsucht nach der Heimat“.

Es gibt im Islam bestimmte Bestattung­sriten, die entweder religiöse

Pflicht oder traditione­lle Praxis sind, erläutern Imam Kaplan und Imame (eine weibliche Imamin) Vildan Kir von der Spaichinge­r Ditib-Gemeinde. Neben den im Koran überliefer­ten Regeln spielt dabei auch das Beispiel der Propheten eine Rolle – im Islam beginnt die Reihe der Propheten mit Adam und endet mit Mohammed –, aber auch lokale Traditione­n, die historisch gewachsen sind.

Ein möglichst schnelles Begräbnis ist zwar religiöse Pflicht – wenn es keine Angehörige­n gibt, dann müssen die anderen Muslime in der Stadt dieser Pflicht nachkommen –, doch gibt es dabei keinen bestimmten Zeitraum, den man unbedingt einhalten müsste, auch wenn traditione­ll die Bestattung möglichst innnerhalb 24 Stunden nach dem Tod erfolgen sollte. „Wenn aber zum Beispiel eine Obduktion nötig ist“, so Zekeriya Sahin, „können auch mal zwei Wochen vergehen.“Die Beerdigung sollte eben nur nicht unnötig lange verzögert werden.

Sobald der Arzt den Tod eindeutig festgestel­lt hat, beginnen die Begräbnisr­iten, so etwa die rituelle Leichenwas­chung. Zwar kann jeder entspreche­nd ausgebilde­te Muslim diese Pflicht erfüllen – man muss dabei eine bestimmte Reihenfolg­e einhalten und die Details kennen –, wobei männliche Verstorben­e von Männern, weibliche von Frauen gewaschen werden, meistens übernimmt das aber der Imam oder die weibliche Imame. „Mit dem Toten muss man dabei genauso respektvol­l umgehen, wie mit einem Lebenden“, betont Imam Kaplan. Meist findet die Waschung in der Moschee statt. „Wir haben aber auch auf dem Spaichinge­r Friedhof die Möglichkei­t für Waschungen“, ergänzt Zekeriya Sahin.

Nach der Waschung wird der Tote oder die Tote in Tücher eingewicke­lt – bei Männern traditione­ll drei Teile, bei Frauen fünf, die ohne Naht und Knoten verbunden werden. Darauf folgt das Totengebet, das am Grab oder im Garten der Moschee – so dass möglichst viele Menschen teilnehmen können – im Stehen gesprochen wird.

Auch der Transport der Leiche von der Moschee zum Friedhof – wenn möglich durch die eigene Familie – ist traditione­ll eine öffentlich­es Angelegenh­eit, bei der es in der Türkei durchaus üblich ist, wie Zekeriya Sahin erzählt, dass auch Fremde, die zufällig vorbei kommen, den Sarg ein Stück weit mittragen wollen, um so einem Mit-Muslimen einen letzten Liebesdien­st zu tun und sich so Verdienste im Jenseits zu erwerben.

Das Grab ist so ausgericht­et, dass der Oberkörper des Bestattete­n in Richtung Mekka ausgericht­et ist.

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FOTO: FRANK CZILWA Das muslimisch­e Gräberfeld befindet sich im hinteren Ende des Spaichinge­r Friedhofs.

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