Aufruhr um Schulsozialarbeit in VS
Stadt will Trägerschaft übernehmen - 20 Jahre für die Katz?
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (sbo) - Die Bestürzung ist groß, schulinterne Kreise sprechen von einem „Gau“und einem „Hammer“. Die Stadt will die Schulsozialarbeit unter ihrem Dach haben. Bedeutet dies das Ende von Qualität und einer gewachsenen Vertrauensbasis auf Kosten von benachteiligten Kindern und Jugendlichen?
Mit einem Schreiben fängt es an, das eine Reaktionskette auslöst. „Mit Bestürzung“habe der Gesamtelternbeirat der Stadt (GEB) die Stellungnahme der Träger der Schulsozialarbeit erhalten. „Sollte die Stadt VS wirklich die Übernahme planen, werden Jahre der Arbeit der Sozialarbeiter an den Schulen zerschlagen. Der GEB kann nur anraten, die Freien Träger und ihre Arbeit weiter zu stützen.“GEB-Vorsitzender Tino Berthold zeigt sich entsetzt im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten und zeichnet die gravierenden Folgen einer solchen Weichenstellung auf.
Und nicht nur Berthold rügt den „schlechten Stil“der Stadt, da Träger wie auch GEB „indirekt“über die Pläne erfahren hätten. Die gemeinderätlichen Gremien werden in dieser Sache nun zu entscheiden haben, und dann hofft auch er, dass nicht nur das „Geldliche“dominiere, zumal die Schulsozialarbeit immer wichtiger werde in den nächsten Jahren. Oder „sollen etwa die Träger in die Wüste geschickt werden, weil man keine unabhängige Schulsozialarbeit mehr will?“, äußert sich ein Beobachter der schulischen Szene. Die Stadt als Träger der Schule und künftig noch für die Schulsozialarbeit? Das sorgt für Unruhe.
Doch die „Aufruhr“und die Kritik am „schlechten Stil“hat noch einen anderen Grund (wie berichtet): Im Frühjahr hatte die Stadt kurzfristig sämtliche Verträge mit den Trägern der Schulsozialarbeit zunächst mit dem Argument gekündigt, die Vergabe der Trägerschaft der Schulsozialarbeit an den Schulen in VS müsse öffentlich ausgeschrieben werden, hieß es von Seiten der Träger. Dann habe man später erfahren, dass die Stadt nun gar keine Ausschreibung mehr vornehmen, sondern die Trägerschaft selbst übernehmen wolle. Ein Gespräch mit den zwei der insgesamt vier freien Träger, aus deren Reihen bisher rund 30 Schulsozialarbeiter an die VS-Schulen gingen, zeigt, wie groß Verunsicherung und Verärgerung sind. Nicht nur für den GEB bricht durch solche Ansätze eine Schulsozialarbeit weg, die sich in fast 20 Jahren aufgebaut habe.
Die zentrale Frage, die sich freie Träger und GEB nun stellen: Woher sollen die neuen Schulsozialarbeiter kommen? „Möchte die Stadt die bisher tätigen Sozialpädagogen übernehmen?“, fragt sich Berthold. Und, wie es ergänzend aus schulinternen Kreisen heißt: „Bleibt es bei der Zahl der rund 30 Schulsozialarbeiter?“Und wenn ja, „werden diese dann weiterhin so wie bisher eingesetzt oder verändert sich das Arbeitsfeld?“. Oxana Brunner, Pressesprecherin der Stadt, kommentiert diese Frage: „Die Schulsozialarbeit in Villingen-Schwenningen wird in jedem Fall effizient und nahtlos fortgeführt.“Die Corona-Pandemie habe einige neue Ansatzpunkte bewusst werden lassen, ergänzt sie auf Anfrage. „Die Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter sind hochqualifiziert und sehr motiviert.“Dies bedeute auch, dass Schulsozialarbeiter künftig von der Stadt beschäftigt werden könnten.
Ein paar Kilometer weiter, in einem Büro zwischen Villingen und Schwenningen, sieht man solche Aussagen eher skeptisch. Michael Kuner, Leiter Kommunale Angebote beim Kinder- und Familienzentrum (Kifaz) der Stiftung Heiligenbronn: „Viele Mitarbeiter haben sich ja ihren Arbeitgeber ganz bewusst ausgesucht. Ich glaube nicht, dass alle wechseln werden.“Wohl wahr, heißt es zu dieser Einschätzung aus zuverlässigen Kreisen. „Die, die Verstand haben, gehen sicher nicht“, wird eine kritische Stimme deutlich. Selbst wenn Sozialarbeiter übernommen würden, werde es Qualitätsverluste geben.
Zweifel hegt auch Berthold. Er glaubt nicht, dass alle Sozialpädagogen ihren Arbeitgeber wechseln, zumal „die freien Träger doch nur zu gut wissen, was sie an diesen qualifizierten Leuten haben und diese zu halten versuchen werden“. Doch selbst wenn die Stadt die bisherigen Schulsozialarbeiter auf ihre Gehaltsliste nehmen würde, gibt es teils massive Vorbehalte.
„Das Vertrauen in eine unabhängige Person“, so formuliert es Michael Stöffelmaier, Vorstandsvorsitzender des Caritas Kreisverbands Schwarzwald-Baar, sei wichtig. Und, erläutert er, das Vertrauen leide, wenn nun die Stadt als Arbeitgeber auftrete, konkret das Amt für Jugend, Bildung, Integration und Soziales (Jubis). Ähnlich sieht es auch Kuner. Als die Informationen durchsickerten, „dachte ich, mich trifft der Schlag“, nicht nur, weil auch das Zentrum gerne seine Schulsozialarbeiter behalten würden. „Wir haben lange Jahre daran gearbeitet und Konzepte entwickelt“, ergänzt er und unterstreicht: „Wir Träger werden dafür kämpfen, das die gewachsenen Strukturen auch so beibehalten werden wie bisher.“
Die Angst vor einem gestörten Vertrauensverhältnis ist für Alexander Hermann, seit fünf Jahren Rektor der Bickebergschule, ebenfalls „nicht aus der Luft gegriffen“, wenn ein neuer Arbeitgeber und damit neue Strukturen auftauchen. Für den leitenden Pädagogen kommt das Thema ohnehin zu einer völlig falschen Zeit: „So bringt man noch mehr Unruhe in die aktuellen Krisenzeiten hinein.“Und auch Pädagogen wie Hermann sehen bislang „nur gravierende Nachteile“.
Doch die Befürchtungen gehen noch weiter. Pädagogen wie Träger warnen vor einem gestörten Vertrauensverhältnis, selbst wenn einige Sozialpädagogen wechselten. Es werde sicherlich Beziehungsabbrüche geben und dies „auf Kosten der Kinder und Jugendlichen“. Michael Kuner, Kifaz, mahnt: „Eine solche Neustrukturierung behindert ein unabhängiges Handeln und eine vertrauliche Beratung.“Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Wenn das Jubis dann als vorgesetzte Behörde auftreten würde, dürfte dies vor allem für Eltern ein brisantes Thema werden. Eine Befürchtung, die auch aus schulinternen Kreisen geäußert wird. Insgesamt gelten die Bestrebungen nicht wenigen Beobachtern als „Gau“. Der Bedarf an Schulsozialarbeit wird nicht weniger, „wir haben auch in VS immer mehr Familien mit prekären Lebensverhältnissen“.