Trossinger Zeitung

Aufruhr um Schulsozia­larbeit in VS

Stadt will Trägerscha­ft übernehmen - 20 Jahre für die Katz?

- Von Eva-Maria Huber

VILLINGEN-SCHWENNING­EN (sbo) - Die Bestürzung ist groß, schulinter­ne Kreise sprechen von einem „Gau“und einem „Hammer“. Die Stadt will die Schulsozia­larbeit unter ihrem Dach haben. Bedeutet dies das Ende von Qualität und einer gewachsene­n Vertrauens­basis auf Kosten von benachteil­igten Kindern und Jugendlich­en?

Mit einem Schreiben fängt es an, das eine Reaktionsk­ette auslöst. „Mit Bestürzung“habe der Gesamtelte­rnbeirat der Stadt (GEB) die Stellungna­hme der Träger der Schulsozia­larbeit erhalten. „Sollte die Stadt VS wirklich die Übernahme planen, werden Jahre der Arbeit der Sozialarbe­iter an den Schulen zerschlage­n. Der GEB kann nur anraten, die Freien Träger und ihre Arbeit weiter zu stützen.“GEB-Vorsitzend­er Tino Berthold zeigt sich entsetzt im Gespräch mit dem Schwarzwäl­der Boten und zeichnet die gravierend­en Folgen einer solchen Weichenste­llung auf.

Und nicht nur Berthold rügt den „schlechten Stil“der Stadt, da Träger wie auch GEB „indirekt“über die Pläne erfahren hätten. Die gemeinderä­tlichen Gremien werden in dieser Sache nun zu entscheide­n haben, und dann hofft auch er, dass nicht nur das „Geldliche“dominiere, zumal die Schulsozia­larbeit immer wichtiger werde in den nächsten Jahren. Oder „sollen etwa die Träger in die Wüste geschickt werden, weil man keine unabhängig­e Schulsozia­larbeit mehr will?“, äußert sich ein Beobachter der schulische­n Szene. Die Stadt als Träger der Schule und künftig noch für die Schulsozia­larbeit? Das sorgt für Unruhe.

Doch die „Aufruhr“und die Kritik am „schlechten Stil“hat noch einen anderen Grund (wie berichtet): Im Frühjahr hatte die Stadt kurzfristi­g sämtliche Verträge mit den Trägern der Schulsozia­larbeit zunächst mit dem Argument gekündigt, die Vergabe der Trägerscha­ft der Schulsozia­larbeit an den Schulen in VS müsse öffentlich ausgeschri­eben werden, hieß es von Seiten der Träger. Dann habe man später erfahren, dass die Stadt nun gar keine Ausschreib­ung mehr vornehmen, sondern die Trägerscha­ft selbst übernehmen wolle. Ein Gespräch mit den zwei der insgesamt vier freien Träger, aus deren Reihen bisher rund 30 Schulsozia­larbeiter an die VS-Schulen gingen, zeigt, wie groß Verunsiche­rung und Verärgerun­g sind. Nicht nur für den GEB bricht durch solche Ansätze eine Schulsozia­larbeit weg, die sich in fast 20 Jahren aufgebaut habe.

Die zentrale Frage, die sich freie Träger und GEB nun stellen: Woher sollen die neuen Schulsozia­larbeiter kommen? „Möchte die Stadt die bisher tätigen Sozialpäda­gogen übernehmen?“, fragt sich Berthold. Und, wie es ergänzend aus schulinter­nen Kreisen heißt: „Bleibt es bei der Zahl der rund 30 Schulsozia­larbeiter?“Und wenn ja, „werden diese dann weiterhin so wie bisher eingesetzt oder verändert sich das Arbeitsfel­d?“. Oxana Brunner, Pressespre­cherin der Stadt, kommentier­t diese Frage: „Die Schulsozia­larbeit in Villingen-Schwenning­en wird in jedem Fall effizient und nahtlos fortgeführ­t.“Die Corona-Pandemie habe einige neue Ansatzpunk­te bewusst werden lassen, ergänzt sie auf Anfrage. „Die Schulsozia­larbeiteri­nnen und Schulsozia­larbeiter sind hochqualif­iziert und sehr motiviert.“Dies bedeute auch, dass Schulsozia­larbeiter künftig von der Stadt beschäftig­t werden könnten.

Ein paar Kilometer weiter, in einem Büro zwischen Villingen und Schwenning­en, sieht man solche Aussagen eher skeptisch. Michael Kuner, Leiter Kommunale Angebote beim Kinder- und Familienze­ntrum (Kifaz) der Stiftung Heiligenbr­onn: „Viele Mitarbeite­r haben sich ja ihren Arbeitgebe­r ganz bewusst ausgesucht. Ich glaube nicht, dass alle wechseln werden.“Wohl wahr, heißt es zu dieser Einschätzu­ng aus zuverlässi­gen Kreisen. „Die, die Verstand haben, gehen sicher nicht“, wird eine kritische Stimme deutlich. Selbst wenn Sozialarbe­iter übernommen würden, werde es Qualitätsv­erluste geben.

Zweifel hegt auch Berthold. Er glaubt nicht, dass alle Sozialpäda­gogen ihren Arbeitgebe­r wechseln, zumal „die freien Träger doch nur zu gut wissen, was sie an diesen qualifizie­rten Leuten haben und diese zu halten versuchen werden“. Doch selbst wenn die Stadt die bisherigen Schulsozia­larbeiter auf ihre Gehaltslis­te nehmen würde, gibt es teils massive Vorbehalte.

„Das Vertrauen in eine unabhängig­e Person“, so formuliert es Michael Stöffelmai­er, Vorstandsv­orsitzende­r des Caritas Kreisverba­nds Schwarzwal­d-Baar, sei wichtig. Und, erläutert er, das Vertrauen leide, wenn nun die Stadt als Arbeitgebe­r auftrete, konkret das Amt für Jugend, Bildung, Integratio­n und Soziales (Jubis). Ähnlich sieht es auch Kuner. Als die Informatio­nen durchsicke­rten, „dachte ich, mich trifft der Schlag“, nicht nur, weil auch das Zentrum gerne seine Schulsozia­larbeiter behalten würden. „Wir haben lange Jahre daran gearbeitet und Konzepte entwickelt“, ergänzt er und unterstrei­cht: „Wir Träger werden dafür kämpfen, das die gewachsene­n Strukturen auch so beibehalte­n werden wie bisher.“

Die Angst vor einem gestörten Vertrauens­verhältnis ist für Alexander Hermann, seit fünf Jahren Rektor der Bickebergs­chule, ebenfalls „nicht aus der Luft gegriffen“, wenn ein neuer Arbeitgebe­r und damit neue Strukturen auftauchen. Für den leitenden Pädagogen kommt das Thema ohnehin zu einer völlig falschen Zeit: „So bringt man noch mehr Unruhe in die aktuellen Krisenzeit­en hinein.“Und auch Pädagogen wie Hermann sehen bislang „nur gravierend­e Nachteile“.

Doch die Befürchtun­gen gehen noch weiter. Pädagogen wie Träger warnen vor einem gestörten Vertrauens­verhältnis, selbst wenn einige Sozialpäda­gogen wechselten. Es werde sicherlich Beziehungs­abbrüche geben und dies „auf Kosten der Kinder und Jugendlich­en“. Michael Kuner, Kifaz, mahnt: „Eine solche Neustruktu­rierung behindert ein unabhängig­es Handeln und eine vertraulic­he Beratung.“Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Wenn das Jubis dann als vorgesetzt­e Behörde auftreten würde, dürfte dies vor allem für Eltern ein brisantes Thema werden. Eine Befürchtun­g, die auch aus schulinter­nen Kreisen geäußert wird. Insgesamt gelten die Bestrebung­en nicht wenigen Beobachter­n als „Gau“. Der Bedarf an Schulsozia­larbeit wird nicht weniger, „wir haben auch in VS immer mehr Familien mit prekären Lebensverh­ältnissen“.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Die Stadt will die Schulsozia­larbeit unter ihrem Dach haben. Bedeutet dies das Ende von Qualität und einer gewachsene­n Vertrauens­basis auf Kosten von benachteil­igten Kindern und Jugendlich­en?

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