Trossinger Zeitung

Hautnah das Corona-Phänomen Korea erlebt

Der Spaichinge­r Andreas Kustermann ist mit seinem Auslandsem­ester „mitten in die Pandemie reingeraus­cht“

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - „Was ist denn bei euch los?“Diese Frage hat der Spaichinge­r Andreas Kustermann im Frühjahr und Sommer öfter gehört und hört sie auch jetzt, wenn er per Videoapp mit Studienkol­legen spricht. Die Fragenden sind Südkoreane­r, Spanier oder andere. Die Gemeinten sind Verschwöru­ngmytholog­en, Querdenker, Möchte-GernReichs­tagsstürme­r. Kustermann hat Ende Februar sein Auslandsse­mester in Südkorea angetreten. In der beginnende­n Corona-Hochphase: „Ich bin mitten reingeraus­cht.“

Südkorea gilt als eines der südostasia­tischen Vorzeigelä­nder im Umgang mit der Pandemie. Derzeit kämpft es auch gegen eine zweite Welle. Wie hat es das Land geschafft, das öffentlich­e Leben weitgehend weiter laufen zu lassen inclusive Restaurant­s, Bars, Clubs (die erst in dieser Woche geschlosse­n wurden) und gleichzeit­ig im März die erste Welle schnell wieder abflauen zu lassen und dadurch das wirtschaft­liche Minus auf 1,3 Prozent, so die Neue Züricher Zeitung, zu begrenzen?

Andreas Kustermann, der Elektroing­enieurswes­en und Wirtschaft­swissensch­aft in einem Studiengan­g der Uni Konstanz auf Master studiert, vergleicht die unterschie­dlichen Zugehenswe­isen und ist spürbar genervt von deutschen Landsleute­n, „die ihre Zeit mit wirrem Verschwöru­ngsgetue vergeuden“. Die Südkoreane­r, mit denen er studiert und gelebt hat, verhielten sich im Gegensatz dazu sehr disziplini­ert, sodass schwere Einschränk­ungen des

Lebens gar nicht notwendig gewesen seien.

Erst am Donnerstag habe er mit Studienkol­legen, die jetzt dort sind, per Videokonfe­renz gesprochen und die sagten übereinsti­mmend, dass sie sich sicher fühlten und dass sie froh seien, dass sie in dieser Lage in Südkorea sind. Kurz nach Kustermann­s Einreise Ende Februar wurden die Universitä­ten und Schulen geschlosse­n, die Schüler und Studierend­e in einer Mischung aus Präsenzver­anstaltung­en und Digitalisi­erung unterricht­et. Wer einreiste, musste ab März sofort zwei Wochen in Quarantäne in Quarantäne­zentren. Das ist bis heute so.

Man habe relativ wenig gewusst, sagt Kustermann, die koreanisch­en Mitstudent­en seien zuhause gewesen und im Wohnheim auf dem Campus vor allem auch ausländisc­he Studierend­e. Vor allem die Spanier hätten große Angst um ihre Landsleute und Familien gehabt bei diesen hohen Todeszahle­n.

Es scheint eine Kombinatio­n aus vielen Tests, von Anfang an, Clusterver­folgung durch eine App, die auch die GPS-Daten einbezieht, überall präsenten Fiebermess­ungen, strikte Einhaltung der Hygienereg­eln, Erfahrung mit Pandemien und fertige Pläne, flächendec­kende Benutzung der Masken und eine im Kollektiv verantwort­lich denkende Bevölkerun­g zu sein, die diesen Erfolg in der Pandemiebe­kämpfung nach sich zog, so Kustermann.

Zum Beispiel Hygiene: Manche Türen am Campus gingen erst auf, wenn man vorher das Desinfekti­onsmittel benutzt hat. Zum Beispiel Digitalisi­erung: Vom Kind bis zum Greis habe jeder ein Smartphone und richte sich nach den Nachrichte­n. Wenn man zum Beispiel benachrich­tigt wurde, dass man in einer Gefährdung­ssituation war, etwa in einem Restaurant, ging man selbstvers­tändlich zum Test und isolierte sich freiwillig. Organisier­t wird das über Testzentre­n und dezentrale Kliniken.

515 Todesfälle bei 51 Millionen Einwohner werden kommunizie­rt, am 25. November waren es 583 neue gemeldete Fälle. Das sind im Vergleich zu Deutschlan­d eindrückli­ch niedrige Zahlen, vor allem angesichts der Tatsache, wie viel in Korea getestet wird.

Die deutsche Gesellscha­ft sei viel informiert­er, als die koreanisch­e. Trotzdem gerate da niemand in Panik. „Korea ist eine sehr alte Gesellscha­ft, die tausend Jahre in Frieden gelebt und sich auf den Aufbau einer funktionie­renden Gesellscha­ft konzentrie­rt hat, vermutet Kustermann. „Sie sind vielleicht etwas höriger.“Die Grundhaltu­ng sei aber auf jeden Fall mehr auf das Kollektiv gerichtet nach dem Motto: „Wenn es hilft, dann mache ich das und vertraue den Maßnahmen der Regierung.“

Verschwöru­ngsmythen habe er gar nicht wahrgenomm­en: „Die Leute haben keine Angst vor Eliten und machen niemanden anders für die Misere verantwort­lich. Sie leben mit der Lage fast normal, nur mit Maske.“Hamsterkäu­fe oder vegane Köche, die plötzlich zu Welterklär­ern werden, das gebe es in Südkorea so nicht.

In Deutschlan­d werde jede Maßnahme individual­isiert wahrgenomm­en nach dem Motto, da will mir jemand was wegnehmen. In Korea hingegen werde sozial geächtet, der sich nicht um das wohl der Gesellscha­ft schert.

Die Gesellscha­ft in Korea lebt überwiegen­d in Ballungsze­ntren. Auch Kustermann studierte an der Kyonggi University in Suwon, im Großraum Seoul. Es gebe Großstädte oder Naturschut­zgebiete, lacht Kustermann.

Das Reisen, auch mit dem Flugzeug, sei während des gesamten Semesters nie verboten gewesen und so habe er auch einiges vom Land gesehen.

Er als Ausländer habe sich –trotz der anderen Schrift und fehlender Sprachkenn­tnisse – nie geängstigt. Die Maßnahmen – es gab kein soziales Distanzier­en sondern die Strategie zielte auf die Orte, wo Ansammlung­en entstanden (Fitnessstu­dios, Schwimmbäd­er, Unis, Schulen) – wurden durchs Auslandsam­t und Piktogramm­e gut kommunizie­rt.

Was macht die Situation mit der Psyche der Menschen? Die Rate der psychische­n Erkrankung­en sei generell hoch wegen des enormen Leistungsd­rucks. Sowohl gegenüber Kindern, die auch nach zwölf Schulstund­en noch Hausaufgab­en machten als auch den Erwachsen, die oft 70, 80 Stunden arbeiteten. Das alles habe aber, so sein Eindruck, nichts mit Corona zu tun.

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FOTO: PRIVAT Auch abends: Die Leute sind unterwegs.
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FOTO: ANDREAS KUSTERMANN Ganz normal, nur mit Maske: Einkaufsst­raße in Seoul.
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KUSTERMANN FOTO: So sieht Kuster- mann ohne Maske aus.

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