Klinik-Ärzte erzählen: Zähe Behandlung, Rehabilitation braucht Zeit
Der Fall von Erhard Sutschek war ein besonderer, aber nicht gerade untypisch
TUTTLINGEN - Erhard Sutschek hat die Folgen einer Coronavirus-Infektion besonders schwer zu spüren bekommen. Knapp einen Monat war er im Klinikum, musste zwei Wochen lang beatmet werden. Auch nach seiner Entlassung wird es noch Monate dauern, bis er wieder richtig fit ist. Sein Beispiel sollte zwar keine Panik auslösen, erklären die beiden Ärzte, die sich am Klinikum in Tuttlingen um ihn gekümmert haben. Trotzdem könne man viel aus dem Fall lernen.
„Das Besondere an dem Fall ist, dass Herr Sutschek mit 44 Jahren ziemlich jung ist“, sagt Chefarzt Dr. Jürgen Schmidt. Gehörten doch vor allem ältere Menschen zur Risikogruppe. Abgesehen vom Alter machen aber auch andere Faktoren Sutschek zu einem Risikopatienten. Er leidet an Blutarmut und dem so genannten Antiphospholipid-Syndrom (APS). Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die Betroffene
TRAUERANZEIGEN
besonders anfällig für Thrombosen und Embolien macht.
Gerade weil sie dadurch vorgewarnt gewesen seien, hätten sie so früh wie möglich alle Möglichkeiten für eine Genesung ausgeschöpft. „Wir haben dem Patienten schon früh Dexamethason gegeben. Das ist ein Kortisonpräparat. Man kann es nur bei Patienten, deren Zustand sich rasch verschlechtert und die eine ausgedehnte Lungenentzündung haben, einsetzen“, erklärt Schmidt. Dass das Medikament bei besonders schweren Fällen anschlägt und die Sterblichkeit reduzieren kann, bestätigte auch schon eine britische Studie.
Bei Sutschek reichte das aber nicht. „Wir haben auch auf ein nicht unumstrittenes Mittel zurückgegriffen: Remdesivir“, ergänzt Schmidt. Das Mittel wurde ursprünglich gegen Ebola entwickelt, galt im Sommer nach einer ersten Studie als große Hoffnung unter den Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19.
Dann legte die Weltgesundheitsorganisation eine weitere, internationale Studie nach. Das Ergebnis: Das Mittel zeige kaum einen Effekt. Inzwischen rät die WHO davon ab, Remdesivir einzusetzen. Trotzdem ist es seit Juli 2020 in der EU für die Anwendung bei schweren Viruserkrankungen zugelassen.
Auch Schmidt wertet Remdesivir nicht als Standardmedikament. Viel mehr sei die Verwendung der Ausnahmefall, den er bei Sutschek mit den schweren Symptomen und seinen Begleiterkrankungen rechtfertigt. „Gerade bei jungen männlichen Patienten, die noch nicht beatmet werden mussten, hatte Remdesivir in der Zulassungsstudie Vorteile erwiesen“, sagt Schmidt.
Remdesivir kam daher früh zum Einsatz. Die Beatmung erfolgte danach. Erhard Sutschek bekam zwischenzeitlich kaum noch Luft. Jeden Tag habe es sich so angefühlt, als würde er ertrinken, beschreibt er. Aufnahmen mit einem Querschnitt durch Sutscheks Lunge bestätigen das: „Der größte Teil des Lungengewebes war schwerst entzündlich verändert und somit für die Sauerstoffaufnahme unbrauchbar“, erklärt Dr. Michael Kotzerke, Chefarzt und Ärztlicher Direktor am KlinikumTuttlingen.
Und das ist – im Gegensatz zu Sutscheks Alter – nicht ganz so untypisch, sagt Schmidt. „Für ein Viertel der Patienten, die zu uns in die Klinik kommen, kommt eine intensivmedizinische Behandlung in Frage.“Außerdem müsse jeder zweite Patient auf der Intensivstation beatmet werden.
Das Problem daran: Gerade auf der Intensivstation sind die Plätze begrenzt. „Stationär können wir 180 Patienten behandeln, oder noch mehr, wenn die Chirurgen ihre Fallzahlen zurückfahren. Aber auf der Intensivstation gibt es ein Limit.“Das ist bei 20 Intensiv-Patienten erreicht. „Wir sagen immer, wir sind gut vorbereitet. Aber klar, auch unsere Kapazitäten sind begrenzt“, sagt Kotzerke. Die Ressourcen versuche man daher zu schonen.
Erhard Sutschek hat die kritische Phase der Erkrankung überwunden. Zumindest ist er so fit, dass er das Klinikum am Montag verlassen durfte. Seine Muskeln sind noch schlapp. Auch sein Kurzzeitgedächtnis arbeitet noch nicht 100 Prozent verlässlich. Das Coronavirus greift nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe und damit auch das Gehirn an.