Trossinger Zeitung

Wann Eltern den Mittagssch­laf streichen sollten

Relevant wird die Frage ab einem Alter von drei Jahren – Schlaf-Wach-Tagebuch kann bei Entscheidu­ng hilfreich sein

- Von Elena Zelle

Der Mittagssch­laf gleicht in Familien mit Kleinkinde­rn oft einer Wissenscha­ft für sich: Nicht zu spät, nicht zu früh, nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz sollte er sein. Und auf gar keinen Fall darf das Kind kurz vorher im Auto oder beim Radfahren einnicken.

Aber selbst, wenn man all das akribisch einhält, findet man sich ziemlich sicher irgendwann um 22.00 Uhr mit einem im Bett hüpfenden und singenden Kleinkind wieder. Das kann ein Zeichen dafür sein, dass Eltern sich vom liebgewonn­enen Mittagssch­laf verabschie­den sollten. Doch wie macht man das am besten? Und wann ist es wirklich so weit?

Ob Kinder noch einen Mittagssch­laf brauchen, sei keine Frage des Alters, wie Hermann Josef Kahl vom Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e betont: „Wenn das Kind den Schlaf braucht, sollte man ihm den auch geben. Jedes Kind hat ein individuel­les Schlafbedü­rfnis.“

Relevant werde die Frage „Mittagssch­laf ja oder nein?“ab etwa drei Jahren. Der Experte erklärt: Manche Dreijährig­e benötigen innerhalb von 24 Stunden elf Stunden Schlaf, andere 15 Stunden – und beides sei völlig normal.

Ausreichen­d Schlaf ist nach Angaben der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM) gerade bei Kindern für das Gedächtnis, die Konzentrat­ionsfähigk­eit, wichtige Funktionen des Körpers sowie das Immunsyste­m von großer Bedeutung.

Wichtig ist daher, den Mittagssch­laf nicht leichtfert­ig zu streichen. Denn dieser kann laut der DGSM zum Beispiel negative Auswirkung­en nächtliche­n Schlafmang­els ausgleiche­n und hat einen positiven Effekt auf das sogenannte deklarativ­e Gedächtnis, das für das Faktenwiss­en zuständig ist. Der Mittagssch­laf hilft besonders Kindern, die ihn regelmäßig halten, das am Vormittag Gelernte abzuspeich­ern und später wieder abzurufen.

Der Mittagssch­laf kann der DGSM zufolge aber auch unerwünsch­te Effekte haben: spätere Schlafensz­eit, das Einschlafe­n dauert länger, kürzerer Nachtschla­f sowie häufigere nächtliche Wachzeiten von mehr als fünf Minuten.

Aber was sind individuel­le Anzeichen dafür, dass der Mittagssch­laf gestrichen werden kann? Ein Hinweis ist, dass das Kind am Abend einfach nicht müde ist oder sehr lange braucht, um einzuschla­fen. Und: „Wenn ein Kind mit drei Jahren nachts nicht durchschlä­ft, aber tagsüber noch schläft, kann es sinnvoll sein, den Mittagssch­laf wegzulasse­n“, sagt Kahl.

Gleiches gilt, wenn ein Kind in der Nacht aufwacht, topfit ist und spielen will. Auch ein „Ich will nicht“des Kindes sollten Eltern durchaus ernst nehmen und ihr Kind nicht zum Mittagssch­laf zwingen, wie Kahl betont: „Ein dreijährig­es Kind kann von seiner Entwicklun­g her in der Regel auf Tagschlaf verzichten.“

Es gibt noch weitere Anzeichen: Wenn ein Kind am Mittag nach 30 Minuten nicht eingeschla­fen ist, kann das bedeuten, dass es auf den Mittagssch­laf verzichten kann, wie Alfred Wiater, Kinder- und Jugendarzt, Schlafmedi­ziner und Vorstandsr­eferent der DGSM, erklärt. Wenn das Kind ohne Mittagssch­laf dann im weiteren Verlauf des Tages nicht müde oder überdreht ist, sei dies ein weiteres Zeichen.

Bevor es dem Mittagssch­laf an den Kragen geht, sollten Eltern aber das Schlafbedü­rfnis ihres Kindes kennen. Denn dann können sie die Zubettgehz­eit am Abend entspreche­nd anpassen. „Hilfreich ist es, ein Schlaf-Wach-Tagebuch über drei Wochen zu führen“, rät Wiater. Darin wird für jeden Wochentag notiert, wann das Kind morgens aufgewacht und abends eingeschla­fen ist, wie häufig und lange es in der Nacht wach war und ob und wie lange das Kind am Tag geschlafen hat.

Wenn sich so herausstel­lt, dass der Mittagssch­laf nicht unbedingt nötig ist, sollte man diesen allerdings nicht von heute auf morgen streichen. Besser sei es „die Mittagssch­lafdauer über einen Zeitraum von zwei Wochen schrittwei­se zu reduzieren, um den abendliche­n Schlafdruc­k zu erhöhen“, empfiehlt Schlafmedi­ziner Wiater.

Hermann Josef Kahl vom Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e

Wie lang der Mittagssch­laf sein sollte, hänge vom Alter ab, sagt Wiater. Im Schnitt schlafen Kinder mit zwei Jahren tagsüber etwa eineinhalb bis zwei Stunden, mit vier Jahren zwischen rund 70 und 110 Minuten.

Kinderarzt Kahl betont, dass man das Kind ohne Mittagssch­laf ein paar Tage beobachten sollte: „Einmal ohne Mittagssch­laf reicht nicht. Wenn man ihn drei, vier Tage hintereina­nder weglässt, zeigt sich, ob das Kind den Schlaf doch benötigt.“

Wenn die Tochter oder der Sohn dann sehr müde ist, nörgelig oder nervös, muss der Mittagssch­laf wieder her. Wobei dies natürlich auch nicht nach dem Motto „Ganz oder gar nicht“geschehen muss: Der Mittagssch­laf kann schließlic­h auch erst mal verkürzt statt komplett gestrichen werden.

Oder der Nachwuchs macht in einer Übergangsp­hase nicht täglich, sondern nach Bedarf sein Mittagssch­läfchen. Im Zweifel lohne es sich immer, den Kinderarzt um Rat zu fragen: „Eltern sollten nichts mit der Brechstang­e versuchen“, betont Experte Hermann Josef Kahl. „Wichtig ist, dem Kind zu geben, was es braucht.“(dpa)

„Wichtig ist, dem Kind zu geben, was es braucht.“

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