Zukunftsvisionen sind nicht erkennbar
Der Wahlkampf der Trossinger Bürgermeisterkandidaten im Internet und in den sozialen Medien im Vergleich
TROSSINGEN (sz) - Trossingen wählt am Sonntag, 6. Dezember, einen neuen Bürgermeister. Wie bei anderen Wahlen auch, spielt die Präsentation im Internet und in den sozialen Medien eine wichtige Rolle – gerade in einem Wahlkampf, der durch die Pandemie eingeschränkt ist, kommt dem digitalen Wahlkampf eine noch größere Bedeutung zu. Kommunikationsberater Holger Hagenlocher, Experte auf diesem Terrain, analysiert den Online-Wahlkampf der Kandidaten.
Um die Nachfolge von Clemens Maier bewerben sich der Trossinger Hauptamtsleiter, Ralf Sulzmann, die Bürgermeisterin von Holzmaden, Susanne Irion, sowie der Spaichinger Gärtner Torsten Kelpin und der Trossinger Raumausstatter Stephen Trewer.
Sulzmann, der von den Freien Wählern und der FDP unterstützt wird, „scheint in fremden Gewässern fischen zu wollen“, stellt Hagenlocher fest. Denn sein Internetauftritt sei „schwarz, geradezu dunkelschwarz, sollte es noch dunkler gehen“. Immerhin setze die blaue und weiße Schrift Akzente und „lockert das düstere Gesamtbild auf“. Während selbst Landes- und Bundespolitiker immer öfter lässig auf die Krawatte verzichteten, „scheint Sulzmann auf seinen Fotos das Tragen derselben geradezu zu zelebrieren“, so Hagenlocher. Dabei setze er auf auch Retro-Chic, denn einige Fotos zeigten ihn mit einer Krawattennadel, „einem Accessoire, das seit vielen Jahren aus der Mode gekommen ist“. So wirke die Seite „durch und durch konservativ“.
Die Rubrik „Über mich“zeige ein Foto, „das seine Wirtschaftsnähe zum Ausdruck bringen soll. Wirtschaft ist wichtig, was er als Verwaltungsbeamter weiß.“
Denn er komme aus einer klassischen Unternehmerfamilie. Die lässige Haltung im dunklen Anzug soll dem Besucher klarmachen: Hier ist einer, der Erfolg hat, einer, der es geschafft hat. Bei seinem Slogan setze er ganz auf die Musikstadt Trossingen. Intelligent schmeichele er ihr: „Eine Stadt, die gut klingt“. Hagenlocher: „Wobei – klingt sie vielleicht doch nicht? Denn bereits im nächsten Satz ist er es selbst, der die Stadt erst zum Klingen bringen will.“
Susanne Irion wird von der CDU, der Offenen Grünen Liste sowie der Wählervereinigung TNG unterstützt. „Ihre Website zeigt sich hell und leuchtend“, stellt Hagenlocher fest. „Ein großformatiges Foto, im Hintergrund das Rathaus von Trossingen. Da will sie hin.“Mit selbstbewusstem Blick und verschränkten Armen strahle sie Siegessicherheit aus. Auf der Internet-Seite zentral positioniert, „zeigt sie, um wen es geht. Sie steht im Mittelpunkt.“
Es dominiere ein mutiger Mix aus Orange-Tönen. „Das leuchtende Rot ihres Blazers hätte offensichtlich zu sozialdemokratisch gewirkt.“Unter dem Foto erkläre sie, warum sie Bürgermeisterin werden wolle: Sie habe das Pendeln satt und möchte deshalb den Job in Trossingen, weil sie zu ihrem Mann Tobias ziehen wolle. Eine Fotogalerie zeige sie umringt und im
Gespräch mit Bürgern, lasse aber wenig Rückschlüsse auf die Anliegen der Bewerberin zu. „Stattdessen erinnert das alles an Influencer bei Instagram. Eine inhaltliche Strategie lässt sich aus der Ansammlung der vielen Fotos nicht erkennen“, so Hagenlocher. Immerhin biete sie den Bürgern eine Möglichkeit der Mitsprache: Über ein Online-Formular könnten diese mitteilen, was ihnen auf dem Herzen liege.
Vom Kandidaten Stephen Trewer lasse sich bei einer Google-Suche keine Internetseite finden, so der Kommunikationsberater. Bei Eingabe der Internetadresse https://stephentrewer.de/ öffne sich dann aber doch die Internetpräsenz des Kandidaten. „Dass die Seite nicht gefunden wird, liegt offensichtlich darin, dass sie textlos ist und keine Informationen zu Trewer enthält.“Zwei Wahlplakate
sowie ein Youtube-Video seien auf der Seite eingebunden. Im Video präsentiere sich der Kandidat „bodenständig ohne Krawatte und Jackett. Den Zuschauern erklärt er im kumpelhaften Du, wo es nach seiner Ansicht in Trossingen klemmt. Das ist sicher authentisch und sympathisch – doch was nützt ein Online-Angebot, das nicht gefunden wird?“
Noch schlechter sieht es beim Kandidaten Torsten Kelpin aus. Hagenlocher: „Offensichtlich bewertet Kelpin seine eigenen Chancen so schlecht, dass er auf jegliche Investition in Internetaktivitäten verzichtet.“
„Betrachtet man die sozialen Medien, erkennt man, dass Ralf Sulzmann erkannt hat, dass diese viel Potenzial bieten“, so Hagenlocher. Fast täglich poste er mehrere Beiträge bei
Facebook und Instagram und zeige sich „hier weit weniger konservativ als auf seinen Internetseiten“. Die wenigen Reaktionen auf seine Beiträge lasse er aber meist unbeantwortet und „verspielt damit die Chance, über die sozialen Medien einen Dialog mit den potenziellen Wählern zu führen“.
Susanne Irion beschränke ihre Social Media-Aktivitäten auf Facebook, wo sie insgesamt etwas weniger aktiv als Sulzmann sei. „Bei den sehr seltenen Kommentaren scheut sie sich nicht, einer aus ihrer Sicht falschen Darstellung entgegenzutreten“. Wie bei Sulzmann sei der Facebook-Auftritt eine Dokumentation von Wahlkampf-Aktivitäten, Besuchen und Gesprächen, so Hagenlocher. „Ein Dialog mit den potenziellen Wählern wird auch bei ihr nicht aktiv angeregt.“
„Die Kandidaten Trewer und Kelpin finden in den sozialen Medien nicht statt“, so der Kommunikationsberater.
Aus den Online-Auftritten der Kandidaten lasse sich erkennen, „dass Trossingen keine Revolution zu erwarten hat. Beide Spitzenkandidaten zeigen sich bodenständig und wertkonservativ“. Eine Zukunftsvision für die zukünftige Entwicklung der Hohner-Stadt lasse keiner der Kandidaten-Auftritte erkennen. Hagenlocher: „Es herrscht gepflegte Langeweile statt Polarisierung. Herausforderungen wie Digitalisierung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit oder die wirtschaftliche Entwicklung in Zeiten des globalen Wettbewerbs scheinen noch sehr weit von Trossingen entfernt zu sein.“