Zeitzeuge des letzten Baubooms im Hohner-Areal
Neue Serie über „Die schönsten Gebäude Trossingens“startet mit dem Kesselhaus
TROSSINGEN (hoc) - Trossingen birgt eine Vielzahl herrlicher Gebäude. Doch gerade die vielen Menschen, die in den vergangenen Jahren neu in die Stadt gezogen sind, wissen meist wenig über die Geschichte der Gebäude, an denen sie tagtäglich vorübergehen. In einer neuen Serie, „Die schönsten Gebäude Trossingens“wollen wir über die Historie markanter Trossinger Bauwerke informieren.
Derzeit liegt es in einem ZwangsDornröschenschlaf: Das Kesselhaus, sonst regelmäßig Schauplatz delikater Kultur-Genüsse, darf im CoronaWinter 2020/21 keinen Rahmen bieten für Veranstaltungen wie Konzerte. Es ist eines der zentralen Bauwerke in einem Ensemble, das jeden Architektur-Liebhaber mit der Zunge schnalzen lässt: dem Hohner-Areal mitten in Trossingen.
Die heutige Kulturfabrik Kesselhaus entstand in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts – einem Jahrzehnt großartigen künstlerischen Schaffens in der Weimarer Republik, dem erst die Nationalsozialisten ab 1933 ein bitteres Ende setzten. Dazu zählten die Malerei des Spätexpressionismus und der Neuen Sachlichkeit und die Architektur des Bauhaus.
Das Hohner-Areal erlebte in jenen Jahren seinen letzten Bauboom, dessen Zeitzeuge das Kesselhaus ist. Es war die frühere Energiezentrale des Unternehmens. Sie besteht aus zwei Teilen, dem Maschinen- und dem Kesselhaus. Errichtet wurde sie als Erweiterung eines Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten Vorgängergebäudes. Mehrere Elemente dieses
Bauwerks wie Türstürze aus Sandstein wurden in die Außenwände des Neubaus integriert.
Das Kesselhaus, das vor knapp 100 Jahren, 1924/25, errichtet wurde, zählt zum Baustil der Moderne. Laut Stadtarchivar Martin Häffner „repräsentiert es die moderne Architektur, die Walter Gropius im Sinn hatte, und die als Bauhaus-Stil Berühmtheit erlangte“. Gropius, Spiritus Rector des Bauhaus, wandte sich gegen das Aufgreifen früherer Stilformen, Charakteristikum des Historismus, wie sie etwa im Anfang des 20. Jahrhunderts gebauten Trossinger Rathaus erkennbar sind. Er wollte exakt geprägte Formen, klare Kontraste, geordnete Glieder, eine Reihung gleicher Teile sowie eine Einheit von Form und Farbe in der Industriearchitektur.
Charakteristisch für das Kesselhaus und das Maschinenhaus sind die hohen Fenster des Hauptgebäudes und das große, pyramidenförmige Oberlicht oben in der Kuppel. Im Inneren gruppieren sich um das Oberlicht quadratische, farblich abgesetzte Segmente einer Betondecke; das wirkt wie eine moderne Kassettendecke.
Am Ende dieser Bauphase entstand der Torbogen hinüber zum Backsteinbau „C“mit der Jahreszahl „1925“. Sie steht für das vorläufige Ende des Harmonika-Booms in der Musikstadt.
Quelle: „Auf den Spuren der Kunst – Architektur, Bildhauerei, Fotografie, Grafik, Malerei in Trossingen“, erschienen 2008, Bericht von Martin Häffner über die „Industriearchitektur des HohnerAreals“.