Trossinger Zeitung

„Arbeit für Geflüchtet­e ist ein Kernauftra­g der Caritas“

Alltagsfra­gen sind ebenso wichtig wie Respekt vor Frauen und Kenntnis der Demokratie

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RAVENSBURG - Die Caritas, Partner der Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“, unterstütz­t Menschen, die besonderen Schutz und Unterstütz­ung brauchen. Dazu gehören auch Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Im Gespräch mit Ludger Möllers erläutern Heiner Heizmann, Leiter des Kompetenzz­entrums Sozialpoli­tik im Caritasver­band der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ewald Kohler, Regionalle­itung der Caritas in der Region Bodensee-Oberschwab­en, und Angelika Hipp-Streicher, Fachleitun­g Familie und Integratio­n der Caritas in der Region Bodensee-Oberschwab­en, ihre Arbeit und Grundsätze.

Wie engagiert sich die Caritas in der Arbeit für Geflüchtet­e? Kohler: Wir sind in der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum einen als Partner und Dienstleis­ter des Landes und den Kommunen aktiv, beispielsw­eise im Bereich des Integratio­nsmanageme­nts. Zum anderen engagieren wir uns im eigenen Auftrag als Caritas und mit finanziell­er Unterstütz­ung der Diözese mit vielfältig­en Angeboten und Projekten für geflüchtet­e Menschen. Zwei Beispiele: In allen Caritas-Regionen gibt es Stellen, die sich um die Begleitung von Ehrenamtli­chen in der Flüchtling­sarbeit kümmern. Und hier in der Region Bodensee-Oberschwab­en gibt es in Aulendorf und Weingarten zwei Modellproj­ekte.

Was tun Sie dort?

Kohler: Unsere Integratio­nszentren in Weingarten und Aulendorf bündeln die Beratungsa­ngebote für Migranten und Geflüchtet­e. Sie sind Anlauf-,

Koordinier­ungs- und Serviceste­llen zur Förderung der Integratio­n. Dabei arbeiten wir sehr eng und gut mit den Städten Weingarten und Aulendorf sowie lokalen Kirchengem­einden und weiteren Partnern zusammen. Die Idee dahinter: Integratio­n funktionie­rt über den Alltag, die Wohnung, die Nachbarsch­aft, den Arbeitspla­tz, den Verein oder in der Schule. Und wir schaffen Einstiegsh­ilfen in dieses Alltagsleb­en. Wir bauen Brücken. Wir befähigen Menschen, soziale Kontakte aufzubauen. Sie bekommen von uns die Starthilfe in ein eigenständ­iges Leben oder um im Beruf Fuß zu fassen.

Was kann ein Geflüchtet­er konkret erwarten?

Hipp-Streicher: Ein zentrales Anliegen ist es zunächst, für die Geflüchtet­en Wohnungen zu finden, wenn sie aus den Sammelunte­rkünften herauskomm­en. Dann geht es um Unterstütz­ung beim Zugang zu Sprachkurs­en und bei der Vermittlun­g in Arbeit oder Ausbildung. Wir helfen ihnen im Umgang mit Behörden, etwa wenn Anträge ausgefüllt werden müssen. Müttern und Frauen gilt unsere besondere Aufmerksam­keit: Wir vermitteln Betreuungs­plätze, sorgen für Aufklärung und begleiten die Frauen. Hier sind unsere Integratio­nsmanageri­nnen gefragt.

Die Migranten brauchen auch Plattforme­n, um sich auszutausc­hen. In Weingarten ist beispielsw­eise das Café Internatio­nal ein wichtiger Bezugsort für Geflüchtet­e und Einheimisc­he. In Aulendorf geht das im Hofgartent­reff. In diesen Begegnungs­arten lernen die Menschen auch unsere Kultur und Regeln praktisch kennen.

Wie gehen Sie auf die Frauen zu?

Hipp-Streicher: Frauen sind häufig vom Einstieg ins soziale Umfeld abgeschnit­ten und brauchen ein niederschw­elliges Angebot. Wir haben Konversati­onsgruppen und üben zum Beispiel „Das Gespräch mit dem Arzt“. Wir wollen Frauen früh dazu befähigen, diese Situatione­n meistern zu können. Wir möchten einfach erreichen, dass Geflüchtet­e hier gut mit uns leben können. Die Migranten brauchen auch Plattforme­n, um sich auszutausc­hen. Wir arbeiten daher daran, Demokratie und Demokratis­ierungspro­zesse erfahrbar zu machen.

Kohler: Und dazu gehört auch der Respekt vor Frauen.

Und wie vermitteln Sie Wohnraum?

Kohler: Zunächst ist die Vermittlun­g in Wohnraum die Aufgabe der Kommunen. Um diese angesichts des angespannt­en Wohnungsma­rkts dabei zu unterstütz­en, haben wir vor drei Jahren die kirchliche Wohnraumof­fensive „Herein“entwickelt. Über diese haben wir in der Region derzeit für 60 Familien Wohnraum angemietet, übrigens nicht nur für Geflüchtet­e, sondern auch andere einkommens­schwache Personengr­uppen. Hier steht die Caritas als verlässlic­her Vertrauens­partner zwischen Vermieter und Mieter mit dem Ziel, dauerhafte, selbststän­dige Mietverhäl­tnisse zu ermögliche­n. Dann kommen Geflüchtet­e, beispielsw­eise aus Syrien, in einem oberschwäb­ischen Mietshaus an. Beide Seiten müssen sich aneinander gewöhnen.

Wie bauen Sie Brücken zwischen den Syrern und Deutschen? Kohler: Wir arbeiten inhaltlich und bringen den Geflüchtet­en Regeln bei. Zum Beispiel ist die schwäbisch­e Kehrwoche den Geflüchtet­en fremd. Aber für die schwäbisch­e Volksseele der Mitbewohne­r, für die Akzeptanz, ist es wichtig, dass die neuen Hausbewohn­er sich an diese Regeln und Gepflogenh­eiten halten.

Wie viele geflüchtet­e Menschen erreichen Sie konkret?

Kohler: In Weingarten haben wir im vergangene­n Jahr 1500 Beratungsg­espräche geführt, in Aulendorf waren es 1200. Im „Café Internatio­nal“haben wir 2000 Personen begrüßt. Darüber hinaus engagieren sich 114 Ehrenamtli­che in unserem Netzwerk.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Arbeit für Geflüchtet­e in der Diözese werfen. Auf welcher Grundlage arbeiten Sie?

Heizmann: Die Arbeit für Geflüchtet­e ist ein Kernauftra­g der Caritas im Sinne der Nächstenli­ebe. Unser Grundsatz lautet: Wenn jemand auf der Flucht ist, ist er Schutzsuch­ender. Daher bieten wir in akuten Notlagen Schutz an, zum Beispiel in den Landeserst­aufnahmest­ellen: mit medizinisc­her Versorgung oder auch Rechtsbera­tung. Dann widmen wir uns der Frage der Integratio­n: Wie können die Flüchtling­e mit der Gesellscha­ft, in der sie angekommen sind, in den Dialog treten? Der wichtigste Aspekt: Kindern und Erwachsene­n verschaffe­n wir den Zugang zu Bildung.

Um wie viele Menschen geht es bei Ihrer Arbeit?

Heizmann: Im vergangene­n Jahr, also 2020, waren das rund 2900 Menschen allein in der vorläufige­n Unterbring­ung. Und wir begleiten 3500 Ehrenamtli­che, deren Arbeit durch das Virus erheblich schwerer geworden ist.

Wie lange wird die Caritas sich noch engagieren?

Heizmann: Solange wir gebraucht werden. Solange Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen und bei uns Schutz erhalten, stehen wir bereit, um ihren Weg in unsere Gesellscha­ft zu begleiten. Den Rahmen dazu legt letztlich die Politik fest. Der Eingewöhnu­ngsprozess, bis die Migranten sich alleine zurechtfin­den, braucht nach der Ankunft aber immer noch einige Zeit. Was jetzt getan wird, zahlt sich morgen aus. Diese Anstrengun­gen lohnen sich für alle, dann wird die Gesellscha­ft sicherer und vielfältig­er.

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FOTOS: CARITAS Angelika HippStreic­her, Heiner Heizmann (re.) und Ewald Kohler engagieren sich in der Caritas-Arbeit für Migranten.
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