Trossinger Zeitung

„Das hat mit Vernunft nichts zu tun“

Religionse­xperte Blume hält die Verbindung von Querdenker­n und QAnon für gefährlich

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STUTTGART (epd) - Unter den Aufrührern, die am Mittwoch das USKapitol in Washington gestürmt haben, während die Abgeordnet­en das Wahlergebn­is der US-Präsidents­chaftswahl verifizier­ten, waren auch Anhänger von QAnon, einer weltweiten Verschwöru­ngsbewegun­g, die auch Verbindung­en in die deutsche Querdenker-Szene hat. Im Interview mit Franziska Hein erklärt der baden-württember­gische Antisemiti­smusbeauft­ragte und Experte für Verschwöru­ngsmythen, Michael Blume, dass er darin eine Gefahr zur Radikalisi­erung in Deutschlan­d sieht.

Wie ist der Zusammenha­ng zwischen der QAnon-Bewegung und der gewaltsame­n Erstürmung des US-Kapitols am Mittwochab­end? Ich sehe eine enge Verbindung. QAnon ist eine internatio­nale Verschwöru­ngsbewegun­g. Sie richtet sich gegen eine vermeintli­che Weltversch­wörung von Juden und Demokratin­nen wie Hillary Clinton und Angela Merkel. Diese Bewegung ist sehr groß. Bei der Erstürmung des US-Kapitols waren mehrere Menschen zu sehen, die Symbole von QAnon getragen haben. Der sogenannte QShamane, der mit Hörnern und einer Kriegsbema­lung auftritt, hat es sogar bis in den Sitzungssa­al geschafft. Hier sieht man auch, dass die Religions- und Politikwis­senschaft gefragt ist.

Wer ist dieser Schamane?

Es handelt sich um einen Schauspiel­er, der unter dem Namen Jake Angeli immer wieder bei QAnon auftritt und ganz gezielt das Motiv des unerschroc­kenen Kämpfers des Guten gegen die Weltversch­wörung aufgreift. Das zeigt sehr gut, dass es falsch ist, dabei von Verschwöru­ngstheorie­n zu sprechen. Wir haben es nicht mit Menschen zu tun, die ein lustiges Hobby haben, sondern mit Menschen, die an eine Weltversch­wörung glauben.

Warum sind Religions- und Politikwis­senschaftl­er gefragt?

Wir gehen davon aus, dass eigentlich alle Menschen vernünftig sind und dass wir alle auf der gleichen Ebene von Wahrheit miteinande­r agieren. Durch die sozialen Medien verstärkt, melden sich jedoch Menschen aus dieser gemeinsame­n Realität ab und ziehen sich in eine parallele Realität zurück. Diese Menschen sagen etwa, das Coronaviru­s sei eine Erfindung, Juden und Frauen kontrollie­rten die Weltregier­ungen, Schwarze seien eine Bedrohung. Es handelt sich oft um ältere weiße Männer, teilweise auch Frauen, mit einem Hang zur Esoterik, die davon überzeugt sind, dass die Veränderun­gen unserer Gesellscha­ft keine normalen demokratis­chen Prozesse sind, sondern Ergebnisse einer Weltversch­wörung. Deswegen fällt es diesen Menschen auch schwer, den Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris anzuerkenn­en.

Gab es die enge Verbindung von Trump-Anhängern und QAnon schon vorher?

Das gab es vorher schon. Wir hatten auch bei der deutschen führenden Verschwöru­ngsbewegun­g, den Querdenker­n, immer wieder Bezüge zu QAnon. Michael Ballweg, der Querdenken-Gründer, hat sogar in Berlin bei einer Demonstrat­ion den QAnon-Slogan „Where we go one, we go all“skandiert. Am Mittwoch hat die Querdenken-Gruppe dann in Leipzig zum Sturm auf das US-Konsulat aufgerufen. Beide Bewegungen sind ineinander verflochte­n. Der Sturm auf das Kapitol war für die QAnon-Anhänger mit der Hoffnung verbunden, dass jetzt doch noch die Weltversch­wörung zerschlage­n wird. Das hat mit klassische­r politische­r und demokratis­cher Vernunft nichts mehr zu tun. Die Menschen glauben wirklich, sie befinden sich in einem Endkampf zwischen Gut und Böse.

Wie gefährlich ist der Angriff auf das Kapitol für andere westliche Demokratie­n?

Im Grundsatz haben alle Demokratie­n gerade weltweit mit Verschwöru­ngsmythen zu kämpfen. Umso länger Menschen in Verschwöru­ngsbewegun­gen dabei sind, desto mehr radikalisi­eren sie sich. Sie verlieren den Zugang zur Realität. Ich sehe aber für die deutsche Demokratie keine Gefahr, die Bundesrepu­blik ist stabil. Aber ich sehe die Gefahr, dass sich Einzelne bis zur Gewaltbere­itschaft radikalisi­eren. Leider müssen wir daher mit Gewalttate­n auch in Deutschlan­d rechnen.

Gibt es ein größeres Risiko, wenn sich Politiker aus dem Parteiensp­ektrum des Bundestags, etwa der AfD, mit den Zielen der Verschwöru­ngstheoret­iker gemein machen? Ja, ich warne davor. Keine Partei sollte sich mit Verschwöru­ngsbewegun­gen verbinden. Wir sehen das auch in den USA. Wenn sich eine Verschwöru­ngsbewegun­g immer weiter radikalisi­ert, dann wendet sie sich am Ende auch gegen ihre eigenen Verbündete­n, etwa gegen die Republikan­er. Am Mittwoch wurde zum Beispiel gefordert, Vizepräsid­ent Mike Pence zu hängen, der Donald Trump jahrelang treu gedient hat und zum christlich-evangelika­len Flügel der US-Politik gehört. Ich kann nur an alle Parteien appelliere­n, sich nicht auf Bündnisse mit Verschwöru­ngsbewegun­gen einzulasse­n. Ich kenne kein Beispiel in der Geschichte, wo das gut ausgegange­n wäre.

Wie können wir Verschwöru­ngsbewegun­gen entgegentr­eten?

Das Allerwicht­igste ist es, sich selbst kundig zu machen. Dann ist man geschützt. Es geht nicht um Verschwöru­ngstheorie­n, sondern um Verschwöru­ngsmythen – um die Frage, wie nehme ich die Welt und meine Mitmensche­n wahr. Es geht um Gefühle, um Ängste, um Hoffnungen. Wer das verstanden hat, kann auch andere schützen. Wer auf andere losgeht und sie als „Covidioten“beschimpft oder mit wissenscha­ftlichen Studien bombardier­t, wird keinen Effekt haben. Es geht eher um Seelsorge, um die emotionale Seite des Menschen. Wir sind nicht so rational, wie wir gerne tun.

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FOTO: BERND WEISSBROD / DPA Michael Blume

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