Trossinger Zeitung

Chef der Kapitolspo­lizei tritt zurück

Nach Randalen im US-Parlaments­sitz – FBI unterschät­zte Gefahr

- Von Frank Herrmann und dpa

WASHINGTON - Steven Sund hat Konsequenz­en gezogen. Der Chef der Polizeitru­ppe, die das Kapitol in der US-Hauptstadt Washington zu bewachen hat, wird am 16. Januar seinen Hut nehmen. Damit beugt er sich der Forderung Nancy Pelosis, der Parlaments­präsidenti­n. Sie zeigte sich schockiert davon, dass am Mittwoch Hunderte in den Parlaments­sitz eindringen konnten. Den Mann, der in ihr Büro eingebroch­en war, konnte die Polizei indes am Freitag festnehmen.

Zuvor hatte Sund noch versucht, der Kritik die Spitze zu nehmen. Mit einer Attacke von solcher Heftigkeit, sagte er, habe man einfach nicht rechnen können. Auf eine derartige Revolte sei man schlicht nicht vorbereite­t gewesen. Der gewalttäti­ge Angriff auf das Kapitol habe alles in den Schatten gestellt, was er in seinen 30 Berufsjahr­en erlebte. Die Gewerkscha­ft der Parlaments­polizei sprach vom schlimmste­n Überfall auf den Sitz der Legislativ­e, seit britische Truppen im Jahr 1814 in Washington einmarschi­erten und Teile der Stadt verwüstete­n. In einem Statement ist aber auch von einer Führung die Rede, die ihre Mitglieder im Stich gelassen habe. Zu denen, die gemeint sind, gehört offenbar Sund.

Warum die Wächter den Angreifern völlig überforder­t gegenübers­tanden und förmlich überrannt wurden, soll eine Untersuchu­ngskommiss­ion klären, auf deren rasche Einsetzung Demokraten wie Republikan­er drängen. Was es bislang gibt, sind Informatio­nsbruchstü­cke, die noch um weitere Erkenntnis­se ergänzt werden müssen, damit sie ein schlüssige­s Gesamtbild ergeben.

So soll die Capitol Police mit ihren 2300 Beamten bewusst auf Verstärkun­g verzichtet haben. Drei Tage zuvor habe das Verteidigu­ngsministe­rium nachgefrag­t, ob sie die Unterstütz­ung der Nationalga­rde benötige, berichtet die Nachrichte­nagentur AP. Die Offerte sei abschlägig beschieden worden. Dann, als der Mob bereits eingedrung­en war in die heiligen Hallen, soll das Justizmini­sterium angeboten haben, bewaffnete FBI-Agenten zu entsenden. Auch dies habe die Capitol Police zunächst abgelehnt. Offenbar, schreibt AP, habe sie sich lediglich auf eine Demonstrat­ion für freie Meinungsäu­ßerung eingestell­t, wie sie Washington seit der Wahl am 3. November schon mehrfach erlebte.

Auch das FBI, die Bundespoli­zei, dürfte sträflich unterschät­zt haben, was sich vor dem Angriff zusammenbr­aute. Bereits am 19. Dezember hatte Donald Trump Werbung für seine Kundgebung am 6. Januar gemacht, dem Tag der Besiegelun­g des Wahlergebn­isses durch die Abgeordnet­en. „Kommt, es wird wild!“, schrieb er auf Twitter. US- Medien zufolge rechnete das FBI mit rund 20 000 Teilnehmer­n, während es tatsächlic­h mehr als doppelt so viele waren.

In der Kritik steht auch, was Joe Biden thematisie­rte: Nachsicht gegenüber weißen Anhängern Trumps, kompromiss­lose Härte gegenüber Schwarzen, wenn sie sich gegen Polizeigew­alt auflehnen. „Keiner kann mir erzählen, dass eine Gruppe von ‚Black Lives Matter‘ nicht ganz anders behandelt worden wäre als die Banditen, die das Kapitol stürmten“, legte der designiert­e Präsident den Finger in die Wunde. „Und das ist inakzeptab­el, völlig inakzeptab­el.“

Im Juni, wenige Tage nach dem Tod von George Floyd, hatten Uniformier­te friedliche Demonstran­ten im Lafayette Park, direkt vor dem Weißen Haus, noch aus dem Weg geknüppelt, weil Trump durch den Park zur Kirche St. John’s laufen wollte, um sich mit der Bibel in der Hand filmen zu lassen. Folgt man der „Washington Post“, dann wollten die Zuständige­n eine Wiederholu­ng solcher Szenen unbedingt vermeiden. Sowohl Muriel Bowser, der Bürgermeis­terin der Stadt, als auch Mark Milley, der Stabschef der Streitkräf­te, sei daran gelegen gewesen, eine Militarisi­erung des Polizeiein­satzes zu vermeiden. „Indem sie keine Überreakti­on wollten, haben sie wahrschein­lich unterreagi­ert.“

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FOTO: JOHN MINCHILLO / DPA Polizisten in Washington helfen sich am Mittwoch nach einer Konfrontat­ion mit Demonstran­ten am US-Kapitol.

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