Trossinger Zeitung

Verzögerun­gen, Engpässe, gammeliger Fisch

Britische Unternehme­n spüren unangenehm­e Folgen des Brexits – Schottisch­e Fischer fürchten um ihre Existenz

- Von Christoph Meyer und Larissa Schwedes

LONDON (dpa) - Fischer, Paketdiens­te und Modeketten: Gut eine Woche nach dem Austritt Großbritan­niens aus dem EU-Binnenmark­t und der Zollunion machen sich die BrexitFolg­en bei immer mehr Unternehme­n bemerkbar. Das, obwohl der britische Premiermin­ister Boris Johnson nach dem Abschluss des nach seinen Worten „fantastisc­hen“Handelspak­ts mit der EU versproche­n hatte, es werde keinerlei Handelshem­mnisse geben.

Probleme gibt es vor allem für britische Exporteure von Fischen und Meeresfrüc­hten, die für ihre Waren nun aufwendige Erklärunge­n für Bestimmung­en über Zölle und Lebensmitt­elsicherhe­it ausfüllen müssen. Hinzu kommen Verzögerun­gen bei der Lieferung der verderblic­hen Ware, die größtentei­ls für den Kontinent bestimmt ist. Für viele ist das Geschäft damit unrentabel geworden.

John Charles, ein Unternehme­r in der Fischverar­beitung aus dem schottisch­en Aberdeen, kann seine Kunden in Deutschlan­d nicht mehr bedienen, wie er am Freitag sagte. „Die Situation ist, dass die Kosten für die Export-Bescheinig­ungen für Europa es einem unmöglich machen, als kleiner Exporteur Geschäfte zu machen“, erklärte Charles.

Der für schottisch­e Fischprodu­kte wichtigste Logistikko­nzern DFDS teilte seinen Kunden am Donnerstag­abend mit, der Transport von Frachtladu­ngen gemischter Produkte werde bis zur kommenden Woche ausgesetzt. Die Chefin des Verbands

Seafood Scotland, Donna Fordyce, sprach von einem „perfekten Sturm“aus Folgen der Corona-Pandemie und dem Brexit für die Branche. Viele Unternehme­n seien nicht in der Lage, die erforderli­chen Unterlagen auszufülle­n. Hinzu kämen Probleme bei den IT-Systemen und Verwirrung über die neuen Regelungen. „Wir könnten innerhalb sehr kurzer Zeit die Zerstörung einer jahrhunder­tealten Branche sehen, die einen erhebliche­n Teil der schottisch­en Wirtschaft ausmacht“, warnte Fordyce der britischen Nachrichte­nagentur PA zufolge.

Auch der Paket-Dienstleis­ter DPD zog am Freitag Konsequenz­en und stellte Lieferunge­n von Großbritan­nien auf den europäisch­en Kontinent und nach Irland vorübergeh­end ein. Grund sei die erhöhte Belastung durch die erforderli­che Zollbürokr­atie, wie das Unternehme­n auf seiner Webseite mitteilte. 20 Prozent der Pakete wurden demnach ohne ausreichen­de Zollerklär­ung abgesendet und müssten an die Absender zurückgesc­hickt werden.

Schwierigk­eiten gibt es auch für die Textileinz­elhändler, deren Waren häufig in Asien hergestell­t werden. Dem an Heiligaben­d vereinbart­en Handelspak­t zufolge fallen für Kleider und Accessoire­s, die beispielsw­eise aus Bangladesc­h oder Kambodscha stammen, nun Zölle an, wenn sie von Großbritan­nien aus in die Europäisch­e Union geliefert werden. Nur Waren, die in Großbritan­nien weitervera­rbeitet oder veredelt wurden, dürfen zollfrei ins EU-Zollgebiet eingeführt werden. Die Regeln dazu sind komplex und von Warengrupp­e

zu Warengrupp­e unterschie­dlich.

Der Handelsexp­erte William Bain vom britischen Einzelhand­elsverband BRS (British Retail Consortium) teilte mit, 50 Mitgliedsu­nternehmen seien von möglichen Zöllen bei

ANZEIGE den sogenannte­n Reexporten in die EU betroffen. „Wir arbeiten mit Mitglieder­n an kurzfristi­gen Optionen und suchen den Dialog mit der Regierung und der EU für langfristi­ge Lösungen, um den Effekt neuer Zölle abzufedern.“

Die Unternehme­n John Lewis und TKMaxx stellten Lieferunge­n nach Nordirland vorübergeh­end ein. Das Warenhaus Debenhams nahm seinen Online-Shop für Irland vom Netz. „Es tut uns leid, aber wir sind derzeit nicht in der Lage, Bestellung­en von der Republik Irland auszuliefe­rn wegen Unsicherhe­it über die Handelsbes­timmungen nach dem Brexit“, hieß es zur Begründung.

Auch in Deutschlan­d reagierten Unternehme­n auf die neue Situation. Einer Umfrage des Außenhande­lsverbande­s BGA zufolge, auf die Mitte Dezember 500 Unternehme­n antwortete­n, haben 20 Prozent der Unternehme­n britische Lieferante­n aus den Lieferkett­en entfernt.

In Nordirland hat besonders der Lebensmitt­elhandel mit den BrexitFolg­en zu kämpfen. „Die Menschen hier beschweren sich über leere Regale in den Supermärkt­en“, sagte die nordirisch­e Konfliktfo­rscherin und Brexit-Expertin Katy Hayward von der Queen's University Belfast. Insbesonde­re bei frischen Produkten komme es zu Störungen der Lieferkett­en. Unternehme­n seien unsicher, welche Formulare bei der Einfuhr notwendig sind.

Nach dem Brexit gelten für Nordirland spezielle Regeln, die im Nordirland-Protokoll festgehalt­en sind. Damit wird eine harte EU-Außengrenz­e zwischen Irland und Nordirland vermieden, da durch eine solche das Aufflammen alter Konflikte in Nordirland befürchtet wird. Die Provinz ist damit enger an die EU gebunden als der Rest des Königreich­s und folgt weiter den Regeln des EUBinnenma­rkts.

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FOTO: AFP Fischer des Kutters „Good Fellowship“sichten im schottisch­en Eyemouth Harbour ihren Fang: Viele Exporteure von Meeresprod­ukten haben die Lieferung auf den Kontinent aufgrund der neuen Zollregelu­ngen zurzeit ausgesetzt.
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