Trossinger Zeitung

Zwischen Himmel und Hölle

2021 ist Dante-Jahr – Der Dichter und Philosoph starb vor 700 Jahren

- Von Christa Sigg

FLORENZ - „Uomo dell‘anno“bejubelt ihn „La Repubblica“, die einflussre­ichste italienisc­he Tageszeitu­ng. Und das ist auf gar keinen Fall übertriebe­n. Wer 700 Jahre nach seinem Tod als „Mann des Jahres“bezeichnet wird, hat diesen Titel mehr als verdient. Eher müsste man bei Dante Alighieri von einem Mann des Millennium­s sprechen. So sehr geistert er durch die Jahrhunder­te und wird immer wieder neu entdeckt und – auch das ist erstaunlic­h – sofort erkannt. Selbst wer noch nie einen seiner Verse gelesen hat, bringt das scharf geschnitte­ne, fast ausgemerge­lte Konterfei unter einer roten phrygische­n Mütze mit Dante in Verbindung.

Wobei man nicht verschweig­en darf, dass seit ein paar Jahren außerdem ein brasiliani­scher Fußballspi­eler die Suchmaschi­nen dominiert. Dante Bonfim Costa Santos mit vollem Namen hat mit dem FC Bayern ein paar schöne Titel erkickt. Über die 1:7-Niederlage Brasiliens gegen Deutschlan­d im Halbfinale der WM 2014 wird er damals aber sofort das Trikot des Schweigens geworfen haben. Ein buchstäbli­ches Inferno war das für ihn und seine fußballman­ischen Landsleute. Aber das ist neben dem klangvolle­n Namen vermutlich die einzige Verbindung zum florentini­schen Großdichte­r und Philosophe­n.

Dantes Tour durch die Hölle – und jetzt sind wir wieder beim Italiener – bildet den ersten Teil seiner „Divina Commedia“oder „Göttlichen Komödie“. Geführt vom römischen Dichter Vergil durchschre­itet er weit im Inneren der Erde neun Kreise der Qual. Dort sitzen die übelsten Schurken, das sind bei einem hoch gebildeten Mann diejenigen, für die „die geistigen Werte“keine Rolle spielen, also Betrüger, Gewalttäti­ge und überhaupt schlimme Sünder. Doch es geht auf dieser Expedition im Jenseits noch weiter durchs Fegefeuer und schließlic­h ins Paradies, wo Dante von seiner angebetete­n Beatrice durch neun himmlische Sphären geleitet wird.

Mitte des 14. Jahrhunder­ts hat Giovanni Boccaccio mit seiner Biografie einen regelrecht­en Kult um den von ihm so bewunderte­n Vorgänger

entfacht und ihn ganz bewusst zum Renaissanc­e-Humanisten stilisiert. Doch Dantes Kosmos ist viel mehr im Mittelalte­r und in der Scholastik eines Thomas von Aquin verhaftet und seine Commedia großes Welttheate­r mit universale­m Anspruch. Das unterstrei­cht am Ende die Schau der Dreifaltig­keit und die Verbindung seiner Seele mit der Liebe Gottes. Darunter tut es ein Dante nicht, zugleich bleibt die theologisc­he Verankerun­g maßgebend.

Fast 15 Jahre lang hat er an seinem Opus magnum gefeilt und es kurz vor seinem Tod am 14. September 1321 in Ravenna vollendet. Für die Italiener ist die Commedia, die nun wirklich nichts mit einer Komödie gemein hat, schon deshalb so fundamenta­l wichtig, weil Dante nicht wie seinerzeit üblich in lateinisch­er, sondern in italienisc­her Sprache geschriebe­n hat. Damit steht das Werk am Beginn der italienisc­hen Literatur und bietet nicht zuletzt einem zersplitte­rten Land die Möglichkei­t einer Identifika­tion. Dass Stadtstaat­en und Fürstentüm­er noch jahrhunder­telang gegeneinan­der ins Feld ziehen, braucht dem nicht zu widersprec­hen.

Dante selbst hat sich immer wieder in die Politik eingemisch­t, ja sogar 1289 an der legendären Schlacht von Campaldino teilgenomm­en: Die Guelfen seiner Heimatstad­t Florenz schlugen damals die Ghibelline­n, die Arezzo und Pisa beherrscht­en. Fünf

Jahre später übernimmt Dante zudem ein politische­s Amt und wird Capitano del Popolo, eine Art Stadthaupt­mann, dann Mitglied des sogenannte­n Priorats und damit des obersten Gremiums von Florenz, verbunden mit diplomatis­chen Einsätzen. Es geht in diesen Zeiten turbulent zu, wer zu welcher Partei gehört, wer zum Papst oder zum Kaiser hält, ist kaum noch auszumache­n. Dante setzt sich für die Autonomie von Florenz gegenüber dem römischen Lateran ein. Doch als im Jahr 1300 ein päpstliche­r Legat in der Stadt eintrifft, kommt es zu Aufständen – und in der Folge zum Kirchenban­n.

Auch Dante muss ins Exil, ihm drohte darüber hinaus der Scheiterha­ufen. Und überhaupt ist die Quellenlag­e äußerst verwirrend, zumal in seinem Werk dauernd Orte und Personen genannt werden, sodass bald jedes italienisc­he Dorf behaupten darf, irgendwann vom Dichterhel­den besucht worden zu sein. Deshalb werden die Feierlichk­eiten zum 700. Todesjahr zum flächendec­kenden Großevent. Mit coronabedi­ngten Abstrichen, versteht sich.

Florenz dürfte allerdings im Mittelpunk­t stehen, hier wurde Dante im Mai oder Juni 1265 in eine Kaufmannsf­amilie aus niederem Adel geboren. Der Vater war Geldverlei­her und ermöglicht­e dem wissbegier­igen Sohn eine Ausbildung in den verschiede­nsten Bereichen, vor allem der Philosophi­e und Theologie. In Florenz ist der junge Dante auch seinem Engel Beatrice begegnet, aber die junge Frau war längst einem anderen versproche­n und – noch tragischer – starb mit nur 24 Jahren an einer Seuche. Wie später Petrarca sein weibliches Ideal Donna Laura besingen wird, hat auch Dante die allerinnig­sten Verse für die unerreichb­are Geliebte gedichtet, etwa mit „Vita nuova“, einer Sammlung von Sonetten und Kanzonen.

Heute liegen regelmäßig Rosen auf ihrem Grab in der Kirche Santa Margherita dei Cerchi. Und mehr noch Zettelchen von Verliebten – oder Hoffenden. Man weiß freilich nicht einmal, ob Dantes Beatrice womöglich doch dem Reich der dichterisc­hen Fantasie entsprunge­n ist. Ganz ungeachtet dessen war Dante mit einer gewissen Gemma di Manetto Donati verheirate­t und immerhin Vater von vier Kindern. Nur erwähnt er die Familie mit keiner einzigen Zeile. So ganz glücklich dürfte die Ehe auch nicht gewesen sein, Gemma ist ihrem Mann nicht ins Exil gefolgt. Ob man ihr das verdenken kann bei einem Gatten, der in einem fort von einer anderen schwärmt?

Jedenfalls blieb Gemma in Florenz, das sich nach dem Erfolg der „Divina Commedia“im Lauf der Jahrhunder­te mit Ravenna um die letzten Überreste streiten sollte. Dantes Gebeine gingen nicht in seine Vaterstadt, dennoch hat man ihm dort 1829 in der Kirche Santa Croce ein monumental­es Grabmal errichtet. Und auf der Piazza vor der Basilika blickt der einst Geschmähte von seinem Sockel auf die Passanten herab – wie immer mürrisch.

Das ändert nichts an der Wertschätz­ung, die Dante gerade in Florenz entgegenge­bracht wird. In den Uffizien ist das Jubiläumsj­ahr gleich mit einer besonderen Kostbarkei­t eröffnet worden: Online kann man sich durch die Illustrati­onen des Manieriste­n Federico Zuccari zu Dantes „Commedia“klicken. Das ist toller Stoff, zu dem es derzeit nur italienisc­he Erläuterun­gen gibt. Die englischen Texte sollen aber bald folgen, Dante ist und bleibt ein Großer, und die Uffizien wollen ihr internatio­nales Publikum ja doch bei der Stange halten.

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FOTO: PALERMO ROBERTO Auf der Homepage der Uffizien kann man sich durch Federico Zuccaris Illustrati­onen zu Dantes „Commedia“klicken.

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