So reagieren Stadt und Amazon auf Kritik
Bürger-Protest und Warnungen von außen: Verwaltung sagt, sie will Diskussion versachlichen
TROSSINGEN - Von innen und außen hagelt es dieser Tage Kritik für die geplante Ansiedlung eines Amazon-Verteilzentrums: Die BI Schura sammelt Unterschriften gegen das Vorhaben, Günther Kapphan formulierte einen offenen Brief an die Einzelhändler, Tuttlingens OB Michael Beck warnte die Fraktionsvorsitzenden in einem Brief vor den Konsequenzen der Ansiedlung (wir haben berichtet). Sowohl die Trossinger Stadtverwaltung als auch der Internetriese selbst versichern nun, die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen.
„Während sich viele derzeit auf Amazon konzentrieren, würden wir uns lieber auf den Trossinger Einzelhandel konzentrieren“, sagt Hauptamtsleiter Ralf Sulzmann auf Nachfrage unserer Zeitung. „Der Einzelhandel darf ab nächster Woche übrigens wieder ,Click & Collect’ anbieten. Der Kunde darf seine vorbestellten Waren also wieder selbst abholen. Wobei die Hoffnung natürlich eine generelle Öffnung ab spätestens Februar ist.“
Allen Beteiligten sei klar gewesen, dass der Name „Amazon“im Rahmen einer Gewerbeansiedlung „sicher für Diskussionen sorgen wird“. Wie Sulzmann betont, sei es „daher sicher keine einfache Entscheidung, die der Gemeinderat zu treffen hatte.“Unter Abwägung aller Argumente sei dem Grundstücksverkauf mit großer Mehrheit zugestimmt worden.
„Dass Sorgen und Ängste von Seiten der Bevölkerung aufkommen würden, sehen wir nun ja bestätigt. Diese müssen natürlich ernst genommen werden“, meint der Hauptamtsleiter. „Unsere Aufgabe als Verwaltung ist dabei die Versachlichung der Diskussion. Wichtig ist es vor allem, wie die Gewerbeansiedlung gestaltet wird.“Dies solle über einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan geschehen. „Dabei hat der Gemeinderat eben unter Beteiligung der Öffentlichkeit sehr weitreichende Einflussmöglichkeiten auf das Projekt, vor allem bei Umweltbelangen und der Verkehrsanbindung.“
Zu diesen Themen seien, so Sulzmann, gegenüber dem Investor bereits Vorgaben gemacht worden , die auch gutachterlich überprüft werden. „Noch stehen wir am Anfang dieses Prozesses, in den die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger dann einbezogen und geprüft werden“, sagt er. Vor dem eigentlichen Start in das Verfahren will die Stadt kurzfristig Informationen zu den Planungen auf der städtischen Internetseite bereitstellen, „so dass sich jeder vorab unabhängig informieren kann“.
Beck hatte in seinem Brief darauf hingewiesen, dass das Verteilzentrum in Messkirch sich in Tuttlingen in Form von zugeparkten Straßen und Sammelunterkünften bemerkbar mache. Wie Ralf Sulzmann auf Anfrage mitteilte, liege der Stadtverwaltung kein Schreiben des Tuttlinger Oberbürgermeisters vor. „Nach unserem Kenntnisstand wurde dieses lediglich an die Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderates versandt“, sagt er. „Daher können wir zu dem Brief keine Stellung nehmen, unter anderem, weil wir es für besser halten, miteinander anstatt übereinander zu reden.“
Sulzmann betont auch, dass die von Beck angeführten Themen („Und viele mehr“) im Rahmen der Entscheidungsfindung diskutiert worden seien. „Es wurde daher großen Wert darauf gelegt, dass die Lieferfahrzeuge eben nicht in Wohngebieten abgestellt werden. Hierfür wird seitens des Käufers in die Unterbringung der Lieferfahrzeuge auf dem Grundstück investiert“, teilt er mit und verweist damit auf das Parkhaus, das der Onlineriese nach eigenen Angaben neben dem Verteilzentrum plant. „Im Interesse eines geringen Platzverbrauchs auch auf mehreren Ebenen. Elektrische Lieferfahrzeuge müssen ohnehin auf dem Grundstück abgestellt werden, da sie hier aufgeladen und später eben auch beladen werden“, fügt Sulzmann hinzu.
OB Beck schreibt weiter, dass in mehreren Gebäuden in Tuttlingen
Amazon-Mitarbeiter auf engstem Raum einquartiert sind. Sulzmann dazu: „Die Unterbringung von Arbeitnehmern in Sammelunterkünften sehen wir nicht und würden uns auch entschieden dagegen einsetzen.“Ziel der Ansiedlung des neuen Gewerbebetriebs sei es, Arbeitsplätze für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zu schaffen. „Trossingen kann in der Tat noch einige Arbeitsplätze für verschieden qualifizierte Arbeitnehmer vertragen. Gleiches gilt für die Steuereinnahme aus der Gewerbesteuer und den Einkommenssteueranteilen. Die Einnahmesituation des Trossinger Haushalts ist leider deutlich geringer als beim „großen Bruder“Tuttlingen mit Steuereinnahmen am obersten Ende der Skala“, sagt er. Die Gewerbesteuereinnahmen sollen sich wie berichtet im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich bewegen.
„Es pendeln zwar täglich viele Arbeitnehmer nach Trossingen ein, aber deutlich mehr müssen zur Arbeit immer noch auspendeln“, stellt Ralf Sulzmann fest. „Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort sollen letztlich diese Pendlerbewegungen und der damit zusammenhängende Verkehr reduziert werden.“
Kooperationen mit anderen Verwaltungen schließt die Stadt nicht aus. „ Im Gegenteil: Bisher und auch in Zukunft praktizieren wir gerne einen offenen und konstruktiven Austausch mit anderen Verwaltungen und haben generell ein sehr gutes Miteinander unter den Gemeindeund
Stadtverwaltungen. Nachdem was wir der Presse entnehmen konnten, war dies auch die maßgebliche Botschaft des Briefs aus Tuttlingen“, so Ralf Sulzmann.
Auch bei Amazon ist die Kritik aus Trossingen inzwischen nicht unbemerkt geblieben. „ Als guter Nachbar und verantwortungsvolles Unternehmen nehmen wir solche Angelegenheiten ernst. Wir arbeiten mit der Stadtverwaltung zusammen, um alle Fragen der Gemeinde zu klären“, teilt Amazon-Sprecherin Nadiya Lubnina auf Anfrage unserer Zeitung mit. Was die Folgeerscheinungen des Messkircher Verteilzentrums in Tuttlingen betrifft, stehe Amazon in Kontakt mit der Stadtverwaltung Tuttlingen und arbeite an der Lösung der Parksituation. „In der Zwischenzeit haben wir unsere Lieferpartner angesprochen und sie gebeten, ihre Mitarbeiter darauf aufmerksam zu machen, dass sie verkehrsgerecht parken sollen“, so Lubnina.
Die Darstellung, dass AmazonMitarbeiter in Sammelunterkünften unterbracht werden, sei falsch, betont sie. „Amazon stellt seinen Mitarbeitern keine Wohnungen zur Verfügung. Unseren Lieferpartnern ist es untersagt, ihren Mitarbeitern Wohnraum zur Verfügung zu stellen und Miete vom Lohn abzuziehen.“Sollten sich allerdings Mitarbeiter aus eigenen Stücken zusammenschließen und gemeinsam auf Wohnungssuche gehen, so Lubnina, könne das Unternehmen das natürlich nicht verhindern.