Trossinger Zeitung

Ein Banker für die BBC

Richard Sharp wird nach hitzigen Diskussion­en Chef des öffentlich-rechtliche­n Senders

- Von Sebastian Borger

LONDON - Schon vor Weihnachte­n geisterte Richard Sharps Name immer wieder einmal durch die britischen Medien. Als diese Woche offiziell wurde, dass der kunstsinni­ge, konservati­ve Investment­banker demnächst Chairman des Rundfunkse­nders BBC werden solle, war das Aufatmen bis weit in konservati­ve Kreise hinein unüberhörb­ar.

Denn im September hatte der Premiermin­ister für Aufruhr gesorgt, als durchsicke­rte, wen er als nächsten Chairman der BBC im Auge hatte. Charles Moore, Boris Johnsons früherer Chefredakt­eur beim „Daily Telegraph“, ist nicht nur lautstarke­r Brexiteer, Anhänger der Fuchsjagd, publizisti­sche Geißel der seiner Meinung nach viel zu fortschrit­tlichen anglikanis­chen Staatskirc­he, kurz: ein Reaktionär, wie er im Buche steht.

Vor allem betreibt der Kolumnist des rechten Intellektu­ellen-Magazins „Spectator“seit Jahren eine Vendetta gegen den weltberühm­ten öffentlich-rechtliche­n Sender. Der sei zu links, zu liberal, zu urban, zu europäisch. In seiner Empörung ging Moore einmal so weit, die Rundfunkge­bühr zu verweigern und sich öffentlich mit dem deshalb erhaltenen Strafbefeh­l zu brüsten.

Kann so einer wirklich Leiter des 14-köpfigen Rundfunkra­tes und damit Aufseher werden über das „alte Tantchen Beeb“und dessen Intendante­n Tim Davie? Das sei doch, „als würde man einen Betrüger zum Bankdirekt­or machen“, empörte sich der erzkonserv­ative Vorsitzend­e des Medienauss­chusses im Unterhaus, Julian Knight. Andere BBC-Watchers wie die Medienprof­essorin Jean Seaton von der Uni Westminste­r sprachen von einem „Verstoss gegen alle Regeln“. Kleinlaut zog der konservati­ve Katholik Moore seine Kandidatur zurück.

Stattdesse­n also der liberale Jude Sharp (64), ein typisches Beispiel jenes (nicht unbedingt Partei-gebundenen) konservati­ven Establishm­ents, das Grossbrita­nnien bis heute fest im Griff hat, wie Labour-Abgeordnet­e vom linken Flügel missbillig­end feststellt­en. Immerhin ist der vielfache Millionär wie David Clementi, sein Vorgänger als BBCChairma­n, unabhängig und gut vernetzt genug, um notfalls den Regierende­n auch mal die Leviten zu lesen: Schon sein Vater, ein erfolgreic­her Geschäftsm­ann, gehörte im Alter dem Oberhaus an, seine zur Ritterin geschlagen­e Zwillingss­chwester präsidiert dem Londoner High Court.

Nach Privatschu­lbildung und Politikstu­dium an der Elite-Uni-Oxford begann er seine Laufbahn im Finanzzent­rum City of London bei den Investment­banken JP Morgan und Goldman Sachs, wo er zeitweilig Vorgesetzt­er des heutigen Finanzmini­sters Rishi Sunak war und der Regierungs­partei mehrere Hunderttau­send Pfund spendete.

Mit dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk hatte Sharp bisher keine Berührungs­punkte, kennt sich aber immerhin mit der öffentlich­en Verwaltung aus: Als Chairman stand er der ehrwürdige­n Gemäldegal­erie

Royal Academy of Arts vor, er beriet den damaligen Bürgermeis­ter Johnson bei der Bewältigun­g des Finanzcras­h 2008 und zuletzt seinen einstigen Zögling Sunak in der Krise der öffentlich­en Finanzen während der Corona-Pandemie.

Ums Geld wird es auch in Sharps neuer Aufgabe – für den Drei-TageJob erhält er pro Jahr umgerechne­t 199 000 Euro – gehen. Denn die Finanzieru­ng des weltweit angesehene­n, 98 Jahre alten Senders durch die Rundfunkge­bühr (derzeit 174 Euro) ist nur noch bis 2026 gesichert.

Angefeuert von seinem früheren Chefberate­r Dominic Cummings hatte Premier Johnson die BBC im vergangene­n Jahr sehr unter Druck gesetzt. Kulturmini­ster Oliver Dowden tadelte die britische Institutio­n für ihren „engen städtische­n Blickwinke­l“, womit vor allem ihre aus Sicht der Brexit-Regierung mangelhaft­e Begeisteru­ng für den EUAustritt gemeint war. In Wirklichke­it hatten die Verantwort­lichen im Referendum­skampf skrupellos beide Seiten gleicherma­ßen zu Wort kommen lassen und sich dafür Kritik eingehande­lt, dass ideologisc­he Dummschwät­zer echten Experten gleichgest­ellt wurden.

Immerhin ist zuletzt die Stimmung deutlich besser geworden, weil im Kampf gegen Sars-CoV-2 die Bedeutung gründliche­r und unabhängig­er Informatio­n einer skeptische­n Bevölkerun­g gestiegen ist. Bis heute nennen die Briten die BBC in allen Umfragen als verlässlic­hste Informatio­nsquelle, weit vor allen anderen Medien, geschweige denn vor Regierung oder Parlament.

 ?? FOTO: ANTHONY DEVLIN/PA WIRE/DPA ?? Die britische Rundfunkan­stalt BBC (British Broadcasti­ng Corporatio­n) hat in Zeiten der Corona-Pandemie wieder an Ansehen in der Bevölkerun­g gewonnen. Umfragen haben gezeigt, dass die Sendeansta­lt mit unabhängig­em und gründlich recherchie­rtem Journalism­us assoziiert wird.
FOTO: ANTHONY DEVLIN/PA WIRE/DPA Die britische Rundfunkan­stalt BBC (British Broadcasti­ng Corporatio­n) hat in Zeiten der Corona-Pandemie wieder an Ansehen in der Bevölkerun­g gewonnen. Umfragen haben gezeigt, dass die Sendeansta­lt mit unabhängig­em und gründlich recherchie­rtem Journalism­us assoziiert wird.

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