Trossinger Zeitung

Keine Panik, sondern Weitsicht

Corona hat den Arbeitsmar­kt aufgewirbe­lt – Karrierepl­äne scheinen sich in Luft aufzulösen

- Von Bernadette Winter

urzarbeit, ●Kündigung, Konzernple­ite: Die Corona-Krise geht am Arbeitsmar­kt nicht spurlos vorüber. Doch was heißt das für individuel­le Berufswüns­che und Karrierepl­äne?

Prinzipiel­l sei es immer wichtig, offen für Entwicklun­gen zu bleiben, meint Cordula Nussbaum. Krise hin oder her. „Dass man einen Beruf lernt und bis zur Rente in einer Firma bleibt, wollen viele heutzutage nicht mehr und es ist auch nicht mehr realistisc­h.“Zudem änderten sich die Berufsbild­er heute so schnell, dass es grob fahrlässig wäre, sich in Sicherheit zu wiegen.

Die Psychologi­n und Coachin rät, den Markt und seine Tendenzen stets im Blick zu behalten und sich selbst die Freude zu erhalten, neue Themen zu erarbeiten, Interessen zu pflegen. „In der Krise profitiere­n die, die schon vorher neugierig waren, vielleicht sogar mehrere Standbeine hatten.“

Aber wann sollte man tatsächlic­h einen Wechsel ins Auge fassen? „Wenn es genügend Hinweise gibt, dass man den Beruf nicht mehr wird ausüben können, ist es sinnvoll, sich umzuorient­ieren“, sagt Alexander Brungs. Der Sprecher des Deutschen Coaching Verbands warnt allerdings vor Panik und Aktionismu­s.

Christina Georgsson vom Deutschen Bundesverb­and Coaching empfiehlt, sofern möglich, genau zuzuhören, was der Arbeitgebe­r kommunizie­rt: Wo wird gespart, werden Zeitarbeit­er entlassen, wie ist der Auftragsei­ngang? „Suchen Sie alle Indizien zusammen, was spricht für, was gegen Ihren aktuellen Job“, sagt Brungs.

Hat man die Entscheidu­ng getroffen, sich umzuorient­ieren, geht es an die Selbstanal­yse. „Was macht mich aus, in welchem kulturelle­n Umfeld fühle ich mich aufgehoben und welche

K„In der Krise profitiere­n die, die schon vorher neugierig waren, vielleicht sogar mehrere Standbeine hatten.“

Skills, Stärken und Werte habe ich?“, beschreibt Georgsson die zentralen Fragen. „Überlegen Sie sich: Welche Branche wäre vergleichb­ar zu meiner jetzigen? Sehen Sie sich selbst als Problemlös­er für eine bestimmte Aufgabe“, schlägt die Beraterin vor.

Laut Brungs sollten Betroffene dabei nicht nur auf den Markt reagieren, sondern sich auf die eigenen Stärken verlassen. „Konzentrie­ren Sie sich auf die Dinge, die Sie können und versuchen Sie, in einer Marktanaly­se einen guten Ort dafür zu finden.“

Dabei gilt es Nussbaum zufolge, unter anderem die Frage ehrlich zu beantworte­n: „Wie viel will ich verdienen? Wäre ich bereit, zugunsten einer neuen sinnstifte­nden Tätigkeit sogar weniger zu verdienen?“

Georgsson sieht große Chancen auf dem sogenannte­n verdeckten Arbeitsmar­kt, also Stellen, die zwar vakant, aber (noch) nicht offiziell ausgeschri­eben sind. Wer seine Stärken und Wünsche kenne, könne sich entspreche­nd

Cordula Nussbaum, Psychologi­n und Coachin passende Unternehme­n raussuchen und anschreibe­n.

„In der Regel sind das eher die Familienun­ternehmen oder der gehobene Mittelstan­d, den gilt es zu erobern.“Würden Stellen noch zurückgeha­lten, sei man schon mal im Gespräch.

Hotelmanag­er und Managerinn­en etwa könnten schauen, welche Nischen sich künftig besetzen ließen, meint Nussbaum. „Gereist wird nach der Krise mehr als zuvor.“

Oder man wagt den ganz großen Umbruch und geht ins Ausland. So schildert Georgsson den Fall einer Klientin, die nach ihrem Job als KeyAccount-Managerin bei einer Reiseagent­ur jetzt als Führungskr­aft im Vertragsma­nagement einer Agentur auf Kreta arbeitet. „Führungskr­äfte, die internatio­nal aufgestell­t sind, werden wieder eine Chance erhalten“, sagt die Karrierebe­raterin.

Wer seinen Job verloren habe, könne sich eine Zwischenlö­sung suchen, die nichts mit den bisherigen Tätigkeite­n zu tun habe. Nussbaum empfiehlt jedoch, trotzdem im Thema zu bleiben – etwa, indem man Netzwerke nutzt oder ehemalige Kontakte aufwärmt. „Satteln Sie nicht gleich um“, warnt sie, „sondern halten Sie den Fuß in der Tür.“So könne es sogar sinnvoll sein, sich selbst eine Deadline zu setzen bis zu der man den Alternativ­job machen will.

Ob eine Interimslö­sung notwendig ist, hänge neben dem Finanziell­en vom eigenen Angstpegel und vom Sicherheit­sbedürfnis ab, erklärt Georgsson. „Nimmt man einen Job an, bei dem man weniger Geld verdient und weniger Verantwort­ung trägt, wird das am Selbstwert­gefühl kratzen, und man verliert an Glaubwürdi­gkeit, gerade als Führungskr­aft.“

Nussbaum rät, zu überlegen, was man heute und morgen tun kann, um auch langfristi­g glücklich zu sein: Etwa Fortbildun­gen besuchen, die einem später den Wiedereins­tieg erleichter­n. „Das gibt einem das Gefühl, selbst zu gestalten und nicht fremdbesti­mmt zu sein, das ist wichtig für die Motivation.“

Dass es Weitsicht und Mut braucht, um Dinge zu machen, die außerhalb der Komfortzon­e liegen, weiß Beraterin Georgsson. Sie lenkt den Blick auf das Positive: So könne die Corona-Krise einen auch befördern, weil man ohne die herausford­ernde Lage für bestimmte Schritte oder Entscheidu­ngen vielleicht schlicht zu bequem wäre. (dpa)

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA ?? Wenn die Corona-Pandemie einen Strich durch die Karrierepl­anung gemacht hat, muss man sich über seine Stärken und Werte klar werden.
FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wenn die Corona-Pandemie einen Strich durch die Karrierepl­anung gemacht hat, muss man sich über seine Stärken und Werte klar werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany