Keine Panik, sondern Weitsicht
Corona hat den Arbeitsmarkt aufgewirbelt – Karrierepläne scheinen sich in Luft aufzulösen
urzarbeit, ●Kündigung, Konzernpleite: Die Corona-Krise geht am Arbeitsmarkt nicht spurlos vorüber. Doch was heißt das für individuelle Berufswünsche und Karrierepläne?
Prinzipiell sei es immer wichtig, offen für Entwicklungen zu bleiben, meint Cordula Nussbaum. Krise hin oder her. „Dass man einen Beruf lernt und bis zur Rente in einer Firma bleibt, wollen viele heutzutage nicht mehr und es ist auch nicht mehr realistisch.“Zudem änderten sich die Berufsbilder heute so schnell, dass es grob fahrlässig wäre, sich in Sicherheit zu wiegen.
Die Psychologin und Coachin rät, den Markt und seine Tendenzen stets im Blick zu behalten und sich selbst die Freude zu erhalten, neue Themen zu erarbeiten, Interessen zu pflegen. „In der Krise profitieren die, die schon vorher neugierig waren, vielleicht sogar mehrere Standbeine hatten.“
Aber wann sollte man tatsächlich einen Wechsel ins Auge fassen? „Wenn es genügend Hinweise gibt, dass man den Beruf nicht mehr wird ausüben können, ist es sinnvoll, sich umzuorientieren“, sagt Alexander Brungs. Der Sprecher des Deutschen Coaching Verbands warnt allerdings vor Panik und Aktionismus.
Christina Georgsson vom Deutschen Bundesverband Coaching empfiehlt, sofern möglich, genau zuzuhören, was der Arbeitgeber kommuniziert: Wo wird gespart, werden Zeitarbeiter entlassen, wie ist der Auftragseingang? „Suchen Sie alle Indizien zusammen, was spricht für, was gegen Ihren aktuellen Job“, sagt Brungs.
Hat man die Entscheidung getroffen, sich umzuorientieren, geht es an die Selbstanalyse. „Was macht mich aus, in welchem kulturellen Umfeld fühle ich mich aufgehoben und welche
K„In der Krise profitieren die, die schon vorher neugierig waren, vielleicht sogar mehrere Standbeine hatten.“
Skills, Stärken und Werte habe ich?“, beschreibt Georgsson die zentralen Fragen. „Überlegen Sie sich: Welche Branche wäre vergleichbar zu meiner jetzigen? Sehen Sie sich selbst als Problemlöser für eine bestimmte Aufgabe“, schlägt die Beraterin vor.
Laut Brungs sollten Betroffene dabei nicht nur auf den Markt reagieren, sondern sich auf die eigenen Stärken verlassen. „Konzentrieren Sie sich auf die Dinge, die Sie können und versuchen Sie, in einer Marktanalyse einen guten Ort dafür zu finden.“
Dabei gilt es Nussbaum zufolge, unter anderem die Frage ehrlich zu beantworten: „Wie viel will ich verdienen? Wäre ich bereit, zugunsten einer neuen sinnstiftenden Tätigkeit sogar weniger zu verdienen?“
Georgsson sieht große Chancen auf dem sogenannten verdeckten Arbeitsmarkt, also Stellen, die zwar vakant, aber (noch) nicht offiziell ausgeschrieben sind. Wer seine Stärken und Wünsche kenne, könne sich entsprechend
Cordula Nussbaum, Psychologin und Coachin passende Unternehmen raussuchen und anschreiben.
„In der Regel sind das eher die Familienunternehmen oder der gehobene Mittelstand, den gilt es zu erobern.“Würden Stellen noch zurückgehalten, sei man schon mal im Gespräch.
Hotelmanager und Managerinnen etwa könnten schauen, welche Nischen sich künftig besetzen ließen, meint Nussbaum. „Gereist wird nach der Krise mehr als zuvor.“
Oder man wagt den ganz großen Umbruch und geht ins Ausland. So schildert Georgsson den Fall einer Klientin, die nach ihrem Job als KeyAccount-Managerin bei einer Reiseagentur jetzt als Führungskraft im Vertragsmanagement einer Agentur auf Kreta arbeitet. „Führungskräfte, die international aufgestellt sind, werden wieder eine Chance erhalten“, sagt die Karriereberaterin.
Wer seinen Job verloren habe, könne sich eine Zwischenlösung suchen, die nichts mit den bisherigen Tätigkeiten zu tun habe. Nussbaum empfiehlt jedoch, trotzdem im Thema zu bleiben – etwa, indem man Netzwerke nutzt oder ehemalige Kontakte aufwärmt. „Satteln Sie nicht gleich um“, warnt sie, „sondern halten Sie den Fuß in der Tür.“So könne es sogar sinnvoll sein, sich selbst eine Deadline zu setzen bis zu der man den Alternativjob machen will.
Ob eine Interimslösung notwendig ist, hänge neben dem Finanziellen vom eigenen Angstpegel und vom Sicherheitsbedürfnis ab, erklärt Georgsson. „Nimmt man einen Job an, bei dem man weniger Geld verdient und weniger Verantwortung trägt, wird das am Selbstwertgefühl kratzen, und man verliert an Glaubwürdigkeit, gerade als Führungskraft.“
Nussbaum rät, zu überlegen, was man heute und morgen tun kann, um auch langfristig glücklich zu sein: Etwa Fortbildungen besuchen, die einem später den Wiedereinstieg erleichtern. „Das gibt einem das Gefühl, selbst zu gestalten und nicht fremdbestimmt zu sein, das ist wichtig für die Motivation.“
Dass es Weitsicht und Mut braucht, um Dinge zu machen, die außerhalb der Komfortzone liegen, weiß Beraterin Georgsson. Sie lenkt den Blick auf das Positive: So könne die Corona-Krise einen auch befördern, weil man ohne die herausfordernde Lage für bestimmte Schritte oder Entscheidungen vielleicht schlicht zu bequem wäre. (dpa)