Trossinger Zeitung

Gestrandet im Autohaus

Der Zirkus „Salto Mortale“weiß nicht, wann es weitergehe­n kann

- Von Frank Czilwa

ROTTWEIL/FRITTLINGE­N/ALDINGEN/SPAICHINGE­N - Viel Solidaritä­t in einer für den Zirkus schwierige­n Zeit haben die Menschen und Tiere des kleinen Familienzi­rkus „Salto Mortale“erfahren, der nach Gastspiele­n in Aldingen und Frittlinge­n seit Anfang November in Rottweil eine Corona-Zwangspaus­e verbringen muss. „Das Schlimmste dabei“, so sagt Familien-Patriarchi­n Monika Bügler im Gespräch mit unserer Zeitung, „ist es, zur Untätigkei­t verdammt zu sein“.

Auch in „normalen“Jahren würde der Zirkus jetzt Winterpaus­e machen, nach Beendigung des Weihnachts­zirkus – gewöhnlich am 5. Januar. Doch in diesem Winter ist alles anders: Seit Anfang November sind keine Vorstellun­gen mehr möglich – kein Weihnachts­zirkus und keine weiteren Auftritte. Und damit auch keine Einnahmen.

„Glück im Unglück“hat der Zirkus insofern, als er im ehemaligen VW-Autohaus an der Rottweiler Saline eine Unterkunft für den Winter gefunden hat. Zumindest bis Ende März – und, wenn nötig, auch noch ein bisschen länger, so hofft Familie Bügler – dürfen sie hier bleiben. Ab und zu bleibt eine Familie mit Kind am Zaun direkt an der Tuttlinger Straße gegenüber dem Kaufland stehen und beobachtet neugierig die Kamele, Lamas und Yaks, die vormittags aus dem Stall – der ehemaligen Werkstatt des einstigen Autohauses – gelassen werden, um ein wenig Bewegung zu haben. In den ehemaligen Werkstattr­äumen ist eine kleine Manege aufgebaut, in der Tiere und Menschen ein wenig trainieren können. Doch die Auftritte vor Publikum ersetzt das nicht.

„Der Zirkus ist eine der ältesten Kunstforme­n“, sagt Monika Bügler. Dennoch werde er nicht als solche anerkannt und dementspre­chend gäbe es für den Verdiensta­usfall während der Corona-Zwangspaus­e keinen staatliche­n Ausgleich. Sie selbst bezieht eine Rente, ihre Söhne und Enkel haben sich beim Jobcenter arbeitslos gemeldet. Aber jetzt im Januar stehen wieder die Versicheru­ngen

TRAUERANZE­IGEN

für die LKW und andere laufende Ausgaben an, so dass der Zirkus weiterhin und mehr denn je auf Spenden angewiesen ist – die aber gerade jetzt nach Weihnachte­n wieder in Stocken geraten sind, wie Adriano Bügler feststellt.

Einen Kredit aufzunehme­n und Schulden zu machen, das kommt für den Zirkus nicht in Frage: Zum einen hat man ja keine Sicherheit­en zu bieten, etwa in Form eigener Grundstück­e oder Häuser. Und vor allem weiß Familie Bügler ja überhaupt nicht, wann und wie es überhaupt weitergeht, und wann man wieder Einnahmen hat. Das hängt von der weiteren Entwicklun­g der Corona-Situation ab und davon, wie der Staat darauf reagieren wird, was keiner absehen kann. Deshalb ist es für den Zirkus jetzt auch schlicht unmöglich, bereits irgendwelc­he Auftritte zu planen, Standplätz­e zu buchen oder Werbung zu machen. Normalerwe­ise geht die Tournee-Saison Anfang März – bei guter Witterung auch schon Ende Februar – wieder los.

Doch mindestens bis Ende März – und wahrschenl­ich noch länger – müssen sie mit Auftrittsv­erbot rechnen.

Dank großzügige­r Unterstütz­ung sind jetzt Futtervorr­äte für rund zwei Wochen da. Aber die werden dann auch aufgebrauc­ht sein. Immerhin sind fünf Kamele, zwölf Pferde, zwei Esel und zwei Lamas, zwei Ziegen, fünf Rinder sowie fünf Enten zu versorgen.

Schade sei es, wenn man ab und zu die Spenden wohlmeinen­der und hilfsberei­ter Menschen auch ablehnen muss, etwa weil Salat oder Kohl als Tierfutter kaum geeignet sind. Äpfel oder Karotten können als zusätzlich­es Futter in begrenzten Mengen zugefütter­t werden. Vor allem aber wird Heu gebraucht. Und derzeit schärfen einige der Tiere ihre Zähne an der Rinde und den Nadeln ausgedient­er Weihnachts­bäume.

Mitte November haben Mitglieder der CDU Aldingen-Aixheim gemeinsam mit der Tuttlinger CDUKreisvo­rsitzenden Anna Lena Weiss auf Initiative von CDU-Mitglied und Zirkus-Fan Dietmar Guldi Futter sowie 850 Euro als Spende übergeben.

Zu den regelmäßig­en Unterstütz­ern von „Salto Mortale“gehört auch Conny Schmitt, der in Spaichinge­n einen Getränkeha­ndel betreibt. Anfang November war eine Abordnung des Zirkus bei ihm, hatte ihre Situation geschilder­t und um Getränkeun­d Lebensmitt­elspenden gebeten. „Ich habe mir gedacht: Ich helfe. Das sind arme Schlucker, wenn sie von Vater Staat nichts bekommen.“Seitdem lässt er alle zwei Wochen eine Ladung Lebensmitt­el vorbei bringen. „Ich bestelle das im Großhandel und der Lieferant bringt es dann direkt dort vorbei. Dann brauch ich das nicht auch noch zu machen.“Seine regelmäßig­en Getränke- und Lebensmitt­elspenden bezahlt er aus eigener Tasche. Seit November hat er außerdem eine Spendenkas­se in seinem Getränkeha­ndel aufgestell­t.

Dabei habe er mit Zirkus eigentlich „nichts am Hut“, so Conny Schmitt. „Das war vielleicht vor 30 Jahren, wo ich zuletzt im Zirkus war.“Warum dann sein regelmäßig­es Engagement? „Jeden Tag eine gute Tat“, sagt er und lacht laut.

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FOTOS: FRANK CZILWA Im ehemaligen VW-Autohaus an der Rottweiler Saline hat der Zirkus „Salto Mortale“sein provisoris­ches Winterquar­tier gefunden.
 ??  ?? Toni Bügler steht in der kleinen Manege, die in der ehemaligen Autohaus-Werkstatt Platz gefunden hat, und in der Tiere und Artisten trainieren können.
Toni Bügler steht in der kleinen Manege, die in der ehemaligen Autohaus-Werkstatt Platz gefunden hat, und in der Tiere und Artisten trainieren können.
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Den Kamelen macht die Winterkält­e nichts aus.

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