Kleine Schritte sind gefragt
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Joe Biden Amerikas Hoffnungsträger ist. Der neue Präsident, der im Wahlkampf eher die Rückkehr zur alten Ordnung versprach als den Aufbruch zu neuen Ufern. Er steht nicht für große Visionen und auch nicht, wie einst Barack Obama, für eine kühne Rhetorik von „Hope“und „Change“, die höhere Erwartungen weckt, als man sie dann erfüllen kann. Was er symbolisiert, ist solides Regierungshandwerk, ist 50-jährige Erfahrung im Politikbetrieb, ist ein durch und durch pragmatischer Ansatz, Probleme zu lösen. Und das ist in der heutigen Lage schon viel.
Die USA sind zu zerrissen, als dass es Mehrheiten für gewagte gesellschaftliche Experimente gäbe. Donald Trump hat dem Gebäude der Demokratie vier Jahre lang mit der Abrissbirne zugesetzt. Eingestürzt ist es nicht. Es hat standgehalten, auch am 6. Januar, als ein aufgeputschter Mob mit dem Sturm aufs Kapitol das letzte, finsterste Kapitel zu schreiben versuchte. Die Wände stehen noch, die Grundfesten sowieso, doch die Trümmer am Boden sind ebenso wenig zu übersehen wie die Löcher in der Fassade. Biden muss aufräumen und ausbessern, und zugleich muss er die Mauer niederreißen, die sich nicht erst seit Trump durch das Gebäude zieht.
Das Land zu einen, wie er es verspricht, dürfte ein allzu hoher Anspruch sein, kein realistisches Ziel. Zunächst geht es darum, sich wieder auf Grundregeln des Meinungsstreits zu verständigen und Fakten zu akzeptieren, auf deren Grundlage zu diskutieren. Unter Biden wird das Land zu einer Art von Diskurs zurückkehren müssen, der wieder auf Tatsachen basiert.
Klar ist: Es wird nur in kleinen Schritten vorangehen bei dem Prozess der Vertrauensbildung. Dass es gelingt, ist nicht garantiert. Doch von allen Kandidaten, die für den Höllenjob im Oval Office infrage kamen, ist Joe Biden mit seinem Erfahrungsschatz, seinem Gefühl für das Machbare, seiner bodenständigen Sprache vielleicht derjenige, der am ehesten Erfolg haben kann auf dem langen Weg zurück zur Normalität.
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