Fraktionen beenden ihr Schweigen zur Amazon-Ansiedlung
Trossinger Gemeinderatsfraktionen geben gemeinsame Stellungnahme ab – Nur OGL stimmte gegen Grundstücksverkauf
TROSSINGEN - Nachdem sie sich zum Teil wochenlang in Schweigen gehüllt hatten, haben alle im Trossinger Gemeinderat vertretenen Fraktionen (FW, CDU, FDP, OGL, SPD, TNG und AfD) am Mittwoch eine „abgestimmte Stellungnahme“zur geplanten Ansiedlung der Firma Amazon abgegeben. Das Vorhaben wird auch Thema der Ratssitzung am Montag, 25. Januar, sein.
Die Entscheidung zum Grundstücksverkauf sei „mit großer Mehrheit“bei 20 Stimmen dafür und zwei Gegenstimmen (OGL) gefallen, heißt es in der Stellungnahme. „Die große Mehrheit des Gremiums stand und steht daher hinter dem Beschluss zur Ansiedlung eines Verteilerzentrums.“Es hätten genau zwei nichtöffentliche Sitzungen zu dem Thema stattgefunden.
Der Gemeinderat habe beschlossen, der Arbeitsgemeinschaft Honold/Garbe ein Gewerbegrundstück mit einer Größe von 5,2 Hektar zu veräußern. „Der Verkauf wurde zum 4. Dezember 2020 bestätigt, folglich wurde dies in der darauffolgenden Gemeinderatssitzung in die Tagesordnung aufgenommen.“Beide Firmen seien erfahrene Entwickler und Verwalter von Gewerbeimmobilien und träten hier als Investoren zur Erstellung eines Verteilerzentrums auf. Konkret geplant sei die Errichtung eines Verteilerzentrums für die Firma Amazon, die langfristiger Mieter sein werde.
Mit der Ansiedlung würden in der Spitze bis zu 400 Arbeitsplätze sowohl bei Amazon, als auch beauftragten Unternehmen entstehen, so die Stellungnahme der Fraktionen. Das Grundstück selbst sei auf Grund der Hanglage für die Landwirtschaft teilweise wenig gut geeignet. „Bereits seit den 80er-Jahren gibt es dort einen Bebauungsplan für eine größere Teilfläche. Interessenten für die seit Jahrzehnten theoretisch bebaubare Fläche gab es nicht, auch nicht aus der heimischen Wirtschaft.“Mit dem Verkauf des „bisher nicht vermarktbaren Grundstücks“erhalte die Stadt wichtige Einnahmen für die anstehenden Investitionen.
Das Augenmerk sei dabei nicht nur auf die erwartbaren Gewerbesteuereinnahmen zwischen 10 000 und 50 000 Euro gelegt worden, „die bei Logistikfirmen naturgemäß moderat ausfallen“, sondern auch auf die Einkommensteueranteile, die der Stadt durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zufließen würden. Positiv sei, „dass sowohl qualifizierte Arbeitsplätze, als auch in der Mehrzahl Arbeitsplätze für angelernte Tätigkeiten oder als Fahrer entstehen werden. Arbeitsplätze vor Ort, auch wenn sie nicht hochbezahlt sind, und auch, wenn der Arbeitnehmer außerhalb wohnt, bringen Kaufkraft in die Stadt, zum Beispiel Pausenvesper, Tankstelle, Nähe zum Schwabenpark, Kleidung und Schuhe, Auto in die Werkstatt während der Arbeitszeit etc. Das kann dem Einzelhandel in Trossingen sehr gut tun.“
Größtmöglichen Einfluss auf die Gestaltung des Areals habe die Stadt durch den vorhabenbezogenen Bebauungsplan. „Wir haben bereits folgende Eckpunkte vorgegeben“, so die Fraktionen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme: Die maximale Gebäudehöhe orientiere sich am Bestand der ehemaligen Firma Efka, das Hauptgebäude dürfe maximal 12,5 Meter hoch sein. „Wie in der Gemeinderatssitzung vom 14. Dezember 2020 dargestellt, fließt der weit überwiegende Teil des Verkehrs in Richtung Autobahn und Bundesstraßen
ab. Das Liefergebiet geht bis zur Schweizer Grenze im Süden und im Norden bis ungefähr nach Oberndorf am Neckar. Man wird vor allem den Bereich westlich (bis Titisee-Neustadt), nördlich und südlich von Trossingen abdecken.“
Die Betriebszeiten seien an sieben Wochentagen im Schichtbetrieb geplant, die Auslieferungszeiten der Lieferwagen würden schwerpunktmäßig von 9 bis 14 Uhr mit bis zu 236 Touren, in Spitzenzeiten bis zu 413 Touren erfolgen. Die Anlieferung durch Laster finde in der Nachtzeit von 22 bis 8 Uhr morgens mit bis zu 18 Lastern, in der Spitze bis zu 30 Lastern statt, so die Ratsfraktionen.
Die konkreten Auswirkungen auf die Verkehrssituation in Trossingen und die Anbindungen an die bestehenden Straßen würden im Rahmen eines Verkehrsgutachtens im Bebauungsplanverfahren unabhängig überprüft. „Die Kosten der Verkehrsanbindung an die Christian-Messner-Straße trägt im Übrigen der Käufer.“
Erst nach dem Amtsantritt der neuen Bürgermeisterin Susanne Irion Anfang Februar werde es im Verfahren weitergehen. Im Rahmen des
Bebauungsplanverfahrens habe „die Bürgerschaft umfangreiche Teilnahmeund Einflussmöglichkeiten, beispielsweise bei Auswirkungen auf Umwelt, Verkehr und städtebauliche Belange. Weiterführende Informationen halten wir auf der städtischen Homepage www.trossingen.de zu Vor- und Nachteilen der Gewerbeansiedlung bereit. Bitte informieren Sie sich dort jederzeit umfassend zu dem Thema.“
Der Trossinger Gemeinderat wird sich in seiner ersten Sitzung 2021 am Montag, 25. Januar, ab 17 Uhr im kleinen Saal des Konzerthauses mit dem Thema Amazon-Ansiedlung beschäftigen. Offiziell auf der Tagesordnung steht der Punkt indes nicht.
„Das Thema Ansiedlung Amazon wird in der Gemeinderatssitzung vom 25. Januar Tagesordnungspunkt der öffentlichen Sitzung sein“, so CDU-Gemeinderat Clemens Henn. In der Sitzung werde der noch amtierende Bürgermeister-Stellvertreter, Gustav Betzler (Freie Wähler), über den Stand der Ansiedlung berichten. „Die Gemeinderäte haben dann Gelegenheit, sich zum Thema Amazon zu äußern.“
Laut Betzler hatten die Fraktionen einen öffentlichen Tagesordnungspunkt beantragt, „um über dieses Thema nochmals öffentlich zu informieren“. Die Vertragspartner seien sich einig, „das weitere Vorgehen erst nach der Amtseinsetzung der neuen Bürgermeisterin Susanne Irion weiter zu diskutieren“. Es werde sich am Verfahren nichts ändern, wenn man nochmal ein paar Wochen warte. Bei dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan, der wie jeder öffentlich diskutiert werde, stehe man „erst am Anfang“.
Die Trossinger Zeitung hatte in den vergangenen Wochen wiederholt vergeblich versucht, Stellungnahmen der Trossinger Ratsfraktionen zu erhalten zu den Fragen, wie sie zum geplanten Bau des Logistikzentrums stehen und aus welchen Gründen, zum genauen Abstimmungsverhalten im Rat sowie dazu, ob sie sich nicht eine öffentliche Diskussion über das Thema gewünscht hätten. Zur mangelnden Transparenz hatte sich in den vergangenen Wochen Kritik von Bürgern entzündet (wir berichteten mehrfach). Offenbar stimmten sich die Fraktionen teilweise untereinander ab, die bereits im Dezember gestellten Fragen vorläufig nicht zu beantworten: Von Grünen, TNG und AfD kamen zwar Antwortschreiben, jedoch zogen Grüne und TNG diese zurück – „nach Rücksprache mit den Gemeinderats-Kollegen“, so Susanne Reinhardt-Klotz. Simon Mayer (TNG) verwies auf ein Statement, das Gustav Betzler veröffentlichen werde, dem er sich anschlösse. „Dieses Thema wird uns in Trossingen in der nächsten Zeit in öffentlichen Sitzungen noch ausreichend beschäftigen“, bat Dr. Hilmar Fleischer (FDP) um Geduld. Lediglich die SPD reagierte gar nicht auf die Anfragen.
Der Punkt soll am kommenden Montag nun offenbar entweder in der Bürgerfrageviertelstunde oder bei den Bekanntgaben erörtert werden. Weitere Themen der öffentlichen Sitzung sind unter anderem eine Änderung der Hauptsatzung zur Durchführung von Sitzungen im Wege von Videokonferenzen sowie die „Schließung der Kinderbetreuungseinrichtungen aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus – Umgang mit Kinderbetreuungsbeiträgen sowie Gebühren für die verlässliche Grundschule im Januar“. Wegen der Pandemie sind nur 15 Sitzplätze für Zuhörer vorhanden.