Die Grenzen der Geduld
Lindauer Wirt Klaus Winter wartet noch immer auf die Novemberhilfe als Ausgleich für den Corona-Lockdown
LINDAU - Der Klaus Winter, der sich fröhlich scherzend durch die voll besetzten Tische seines Restaurants Strandhaus in Lindau am Bodensee schlängelt, den gibt es gerade nicht mehr. Der scheint aus einer anderen Zeitrechnung zu stammen. Winter, der frohgemute Gastgeber, der bei einem seiner Grillkurse auf die Frage antwortet, was denn seine exotischste Grillade gewesen sei: „Klapperschlange. Schmeckt wie Hühnchen“– und alle lachen. Aber jetzt ist Schluss mit lustig. Was vielleicht noch übrig ist: Galgenhumor. Und der hört sich in Bezug auf seinen wegen der Corona-Pandemie stillgelegten Betrieb bei zugleich noch immer nicht ausbezahlter Novemberhilfe so an: „Die von Herrn Finanzminister Olaf Scholz angekündigte Bazooka ist eine tropfende Wasserpistole.“
Das Tröpfeln hat Klaus Winter am 22. Dezember 2020 am eigenen Leib erfahren, als endlich doch noch eine Abschlagszahlung in Höhe von 10 000 Euro auf seinem Konto einging. Und damit kam dieser „Tropfen auf den heißen Stein“, wie er sagt, ziemlich genau einen Monat später, als die Politik am 27. November vollmundig versprochen hatte. Da hieß es, der Abschlag würde noch „im November“ausbezahlt. Der Antrag über die Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahres-Novembers weist indes einen sechsstelligen Betrag aus.
Der Gastronom nimmt für sich in Anspruch, korrekt zu arbeiten. Bis auf den letzten Espresso jeden Beleg über die Kasse und seine penibel geführten Bücher laufen zu lassen, bis auf die letzte
Stelle hinterm
Komma. Seine Mitarbeiter – wenn er denn geöffnet hat – haben geregelte Arbeitszeiten. „Schwarz geht bei mir gar nichts“, erklärt Winter, der in einer gemeinsamen Videokonferenz mit seiner Steuerberaterin Janin Salzgeber-Hielger aus Leutkirch im Allgäu stellenweise so frustriert klingt, als habe er sein letztes Glas bereits ausgeschenkt.
Janin Salzgeber-Hielger bestätigt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass ihr Mandant Klaus Winter zu den frühen Antragstellern gehört hat, dumm nur: „Für die Novemberhilfen war es überhaupt erst am 27. November möglich, einen Antrag zu stellen.“Doch das OnlineTool, also jene Plattform im Internet, über die beantragt werden muss, sei sofort unter dem Ansturm der Hilfesuchenden zusammengebrochen. Nur spät nachts und am Wochenende sei es überhaupt möglich gewesen, Anträge auf der Plattform zu bearbeiten. Janin Salzgeber-Hielger von der Steuerberater-Sozietät Salzgeber & Partner sagt, die Kanzlei habe ihre Arbeitszeit darauf abgestimmt. Denn viele ihrer Mandanten, die nicht nur aus dem Gastgewerbe stammen, sondern auch aus dem Einzelhandel, seien dringend auf das Geld angewiesen. „Wir haben gesunde Unternehmer als Mandanten, aber auch denen gehen langsam die Reserven aus“, sagt Salzgeber-Hielger.
Sie und ihr Mandant Klaus Winter kritisieren aber nicht nur die „quälend langsame“Auszahlung der existenziellen Hilfen. Auch die technische Seite der Antragstellung sei eine „Katastrophe“. Besonders ärgerlich: Die Bedingungen änderten sich laufend – und zwar im Nachhinein, wenn der Antrag schon gestellt sei. „Ohne dass Sie eine Chance hätten, den dann nachträglich noch mal zu ändern“, sagt die Steuerberaterin. Obendrein: „Logische Fehler“, kritisiert Winter und nennt als Beispiel die sich offenbar widersprechenden Aussagen in den Bedingungen. Einmal stehe da, Anzahlungen seien wie Umsätze zu betrachten, an anderer
Stelle sei zu lesen, dass nur zähle, was tatsächlich umgesetzt worden sei. Für Winter keine Kleinigkeit. Er ist in normalen Jahren Gastgeber vieler Weihnachtsfeiern und verlangt bei Reservierung – üblicherweise schon im Spätsommer oder Frühherbst – eine Anzahlung, zum Beispiel 400 Euro. Wenn dann die Feier Ende November stattfindet und die Gruppe für 2000 Euro konsumiert, macht es schon einen Unterschied, ob er bei den Hilfen 75 Prozent der vollen 2000 Euro beantragen darf, oder eben nur 75 Prozent von 1600. Für den aktuellen Antrag der Novemberhilfen gibt es inzwischen einen erklärenden Katalog mit Fragen und Antworten, der augenblicklich 40 Seiten umfasst.
„So einfach nachfragen, wenn etwas trotzdem unklar ist, das geht aber nicht“, bemerkt Janin Salzgeber-Hielger. Denn die betreffenden Stellen antworteten frühestens nach zwei bis drei Wochen per E-Mail, allerdings ohne konkrete Lösung des Problems, wie sie betont. „Und wenn Sie bei der TelefonHotline mal jemanden erwischen, dann sagt er Ihnen, dass er Ihnen nicht helfen kann“, schildert die Steuerberaterin und kommt zu dem Schluss, dass das gesamte Verfahren ohne die Expertise von Steuerfachleuten aufgesetzt worden sein muss. Obwohl die Novemberhilfe nicht das erste Hilfspaket ist, das von der Politik beschlossen worden ist. „Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass auch Politiker erst einen Weg finden müssen, damit sich das einspielt“, sagt Klaus Winter. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Pandemie-Monate hätte er sich doch ein koordinierteres Vorgehen gewünscht. Janin Salzgeber-Hielger möchte gar nicht daran denken, wie es wohl wird, wenn weitere Hilfen beantragt werden müssen.
Für Klaus Winter, der mehrfach betont, sämtliche Schutzmaßnahmen gegen die Infektionsgefahr voll zu unterstützen, haben die Schwierigkeiten aber noch eine zusätzliche und dunklere Seite: „Wenn Sie mit einem Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner sprechen und versuchen, ihn irgendwie zur Vernunft zu bringen, gehen Ihnen dann schon langsam die Argumente aus.“Denn wenn er von so jemandem gefragt werde, ob er die Hilfen endlich bekommen habe, müsse er natürlich ehrlicherweise sagen: „Nein.“Das sei dann Wasser auf die Mühlen derer, die behaupten, die Politik wolle das Land vor die Wand fahren und angekündigte Hilfszahlungen seien sowieso nur „Verarschung“.
Bei allem Ärger: Grundsätzlich vertrauen Mandant und Steuerberaterin darauf, dass Winter früher oder später doch noch in den Genuss der Hilfen kommt. Und die Idee dahinter, finden beide sehr gut. Aus Sicht der Steuerberaterin ergibt sich durch das Antrags-Chaos noch ein weiteres Problem. In der Gebührenordnung ihrer Zunft gibt es keine Blaupause für das, was sie gerade leisten. „Wir haben uns entschlossen, das zum Selbstkostenpreis zu machen. Wir haben kein Interesse daran, dass Mandanten unserer Kanzlei insolvent werden. Wir wollen, das alle durch diese Krise kommen“, sagt Janin Salzgeber-Hielger.
Über eines ist Klaus Winter trotz der schwierigen Situation froh: „Bis jetzt ist die Mannschaft stabil geblieben.“Es habe niemand gekündigt – und er habe bislang niemanden kündigen müssen. Keinen der 24 Mitarbeiter. „Ich glaube, das liegt an unserer Kommunikation.“Davon abgesehen, dass Winter so viel wie möglich auf das Kurzarbeitergeld draufgelegt habe, sei es wichtig, alle dauernd auf dem Laufenden zu halten. „Wir haben das mit Videokonferenzen gut hingekriegt.“Winter ist sich sicher: „Wenn es dann endlich wieder losgeht, sichert ein gutes Team den Erfolg.“Damit der Laden dann auch wieder voll einsatzfähig ist. Und sich der Gastgeber so bald wie möglich wieder durch den voll besetzten Gastraum schlängeln kann. Wieder zu Scherzen aufgelegt am Ende einer Zeit, als ihm das Lachen vergangen war.