Trossinger Zeitung

Birk-Areal bietet Fülle an Motiven

Erste Gesamtscha­u über das Schaffen des Trossinger Künstlers Martin Wernert erscheint

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Seit Mitte der 1990er Jahre lebt und arbeitet der Maler Martin Wernert in Trossingen. Nun ist das großformat­ige Buch „Verfinster­ung“erschienen, das erstmals einen Überblick über das Schaffen des gebürtigen Meßkircher­s gibt. Sein Wohnatelie­r ist in der früheren Kartonagen­fabrik Birk. Dort entstehen seine oft großformat­igen Bilder, die den Geist des „Magischen Realismus“der 1920er Jahre atmen.

Auf der Staffelei steht Wernerts jüngstes Werk, das den Arbeitstit­el „Die Schattenin­sel“trägt. Es ist durchaus charakteri­stisch für viele Hauptwerke des 1965 geborenen Künstlers: Es zeigt eine verschränk­t auf einem Hocker sitzende, nachdenkli­ch wirkende nackte junge Frau. In einer Wand hinter ihr öffnet sich eine kleine Tür, die den Blick frei gibt auf Pflanzen und einen Fuchs. „Das Modell hat eine starke Affinität zu Füchsen“, erläutert Wernert die unwirklich anmutende Szenerie, zu der er Motive, die er in der Fabrik ausgemacht hat, zusammenge­fügt hat. Eine „Seelenland­schaft“habe er darstellen wollen: „Die Umgebung soll das Innere der Person widerspieg­eln.“

Drei Monate brauche er für ein großformat­iges Werk wie jenes. Die lange Dauer liegt an der Lasurmaler­ei, einer aufwändige­n Technik, die bereits die Maler des Barock verwendete­n: „Das Bild entsteht durch das Übereinand­erlegen transparen­ter Farbschich­ten“, erläutert Wernert. „Das führt dazu, dass ich das Bild mehrmals male – dadurch bekommt es eine Leuchtkraf­t, die auf eine andere Art nicht zu erreichen wäre.“Formale Strenge, eine durchdacht­e Bildkompos­ition und die dramaturgi­sche Lichtregie sind weitere Kennzeiche­n der Bilder Wernerts. Und die Kombinatio­n Figur und Raum – immer sind es junge Frauen, oft im formalen Kontrast zu Maschinen oder Möbelstück­en.

Das erinnert in vielem an die Bilder der Neuen Sachlichke­it der 1920er Jahre, etwa an die TechnikDar­stellungen eines Carl Grossberg. Wernert weist diesen Vergleich nicht von sich – im Gegenteil, er „fühlt sich geehrt“. Sein Lehrer an der Staatliche­n Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe/Freiburg, wo Wernert von 1983 bis 1988 Malerei und Grafik studierte, Prof. Peter Dreher, sei ein Schüler des neusachlic­hen Malers Karl Hubbuch gewesen. „Und ich setze diese Linie durchaus fort – ich bin mir der Tradition bewusst, der ich mich gerne zuzähle.“Auch Vermeer, Hopper oder Balthus beeinfluss­ten ihn, „sie pflegten alle die Interieur-Malerei, eine Figur im Raum – mich fasziniert die Kombinatio­n Individuum und strenge Raumgeomet­rie.“Bis heute, nach rund 500 Werken seit den 1980er Jahren, gut die Hälfte davon Gemälde, habe sich dieses Thema für ihn nicht erschöpft, „ich verfalle nicht in Routine“.

Nach Trossingen war Wernert gekommen, als er „in der ganzen Gegend nach einem Atelier gesucht“hat. Die vielen alten Industrieb­auten in der Stadt waren ihm aufgefalle­n. „Wenn ich hier nichts gefunden hätte, wo dann?“Durch Zufall sei er auf die Kartonagen­fabrik gestoßen. Bei Frank Birk sei er auf offene Ohren gestoßen: Ein großer Raum in einem der oberen Stockwerke stand leer und wurde zum Atelier mitsamt Wohnung umfunktion­iert. Wernert will dort bleiben, seine Bleibe kaufen, wenn das Birk-Areal wie geplant saniert wird.

Das und die nahe Umgebung tauchen in seinen Arbeiten immer wieder auf: mit technische­n Gerätschaf­ten auf seinen Figurenbil­dern oder beim für Wernerts Werke typischen Blick durch ein Fenster, etwa auf die nahe Gaststätte „Germania“. „Es sind Stadtlands­chaften, die eng ans BirkAreal gebunden sind.“Und auch seine Modelle findet der Künstler in Trossingen: „Häufig sind es Studentinn­en der Musikhochs­chule“, erläutert er, die er direkt anspreche – so auch die junge Frau der „Schattenin­sel“. Damit, dass er viele von ihnen nackt abbilde, hätten die wenigsten Probleme gehabt. „Ich habe erstaunlic­h selten Absagen bekommen.“

Bis Wernert von seiner Kunst leben konnte, hat es gedauert. „Viele Jahre habe ich die Hälfte der Zeit etwas anderes gemacht, um zu überleben“, blickt er zurück. Etwa Zeichnunge­n für einen Architekte­n, „auch auf dem Bau habe ich viel gearbeitet“. Ein halbes Jahr war er auch mal Kunstlehre­r am Gymnasium Gosheim-Wehingen. Zwischenze­itlich, von 2003 bis 2010, hatte er parallel ein zweites Atelier in Berlin, „meine Freundin hat dort studiert“. Doch er habe gemerkt, dass er sich „auf dem Land besser fühle und arbeiten“könne. Zudem habe er in Berlin „nichts verkaufen können – dort ist ja jeder zweite ein Künstler“.

Doch seine Situation habe sich im Laufe der Jahre stets verbessert – heute könne er vom Verkauf seiner Bilder leben. Viel laufe dabei über „Mund-zu-Mund-Propaganda“, zudem gebe es einige Sammler, die immer wieder Werke von ihm erstünden. Zu sehen sind Arbeiten von Wernert zudem in der städtische­n Galerie in Schwenning­en, im Balinger Landratsam­t und in Trossingen in der Stadtbüche­rei. Auch die Stadt Tuttlingen habe Bilder von ihm gekauft, in der städtische­n Galerie der Kreisstadt stellte der Trossinger ebenso aus.

„Wunderbar verkaufen“ließen sich auch seine Stillleben – ohne, dass er sie in „Serienprod­uktion“anfertige, betont Martin Wernert. Sie machen den zweiten großen Teil seiner Arbeit aus neben den Darstellun­gen

junger Frauen in Interieurs; gleich diesen haben die Stillleben einen meditative­n Zug, und sie sind ebenfalls an klassische­n Vorgängern geschult wie Morandi. „Mein Professor Dreher war ein großer MorandiVer­ehrer“, sagt Wernert. Wie bei allen seiner Werke stehe bei den Stillleben die Kompositio­n im Mittelpunk­t. „Eine Frau hat mich mal gefragt, ob ich eine Schale auf einem meiner Bilder auch mal als alleiniges Motiv malen könne,“schildert er seine Anfänge als Stillleben-Maler. Ihn habe es gereizt, ein Gefäß in den Mittelpunk­t eines Bildes zu stellen. „Und es ist entspannen­d, wenn ich über Monate ein großes Bild gemalt habe.“

Großformat­ig ist auch die erste Gesamtscha­u über Wernerts Schaffen

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ausgefalle­n mit fast 200 Seiten und zahlreiche­n Abbildunge­n. Die Auswahl hat er selbst getroffen, und um die Arbeiten zu fotografie­ren, war er bei Privatsamm­lern in halb Deutschlan­d unterwegs, in Berlin, Hannover, Köln. „Ich bin immer wieder gefragt worden, ob es etwas Gedrucktes über mich gibt“, sagt Wernert. Irgendwann sei der Punkt da gewesen, das Projekt in Angriff zu nehmen. „Es war vor allem eine finanziell­e Frage.“Er habe Spender gesucht und gefunden. Der Philosoph Rudolf Brandner steuerte einen umfangreic­hen Essay bei. Das Buch „Verfinster­ung“hat eine Auflage von 500 Exemplaren. Es ist im Meßkircher Gmeiner-Verlag erschienen und für 48 Euro im Buchhandel oder bei Amazon erhältlich.

 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Martin Wernert an der Staffelei in seinem Trossinger Atelier. Seit einigen Monaten entsteht dort sein jüngstes Werk mit dem Arbeitstit­el „Die Schattenin­sel“.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Martin Wernert an der Staffelei in seinem Trossinger Atelier. Seit einigen Monaten entsteht dort sein jüngstes Werk mit dem Arbeitstit­el „Die Schattenin­sel“.
 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Doppeltes Stillleben: rechts ein gerade in Arbeit befindlich­es Werk Wernerts, links der Durchblick auf das reale Vorbild.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Doppeltes Stillleben: rechts ein gerade in Arbeit befindlich­es Werk Wernerts, links der Durchblick auf das reale Vorbild.

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