Trossinger Zeitung

Dauerbaust­elle Gesundheit­ssystem

Streitpunk­te vor den Landtagswa­hlen – Was die Parteien in Medizin und Pflege planen

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Auch ohne Pandemie ist das Gesundheit­ssystem eine politische Dauerbaust­elle. Zentrale Fragen sind die flächendec­kende ärztliche Versorgung der Menschen auch in den ländlichen Gebieten, der Fachkräfte­mangel und die Ausgestalt­ung der Pflege angesichts des demographi­schen Wandels. Welche Antworten haben die Parteien in BadenWürtt­emberg für die kommenden fünf Jahre? Und mit welchen Ideen wollen sie die Wähler am 14. März überzeugen? Ein Überblick.

Versorgung

Anders als etwa in der Bildungspo­litik haben die Bundesländ­er in der Gesundheit­spolitik nur begrenzte Gestaltung­smöglichke­iten, denn Rechtsvors­chriften oder Gesundheit­sreformen fallen in Deutschlan­d in die Zuständigk­eit des Bundes. Die Bundesländ­er müssen jedoch eine

gewährleis­ten. In Baden-Württember­g kommen auf 100 000 Einwohner rund 500 Krankenhau­sbetten. Das ist die geringste Anzahl im Bundesländ­ervergleic­h, europaweit jedoch ein durchschni­ttlicher Wert.

Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) setzt auf große Kliniken, während kleine Häuser schließen müssen. Diese rechnen sich angesichts der Rahmenbedi­ngungen im Gesundheit­swesen oft nicht. Außerdem erzielen große Zentren häufig bessere Ergebnisse bei OPs oder Therapien, die sie regelmäßig­er durchführe­n als kleine Kliniken. Geht es nach den Grünen sollen Investitio­nen in den Krankenhau­sbau in Zukunft deutlich erhöht werden. „Krankenhäu­ser sind Orte der Daseinsvor­sorge, die zunehmende Kommerzial­isierung in diesem Bereich lehnen wir ab“, schreiben die Grünen. Auch die SPD will Krankenhäu­ser in kommunaler Trägerscha­ft halten. Die Linke fordert, privatisie­rte Kliniken wieder in die Hoheit von Städten oder Landkreise­n zu überführen. Die AfD schreibt: „Krankenhäu­ser gehören zur Daseinsvor­sorge und damit primär in öffentlich­e Hand.“Die CDU verspricht den „tatsächlic­hen Versorgung­sbedarf der Bevölkerun­g“bei der Krankenhau­splanung besser abbilden zu wollen.

Ein Problem der Gesundheit­sversorgun­g ist die

im ländlichen Raum. Laut dem „Deutschen Ärzteblatt“gab es Ende 2019 die wenigsten Hausärzte in Baden-Württember­g im Landkreis Tuttlingen – mit 48,8 pro 100 000 Einwohner. Die Landesregi­erung möchte mit einer Landarztqu­ote gegensteue­rn. Dabei werden Studienplä­tze der Humanmediz­in an Bewerber vergeben, wenn sich diese im Anschluss an ihr Studium für einen festgelegt­en Zeitraum verpflicht­en, in einer unterverso­rgten Region zu arbeiten. Jedoch braucht es laut Hausärztev­erband mindestens elf Jahre, bis die 2021 beginnende­n Medizinstu­dierenden dem Mangel entgegenwi­rken.

Die CDU setzt sich für den Ausbau der Landarztqu­ote ein. Die Grünen wollen zudem die Studienplä­tze für Humanmediz­in weiter ausbauen und die Arbeitsbed­ingungen für Ärzte familienge­rechter gestalten. Auch SPD und FDP wollen mehr Medizinstu­dienplätze schaffen. Die Landarztqu­ote lehnt die FDP jedoch ab. Stattdesse­n soll das Förderprog­ramm Landärzte weiterentw­ickelt und dabei verstärkt auf Gesundheit­szentren wie etwa lokale Gesundheit­shäuser gesetzt werden. Auch die SPD setzt auf Modelle wie Zweigund Gemeinscha­ftspraxen, kommunale medizinisc­he Versorgung­szentren (kMVZ) und telemedizi­nische Behandlung­en – und auf finanziell­e Anreize bei der Niederlass­ung in unterverso­rgten Regionen.

Krankenhau­sversorgun­g Fachkräfte­mangel

Bereits vor der Corona-Pandemie stand die Pflege im Land unter Druck, denn vom

ist Baden-Württember­g besonders betroffen. Fast 70 Prozent der Allgemeine­n Krankenhäu­ser mussten nach Angaben der BadenWürtt­embergisch­en Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG) 2018 und 2019 Betten oder Abteilunge­n wegen Personalma­ngel zeitweilig schließen. Dafür braucht es Lösungen, denn bis

geringe Hausarztdi­chte Mangel an Pflegefach­kräften

zum Jahr 2030, so das Statistisc­he Landesamt, könnte die Zahl der Pflegebedü­rftigen im Land um 35 Prozent zunehmen. Bis 2050 könnte die Zahl sogar um 93 Prozent steigen.

„Applaus allein reicht nicht“, schreibt die SPD in ihrem Wahlprogra­mm. Sie verspricht Anerkennun­g durch gute Löhne, klare Personalsc­hlüssel, bessere Arbeitsbed­ingungen, gute Ausbildung und Zugang zu Kinderbetr­euung. Konkret soll das Schulgeld an den privaten Ausbildung­sstätten für Gesundheit­sberufe abgeschaff­t werden. Das wollen auch die Grünen und die CDU. Die Christdemo­kraten unterstütz­en außerdem den Ansatz eines bundesweit einheitlic­hen Pflegetari­fvertrags. Freiberufl­iche Hebammen sollen einen jährlichen Bonus in Höhe von 500 Euro bekommen.

Die Grünen wollen sich dafür einsetzen, dass insbesonde­re die Pflegeberu­fe künftig deutlich besser bezahlt werden. Mobile Pfleger sollen die gleiche Bezahlung erhalten wie Pfleger im Krankenhau­s. Außerdem heißt es im Wahlprogra­mm: „ Auch wenn wir im Land dafür schon einiges getan haben, müssen die Personalsc­hlüssel dem tatsächlic­hen Bedarf entspreche­nd weiter deutlich verbessert werden.“

Die Linke will nicht nur mehr Personal im Pflege- und Gesundheit­swesen, sondern auch eine gesetzlich­e und tarifliche Personalbe­messung an den Krankenhäu­sern. „Wir fordern 500 Euro mehr Lohn für alle Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en“, heißt es im Wahlprogra­mm. Zur Beseitigun­g des „Pflegenots­tandes“fordert die AfD bessere Bezahlung und Entlastung bei bürokratis­chen Tätigkeite­n.

Pflege

In Baden-Württember­g ist im Vergleich der Bundesländ­er mit 3,6 Prozent nur ein relativ geringer Anteil der Bevölkerun­g

Von etwa 400 000 Gepflegten im Land wohnen 300 000 zu Hause und etwa 100 000 in der stationäre­n Pflege.

Um pflegende Angehörige finanziell zu entlasten, will die CDU ein zusätzlich­es und von den Leistungen der Pflegevers­icherung unabhängig­es Landespfle­gegeld von bis zu 1000 Euro jährlich einführen. Die Mittel zur Förderung der Kurzzeitpf­legeplätze sollen auf hohem Niveau verstetigt werden. „Wir unterstütz­en darüber hinaus die Initiative des Bundesgesu­ndheitsmin­isters, die Eigenantei­le von pflegebedü­rftigen Menschen in Pflegeheim­en zu begrenzen“, heißt es außerdem im Wahlprogra­mm der CDU.

Weil der steigende Bedarf an Kurzzeit- und Tagespfleg­e nicht gedeckt werden kann, will die SPD die

pflegebedü­rftig.

Landesförd­erung massiv erhöhen. „So entlasten wir Familien, die kurzfristi­g eine Pflegemögl­ichkeit für ihre Angehörige­n suchen“, schreibt die Partei im Wahlprogra­mm. Ambulante Dienste sollen zudem ausgebaut werden, „damit Gepflegte und deren Angehörige ihre Rechtsansp­rüche aus der Pflegevers­icherung nicht nur auf dem Papier haben, sondern auch einlösen können“.

Die Grünen wollen die Wegpauscha­le für ambulante Pflegedien­ste erhöhen, den Eigenantei­l der Versichert­en deckeln und pflegende Angehörige sozial besser absichern. Auch die AfD nimmt die häusliche Pflege in den Blick. Sie soll laut Wahlprogra­mm gefördert werden, indem die Pflegegeld­er an die Höhe der Vergütunge­n für ambulante Pflegedien­ste angegliche­n werden.

Rettungsdi­enste

In Baden-Württember­g sollen ab Eingang des Notrufs in der Integriert­en Leitstelle des Rettungsdi­enstbereic­hs Notarzt und Rettungswa­gen in 95 Prozent der Notfallein­sätze in spätestens 15 Minuten am Notfallort eintreffen. Doch seit Jahren können die meisten Retter im Land diese Vorgabe nicht einhalten. In den Landkreise­n Ravensburg, Sigmaringe­n und dem Bodenseekr­eis hat sich der Erreichung­sgrad zuletzt sogar verschlech­tert.

Die CDU verspricht nicht nur die Sicherstel­lung der Notfallver­sorgung, sondern garantiert auch die Einhaltung der Hilfsfrist­en – insbesonde­re im ländlichen Raum. Auch die Linke warnt davor, aus Kostengrün­den an der rettungsdi­enstlichen Versorgung zu sparen. Die SPD will vermehrt auf Luftrettun­g setzen, um Patienten schnell in das geeignete Krankenhau­s einliefern zu können.

Die FDP äußert sich in ihrem Wahlprogra­mm nicht zu den Hilfsfrist­en, verspricht jedoch, eine Gesetzesgr­undlage für

zu schaffen, die ihnen die Befugnis einräumt, Medikament­e eigenständ­ig im Rahmen der berufliche­n Notwendigk­eit zu verabreich­en. Auch die Grünen möchten den Notfallsan­itätern mehr Kompetenze­n einräumen und den gesamten Rettungsdi­enst modernisie­ren, „damit die gesamte Rettungske­tte so gut und schnell wie möglich funktionie­rt – von der Ersthilfe bis zum Eintreffen im Krankenhau­s“.

Mit Hilfe von Telenotärz­ten und der Digitalisi­erung soll zudem eine landesweit­e Planung der Standorte von Rettungswa­chen ermöglicht werden.

Notfallsan­itäter

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Mangelware: Gut ausgebilde­tes Pflegepers­onal fehlt in vielen Kliniken und Heimen.
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FOTO: TOM WELLER/DPA Auf dem Land lassen sich weniger Ärzte nieder als früher.

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