Dauerbaustelle Gesundheitssystem
Streitpunkte vor den Landtagswahlen – Was die Parteien in Medizin und Pflege planen
STUTTGART - Auch ohne Pandemie ist das Gesundheitssystem eine politische Dauerbaustelle. Zentrale Fragen sind die flächendeckende ärztliche Versorgung der Menschen auch in den ländlichen Gebieten, der Fachkräftemangel und die Ausgestaltung der Pflege angesichts des demographischen Wandels. Welche Antworten haben die Parteien in BadenWürttemberg für die kommenden fünf Jahre? Und mit welchen Ideen wollen sie die Wähler am 14. März überzeugen? Ein Überblick.
Versorgung
Anders als etwa in der Bildungspolitik haben die Bundesländer in der Gesundheitspolitik nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, denn Rechtsvorschriften oder Gesundheitsreformen fallen in Deutschland in die Zuständigkeit des Bundes. Die Bundesländer müssen jedoch eine
gewährleisten. In Baden-Württemberg kommen auf 100 000 Einwohner rund 500 Krankenhausbetten. Das ist die geringste Anzahl im Bundesländervergleich, europaweit jedoch ein durchschnittlicher Wert.
Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) setzt auf große Kliniken, während kleine Häuser schließen müssen. Diese rechnen sich angesichts der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen oft nicht. Außerdem erzielen große Zentren häufig bessere Ergebnisse bei OPs oder Therapien, die sie regelmäßiger durchführen als kleine Kliniken. Geht es nach den Grünen sollen Investitionen in den Krankenhausbau in Zukunft deutlich erhöht werden. „Krankenhäuser sind Orte der Daseinsvorsorge, die zunehmende Kommerzialisierung in diesem Bereich lehnen wir ab“, schreiben die Grünen. Auch die SPD will Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft halten. Die Linke fordert, privatisierte Kliniken wieder in die Hoheit von Städten oder Landkreisen zu überführen. Die AfD schreibt: „Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge und damit primär in öffentliche Hand.“Die CDU verspricht den „tatsächlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung“bei der Krankenhausplanung besser abbilden zu wollen.
Ein Problem der Gesundheitsversorgung ist die
im ländlichen Raum. Laut dem „Deutschen Ärzteblatt“gab es Ende 2019 die wenigsten Hausärzte in Baden-Württemberg im Landkreis Tuttlingen – mit 48,8 pro 100 000 Einwohner. Die Landesregierung möchte mit einer Landarztquote gegensteuern. Dabei werden Studienplätze der Humanmedizin an Bewerber vergeben, wenn sich diese im Anschluss an ihr Studium für einen festgelegten Zeitraum verpflichten, in einer unterversorgten Region zu arbeiten. Jedoch braucht es laut Hausärzteverband mindestens elf Jahre, bis die 2021 beginnenden Medizinstudierenden dem Mangel entgegenwirken.
Die CDU setzt sich für den Ausbau der Landarztquote ein. Die Grünen wollen zudem die Studienplätze für Humanmedizin weiter ausbauen und die Arbeitsbedingungen für Ärzte familiengerechter gestalten. Auch SPD und FDP wollen mehr Medizinstudienplätze schaffen. Die Landarztquote lehnt die FDP jedoch ab. Stattdessen soll das Förderprogramm Landärzte weiterentwickelt und dabei verstärkt auf Gesundheitszentren wie etwa lokale Gesundheitshäuser gesetzt werden. Auch die SPD setzt auf Modelle wie Zweigund Gemeinschaftspraxen, kommunale medizinische Versorgungszentren (kMVZ) und telemedizinische Behandlungen – und auf finanzielle Anreize bei der Niederlassung in unterversorgten Regionen.
Krankenhausversorgung Fachkräftemangel
Bereits vor der Corona-Pandemie stand die Pflege im Land unter Druck, denn vom
ist Baden-Württemberg besonders betroffen. Fast 70 Prozent der Allgemeinen Krankenhäuser mussten nach Angaben der BadenWürttembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) 2018 und 2019 Betten oder Abteilungen wegen Personalmangel zeitweilig schließen. Dafür braucht es Lösungen, denn bis
geringe Hausarztdichte Mangel an Pflegefachkräften
zum Jahr 2030, so das Statistische Landesamt, könnte die Zahl der Pflegebedürftigen im Land um 35 Prozent zunehmen. Bis 2050 könnte die Zahl sogar um 93 Prozent steigen.
„Applaus allein reicht nicht“, schreibt die SPD in ihrem Wahlprogramm. Sie verspricht Anerkennung durch gute Löhne, klare Personalschlüssel, bessere Arbeitsbedingungen, gute Ausbildung und Zugang zu Kinderbetreuung. Konkret soll das Schulgeld an den privaten Ausbildungsstätten für Gesundheitsberufe abgeschafft werden. Das wollen auch die Grünen und die CDU. Die Christdemokraten unterstützen außerdem den Ansatz eines bundesweit einheitlichen Pflegetarifvertrags. Freiberufliche Hebammen sollen einen jährlichen Bonus in Höhe von 500 Euro bekommen.
Die Grünen wollen sich dafür einsetzen, dass insbesondere die Pflegeberufe künftig deutlich besser bezahlt werden. Mobile Pfleger sollen die gleiche Bezahlung erhalten wie Pfleger im Krankenhaus. Außerdem heißt es im Wahlprogramm: „ Auch wenn wir im Land dafür schon einiges getan haben, müssen die Personalschlüssel dem tatsächlichen Bedarf entsprechend weiter deutlich verbessert werden.“
Die Linke will nicht nur mehr Personal im Pflege- und Gesundheitswesen, sondern auch eine gesetzliche und tarifliche Personalbemessung an den Krankenhäusern. „Wir fordern 500 Euro mehr Lohn für alle Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeheimen“, heißt es im Wahlprogramm. Zur Beseitigung des „Pflegenotstandes“fordert die AfD bessere Bezahlung und Entlastung bei bürokratischen Tätigkeiten.
Pflege
In Baden-Württemberg ist im Vergleich der Bundesländer mit 3,6 Prozent nur ein relativ geringer Anteil der Bevölkerung
Von etwa 400 000 Gepflegten im Land wohnen 300 000 zu Hause und etwa 100 000 in der stationären Pflege.
Um pflegende Angehörige finanziell zu entlasten, will die CDU ein zusätzliches und von den Leistungen der Pflegeversicherung unabhängiges Landespflegegeld von bis zu 1000 Euro jährlich einführen. Die Mittel zur Förderung der Kurzzeitpflegeplätze sollen auf hohem Niveau verstetigt werden. „Wir unterstützen darüber hinaus die Initiative des Bundesgesundheitsministers, die Eigenanteile von pflegebedürftigen Menschen in Pflegeheimen zu begrenzen“, heißt es außerdem im Wahlprogramm der CDU.
Weil der steigende Bedarf an Kurzzeit- und Tagespflege nicht gedeckt werden kann, will die SPD die
pflegebedürftig.
Landesförderung massiv erhöhen. „So entlasten wir Familien, die kurzfristig eine Pflegemöglichkeit für ihre Angehörigen suchen“, schreibt die Partei im Wahlprogramm. Ambulante Dienste sollen zudem ausgebaut werden, „damit Gepflegte und deren Angehörige ihre Rechtsansprüche aus der Pflegeversicherung nicht nur auf dem Papier haben, sondern auch einlösen können“.
Die Grünen wollen die Wegpauschale für ambulante Pflegedienste erhöhen, den Eigenanteil der Versicherten deckeln und pflegende Angehörige sozial besser absichern. Auch die AfD nimmt die häusliche Pflege in den Blick. Sie soll laut Wahlprogramm gefördert werden, indem die Pflegegelder an die Höhe der Vergütungen für ambulante Pflegedienste angeglichen werden.
Rettungsdienste
In Baden-Württemberg sollen ab Eingang des Notrufs in der Integrierten Leitstelle des Rettungsdienstbereichs Notarzt und Rettungswagen in 95 Prozent der Notfalleinsätze in spätestens 15 Minuten am Notfallort eintreffen. Doch seit Jahren können die meisten Retter im Land diese Vorgabe nicht einhalten. In den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und dem Bodenseekreis hat sich der Erreichungsgrad zuletzt sogar verschlechtert.
Die CDU verspricht nicht nur die Sicherstellung der Notfallversorgung, sondern garantiert auch die Einhaltung der Hilfsfristen – insbesondere im ländlichen Raum. Auch die Linke warnt davor, aus Kostengründen an der rettungsdienstlichen Versorgung zu sparen. Die SPD will vermehrt auf Luftrettung setzen, um Patienten schnell in das geeignete Krankenhaus einliefern zu können.
Die FDP äußert sich in ihrem Wahlprogramm nicht zu den Hilfsfristen, verspricht jedoch, eine Gesetzesgrundlage für
zu schaffen, die ihnen die Befugnis einräumt, Medikamente eigenständig im Rahmen der beruflichen Notwendigkeit zu verabreichen. Auch die Grünen möchten den Notfallsanitätern mehr Kompetenzen einräumen und den gesamten Rettungsdienst modernisieren, „damit die gesamte Rettungskette so gut und schnell wie möglich funktioniert – von der Ersthilfe bis zum Eintreffen im Krankenhaus“.
Mit Hilfe von Telenotärzten und der Digitalisierung soll zudem eine landesweite Planung der Standorte von Rettungswachen ermöglicht werden.
Notfallsanitäter