Puzzeln am laufenden Band
Spielehersteller Ravensburger steigert seinen Umsatz in der Corona-Krise um 20 Prozent
RAVENSBURG - Wie Herausforderungen funktionieren, wissen sie bei Ravensburger. Das musste der Chef des Spieleherstellers, Clemens Maier, zuletzt selbst erfahren. An den Weihnachtsfeiertagen hat er gemeinsam mit seiner Familie ein 3000-Teile-Puzzle zusammengesetzt, das 99 Sehenswürdigkeiten aus ganz Europa zeigt. „Da gleicht ein Teil dem anderen. Wir können schon fies sein bei Ravensburger“, sagt Maier lachend.
Seit 2005 arbeitet der Urenkel des Ravensburger-Gründers Otto Maier im Unternehmen, seit 2017 leitet er es. Doch ein Jahr wie 2020 hat er noch nicht erlebt. Denn so wie Maier haben im vergangenen Jahr viele Menschen die Puzzle-Herausforderung gesucht – sehr viele.
In der Corona-Krise hat die Spielebranche einen unvergleichlichen Boom erlebt. Ravensburger konnte seinen Umsatz um ganze 20 Prozent auf 632 Millionen Euro steigern (2019: 524 Millionen Euro). „Das ist die höchste Steigerung der neueren Vergangenheit“, sagte Maier am Mittwoch bei der virtuellen Jahresbilanzkonferenz des Unternehmens. Zur Höhe des Gewinns machte er keine Angaben.
„Die Menschen haben viel Zeit gemeinsam in der Familie verbracht. Brettspiele und Bücher für Kinder waren gefragt. Aber auch Erwachsene haben Entspannung im Alltag gesucht“, sagte Maier. Denn wer den ganzen Tag digitale Plattformen nutze, in Teams- oder Zoom-Meetings stecke, suche zum Ausgleich das analoge Spiel.
Gelegenheitskäufe beim Schlendern durch die Innenstadt waren 2020 selten. Die Menschen griffen stattdessen auf Altbewährtes zurück. Je vertrauter dem Nutzer die Marke und das Spiel war, desto eher griffen die Kunden zu. So liefen bei Ravensburger vor allem die Klassiker gut: Das Spiel „Das verrückte Labyrinth“verkaufte sich 1,2 Millionen
Mal, „Memory“gleich zwei Millionen Mal. „Bei diesen Spielen gibt es keine hohe Einstiegshürde, kein dickes Regelbuch. Man kann gleich loslegen“, sagte Maier. Insgesamt 25 Millionen Spiele hat der oberschwäbische Hersteller in seiner größten Sparte abgesetzt, das ist ein Plus von 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Da Kinder in der Corona-Krise viel zu Hause waren und auch die Schule teilweise nicht besuchen konnten, waren die Bücher von Ravensburger,
wie die der Sachbuchreihe „Wieso? Weshalb? Warum?“, stark nachgefragt. Das Segment Bücher wuchs um 17 Prozent.
Bei den Puzzles aber verlief das Wachstum am rasantesten. 28 Millionen Puzzles verkaufte das Unternehmen. Das sind rund 32 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders beliebte Motive: die Skyline von New York oder „Fahrräder in Amsterdam“. Zwar sei das Puzzeln schon vor der Krise mehr und mehr zum Trend geworden, sagt Maier, aber im vergangenen Jahr habe es sich dann ganz und gar vom „stillen Hobby“in einen Hype verwandelt. Bei Amazon sei das Puzzle neben der Maske zeitweilig eines der meistgesuchten Produkte gewesen.
Der Trend zum Spielen und Puzzeln war ein weltweiter. Starkes Umsatzwachstum erzielte Ravensburger in Spanien, Skandinavien und Nordamerika. Hierzulande machte die Gruppe ein Umsatzplus von 16 Prozent und wuchs damit deutlich stärker als der gesamte deutsche Spielwarenmarkt, dessen Plus sich auf rund neun Prozent beläuft.
Doch: Die hohe Nachfrage war nicht immer leicht zu bedienen. Bis heute arbeiten die Produktionsmitarbeiter bei Ravensburger in einem Drei-Schicht-Betrieb. Und auch jede Menge Lieferkettenprobleme hatte das Unternehmen zu bewältigen. So fehlte zeitweise beispielsweise ein bestimmtes Papierelement für die Spieleschachteln, das aus Bergamo in Italien geliefert wird. Derzeit gebe es Probleme bei der Beschaffung von Leim, sagt Ravensburgers Finanzchef Hanspeter Mürle. Immer wieder müsse das Unternehmen neu kalkulieren oder auf Ersatzprodukte umsteigen. Dass Ravensburger aber weiterhin viel selbst fertige, habe sich in der Krise ausgezahlt.
Außerdem habe die neue Struktur geholfen, in der Ravensburger seit rund einem Jahr arbeitet und bei der die zuvor eigenständigen Divisionen Spiele- und Buchverlag, die Marke Brio, die Sektion Nordamerika und die Einheit Freizeit und Promotion aufgelöst und in eine neue funktionale Organisation überführt wurden. Mit dem nun marken- und produktübergreifenden Vertrieb habe man in der Krise besser agieren und die Kunden beliefern können, sagte Mürle.
Im Gegensatz zum allgemeinen Branchentrend machen die traditionellen Vertriebswege bei Ravensburger noch mehr als zwei Drittel des Umsatzes aus. Nur ein Drittel erzielt das Unternehmen über digitale Kanäle. Und so wirkt sich auch das Schließen des stationären Einzelhandels im Lockdown auf Ravensburger aus. „Das macht uns natürlich Sorge“, sagte Mürle, „denn der Handel ist unser Rückgrat.“Einige kleinere Insolvenzen von Handelspartnern habe Ravensburger bereits verzeichnet, „Wir haben aber die Hoffnung, dass die meisten Geschäfte über die Krise hinwegkommen“, sagte Mürle. Die Händler würden jedenfalls ohne Einschränkungen von Ravensburger beliefert.
Im Jahr 2021 setzt Ravensburger weiterhin auf den Trend zum Puzzle. Vor allem Puzzles für Einsteiger mit mit 200 bis 300 Teilen – und nicht gleich die 1000- oder 3000-Teile-Herausforderung – sollen die Kunden überzeugen. Obwohl Ravensburger – so wie beim Vertrieb – auch bei seinen Spielen den analogen Weg bevorzugt, hat das Unternehmen doch auch einige digitale Neuheiten im Jahr 2021 im Programm.
Auf seiner Webseite hat der Spielehersteller beispielsweise eine „Puzzle World“neu eingerichtet. Dort können sich die Nutzer Puzzles aussuchen oder auch eigene Motive hochladen. Diese können sie dann entweder als haptisches Produkt bestellen, oder sie legen gleich digital mit dem Puzzeln los.
Neu im Bücher-Repertoire für dieses Jahr ist der Lesebär Sami. Wenn man die Eisbär-Figur an ein Buch andockt, fängt der Eisbär an zu sprechen. Er liest aus dem Buch vor und untermalt die Geschichte mit Geräuschen.
Bei den Spielen setzt Ravensburger auf das Thema Mystery und bringt mit „Echoes“ein App-basiertes Spiel heraus. Alles mit Rätsel und Spannung sei bei den Kunden gefragt, sagte Maier.
Eine Prognose, wie das Jahr 2021 für das Unternehmen laufen wird, wollte Maier am Mittwoch allerdings nicht abgeben. „Wir gehen davon aus, dass der Trend zum Spielen und Puzzeln anhalten wird“, sagte er. Trotz des Erfolgs im vergangenen Jahr will sich Ravensburger nicht als CoronaGewinner bezeichnen. „Wir sehen es in aller Demut, dass wir in einer Branche sind, die weniger von der Krise gebeutelt wird als andere“, sagte Maier. Bescheidenheit zeichnet den Unternehmenschef aus – selbst in einer Zeit, in der es für Ravensburger nicht besser laufen könnte.