„Wir können mit bis zu 10 000 Kräften in Altenheimen helfen“
Oberst Armin Schaus führt den Corona-Einsatz der Bundeswehr – „Helfende Hände“sind ebenso gefragt wie IT-Spezialisten
RAVENSBURG/BERLIN - Schweinepest, Hochwasser, Waldbrände und jetzt die Corona-Pandemie: Die Bundeswehr leistet auch im Inland Ländern, Kreisen und Städten Amtshilfe, wenn die Not groß ist. Im Gespräch mit Ludger Möllers erklärt Oberst im Generalstabsdienst Armin Schaus, der Leiter der Koordinierungsstelle für die Amtshilfe der Bundeswehr im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr, wie schnell Hilfe geleistet wird.
Herr Schaus, die Bundesregierung hat am Mittwoch Landkreise und Kommunen aufgefordert, ihren Bedarf für Hilfseinsätze in Altenund Pflegeheimen zu melden. Bis zu 10 000 Soldaten sollen bei Corona-Schnelltests in Altenheimen helfen. Kann die Bundeswehr diese Aufgabe überhaupt stemmen?
Ja, wir können in Alten- und Pflegeheimen kurzfristig mit bis zu 10 000 Soldatinnen und Soldaten unterstützen, wenn die Länder und Kommunen diese Hilfe in Anspruch nehmen möchten. Schon jetzt liegt die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die in Alten- und Pflegeheimen bei den Schnelltests unterstützen, bei über 2100 und wir rechnen mit einem weiteren Anstieg in den nächsten Tagen.
Wo sind sie heute schon unterwegs?
Bisher sind 16 900 Angehörige der Bundeswehr im Zuge der CoronaAmtshilfe im Einsatz, bei Bedarf sind aber mehr Kräfte kurzfristig verfügbar. Insgesamt umfasst das Hilfeleistungskontingent der Bundeswehr in Deutschland 20 000 Frauen und Männer, vor allem für die Hilfeleistung nach dem Prinzip der „Helfenden Hände“, darüber hinaus unterstützt der Sanitätsdienst der Bundeswehr sowohl in Amtshilfe als auch mit den Bundeswehrkrankenhäusern als Teil des zivilen Gesundheitswesens. Und wenn wir jetzt mehr Soldatinnen oder Soldaten brauchen, dann muss darüber entschieden werden. Entscheidend ist die Frage: Besteht personeller Bedarf, der nicht anderweitig gedeckt werden kann?
Warum muss die Bundesregierung die Kommunen ermutigen und sie regelrecht auffordern, Bundeswehr-Kräfte anzufordern? Welche Widerstände gibt es?
Ob es Widerstände gibt, weiß ich nicht, bei uns jedenfalls nicht. Zum Vorgehen: Wir dürfen im Inland nur auf Antrag tätig werden und nicht auf eigene Faust Soldaten im Inland einsetzen, das ist die sich aus dem Grundgesetz ergebende Bedingung. Ich weiß, dass unser Verfahren sehr einfach ist. Das beweisen ja die vielen Anträge, die wir täglich bekommen. Derzeit sind es rund 50 Anfragen pro Tag, Tendenz seit ein paar Tagen steigend, die wir im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin von heute auf morgen bearbeiten, in den allermeisten Fällen positiv beantworten und dann die Soldaten in kurzer Zeit zum Einsatzort schicken. Zur Unterstützung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete haben wir einmal einen Antrag innerhalb von 20 Minuten bewilligt und die Soldaten in Marsch gesetzt.
Wie können sich Krankenhäuser oder Alten- und Pflegeheime informieren?
Wir haben eine Hotline geschaltet, dort können sich Betreiber von Einrichtungen informieren. Und wir haben die 404 Kreisverbindungskommandos in allen Kreisen und kreisfreien Städten, die dann die Beratung vor Ort vornehmen und die Unterstützung über Amtshilfe organisieren. Sie halten die Verbindungen zu den wesentlichen Ansprechpartnern vor Ort, sei es zum Landratsamt, den Behörden oder auch den Hilfsorganisationen.
Welche Voraussetzungen müssen denn vorliegen?
Wenn Behörden uns über die Kreisverbindungskommandos sagen, was sie brauchen, wo sie Hilfe benötigen, welche Art der Hilfe sie erwarten, wie lange der Einsatz dauern soll und zu welchem Zwecke wir tätig werden sollen, ist das ausreichend. Das ist aus meiner Sicht leichter, als eine Steuererklärung auszufüllen. Dann entscheiden wir schnell. Unser Rechtsberater prüft, ob wir tätig werden dürfen – also ob es sich um Amtshilfe handelt. Und auf der militärischen Seite prüfen wir, ob wir die richtigen Fähigkeiten oder personellen Ressourcen für die angefragten Aufgaben zur Verfügung haben.
Welche Aufgaben sind das?
Wir unterscheiden grob gesagt zwischen den „Helfenden Händen“und den Spezialisten. Für den Einsatz als „Helfende Hand“braucht kein Soldat eine besondere Ausbildung. Ein Beispiel: die Entlastung von Pflegekräften in Kliniken. Unsere Soldaten, derzeit sind es 1600 in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern, natürlich in Schutzkleidung und unter Beachtung der Hygieneregeln, nehmen ihnen die nichtpflegerische Arbeit ab und bringen zum Beispiel den Patienten ihre Mahlzeiten, räumen wieder ab. Oder sie transportieren die Patienten im Krankenhaus von der Station zu den Untersuchungsräumen. Die Pflegekräfte können sich derweil auf ihre medizinischen und pflegerischen Tätigkeiten konzentrieren.
Wo wird Personal knapp?
Praktisch jeder Soldat kann als „Helfende Hand“eingesetzt werden, diese Anträge können wir bisher alle erfüllen. Bei den Spezialisten, zum Beispiel bei Ärzten oder Pflegepersonal müssen wir natürlich den eigenen Bedarf zuerst decken. Aus einem Bundeswehrkrankenhaus, das in die zivile Versorgung eingebunden ist, können wir keine große Anzahl an medizinischem Personal abziehen und in die Gesundheitsämter schicken. Und dass wir für die laufenden Auslandseinsätze unsere Ärzte und Sanitäter brauchen, ist selbstverständlich.
Und wo sind Spezialisten gefragt?
Beispielsweise hatten wir im vergangenen Jahr, als zu Beginn der Pandemie Desinfektionsmittel knapp wurden, eine Nachfrage hierzu. Im ABCAbwehrkommando in Bruchsal konnte Desinfektionsmittel aufgrund des Patents eines dortigen Reservisten durch die Kameraden der ABC-Abwehrtruppe selbst hergestellt werden, bis die Industrie liefern konnte. Von diesen Spezialisten haben wir nicht so viele. Auch unterstützen wir die Digitalisierung der Gesundheitsämter für die Kontaktnachverfolgung. Dort sind immer wieder Spezialisten gefragt, die die Software Sorma ausrollen.
Wo sind Sie weiter tätig?
Über 5400 Männer und Frauen arbeiten in 313 Gesundheitsämtern in allen 16 Bundesländern: Sie telefonieren in der Nachverfolgung von Infektionsketten die Kontakte nach. Dazu braucht man Disziplin und gute Umgangsformen: Das bringen wir mit. Nach einer kurzen Einweisung können wir loslegen. Und wir unterstützen mit über 2300 Kräften in den Impfzentren und Impfteams im Sinne der „Helfenden Hände“sowie mit medizinischem Personal. Weitere über 2600 Frauen und Männer sind für die Schnelltests eingeteilt: Das Deutsche Rote Kreuz oder andere Hilfsorganisationen weisen unsere Soldatinnen und Soldaten ein, dann bleiben wir drei Wochen vor Ort.
Und dann?
Wir sind nicht für den Dauereinsatz vorgesehen. Amtshilfe ist quasi Nachbarschaftshilfe unter Behörden, bis die eigentlich Verantwortlichen wieder ihre Aufgabe vollständig übernehmen können. Wir bauen personelle Brücken, bis die Landkreise, Krankenhäuser oder Arbeitsagenturen eigenes Personal aufgebaut haben.