Verehrt, verachtet – aber immer präsent
Phil Collins wird 70 – Das musikalische Arbeitstier will baldmöglichst wieder auf Tour
FREIBURG - Bei manchen runden Geburtstagen von Prominenten erschrickt man leicht: „Ist der auch schon so alt!“Im Falle von Phil Collins, der heute seinen 70. feiert, will sich dieses Gefühl der Überraschung dagegen nicht einstellen. Weniger, weil es die Gesundheit mit dem Briten in den letzten Jahren nicht gut gemeint hat – sondern weil er für viele Menschen gefühlt schon immer da war. Spätestens seit Ende der 1970erJahre war Collins eigentlich durchgehend präsent: Als Musiker mit seiner Band Genesis, solo, in Musicals oder unzähligen Kollaborationen. Als gelegentlicher Schauspieler in Film und Fernsehen, vor allem aber in vielen amüsanten Musikvideos. Und, insbesondere hierzulande, als Dauergast im Radio und bei Fernsehsendungen wie „Wetten, dass ..?“Und wenn man vor dem inneren Augen ein Bild von Collins abruft, dann selten als jugendliche Erscheinung sondern als verschmitzten, energievollen Mann in den besten Jahren.
Diese hielten bei ihm ausgesprochen lange an, bis im letzten Jahrzehnt eine anwachsende Krankenakte das Bild überschattete: Rückenoperation, Stürze, Alkohol und Depressionen, Abschied vom Trommeln. Dazu kamen hässliche Schlagzeilen. Collins’ Schweizer ExFrau Orianne Cevey, mit der er sich nach einer teuren Scheidung zeitweise wieder versöhnt hatte, begann, seine Goldenen Schallplatten zu versteigern und erzählte allerlei Unappetitliches aus dem Eheleben. Und wie reagierte Collins auf all die Turbulenzen? Indem er seine jüngste
Tour „Still Not Dead Yet“(Immer noch nicht tot) nannte.
Zu Humor und Selbstironie ist der Mann also nach wie vor fähig, was ihn allerdings nicht davor geschützt hat, immer wieder als Feindbild zu dienen: Langweiliger Format-Pop lautete ein Vorwurf, seelenloser Konzert-Gigantismus ein anderer – und dann erdreistet sich ein steuerflüchtiger Millionär auch noch, in „Another Day in Paradise“über Obdachlosigkeit zu singen. Collins selbst führt diese Ablehnung auf seine zeitweise unausweichliche Präsenz zurück. Auch begleitet ihn Kritik schon lange in seiner Karriere. So inszenierte er in den Anfangsjahren der Band mit Genesis großartig versponnene Rock-Epen. Als Frontmann Peter Gabriel sich zu einer Solokarriere verabschiedete, übernahm Collins 1975 den Gesang und die Band nahm zunehmend Kurs Richtung radiofreundlichere Nummern. Seitdem sind die „Ausverkauf!“-Rufe der eingefleischten Fans kaum mehr verhallt.
Dem Musiker gelang es aber auch immer wieder, Rückschläge in etwas Positiveres zu verwandeln. So behandelt das Debut-Soloalbum „Face Value“aus dem Jahre 1981 die bitteren Erfahrungen seiner ersten Scheidung – und wurde nicht nur zu einem Millionenerfolg, sondern erhielt auch reichlich Kritikerlob. Selbst die schärfsten Collins-Gegner dürften zähneknirschend eingestehen, was für ein Ausnahmesong „In The Air Tonight“ist. Die düstere Nummer mit der – auch technisch damals neuartigen – denkwürdigen Schlagzeugeinlage hat sich über die Jahrzehnte fest in der Popkultur verankert: Mal baute Rapper Eminem eine Referenz an den Song ein („Stan“), mal spielte Mike Tyson im ersten „Hangover“Film zu dem Song Luft-Schlagzeug. Und im Sommer 2020 kehrte der Song sogar in die Charts zurück – nachdem zwei 21-jährige U.S.-Zwillinge ein „Reaction“-Video gepostet hatten, in dem sie den Song zum ersten Mal hören und ganz aus dem Häuschen sind. In der afro-amerikanischen Gemeinschaft, insbesondere der R&B- und Hip-Hop-Szene, genießt der urbritische Collins schon lange Anerkennung: Die Beats des hochkarätigen Schlagzeugers wurden oft gesampelt und schon 2001 erschien ein Tribut-Album namens „Urban Renewal“, in dem etwa die R&B-Sängerin Brandy sehr erfolgreich das umstrittene „Another Day in Paradise“neu interpretierte.
Dass er kaum so unausstehlich wie gelegentlich behauptet sein kann, belegen zudem zahlreiche Kollaborationen mit Musikern aus sehr unterschiedlichen Stilrichtungen – selbst die 4-CD-Box „Plays Well with Others“konnte nur einen Teil der Resultate abdecken. Dass Arbeitstier Collins fand daneben noch Zeit, eine umfangreiche Sammlung mit Artefakten der Schlacht von Alamo von 1836 zu erstellen, sie einem Museum zu spenden und darüber ein Buch zu verfassen. Auch auf sein eigenes Leben blickt Collins bereits in Buchform zurück – die 2016 erschienene Autobiografie heißt auf Deutsch „Da kommt noch was“. Und wenn man hört, dass Collins nach Ende der Corona-Pandemie baldmöglichst wieder auf Tour gehen will, glaubt man das auch gerne.