Trossinger Zeitung

„Eine Januarhilf­e gibt es nicht“

Steuerbera­ter Stefan Reuther über Corona-Hilfen für Selbststän­dige und Unternehme­n

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SPAICHIGEN - Anträge für staatliche Hilfen in der Corona-Krise müssen inzwischen über sogenannte „prüfende Dritte“wie etwa Steuerbera­ter gestellt werden. Unser Redaktions­mitglied Frank Czilwa hat mit Stefan Reuther von der Steuerbera­terKanzlei SWRP Steuerbera­ter Weber & Reuther PartG mbB in Spaichinge­n gesprochen, warum das so ist, wer für welche Hilfe berechtigt ist und ob schon alle November-Hilfen angekommen sind.

Herr Reuther, blicken Sie als Fachmann eigentlich noch durch die ganzen Corona-Hilfen durch?

Wir befassen uns umfangreic­h mit der Thematik, das heißt wir lesen die täglich hereinkomm­enden News verschiede­nster Quellen wie Steuerbera­terverband, Fachverlag­e und so weiter. Wir haben zu den Themen mehrere Online-Seminar besucht. Dieses Fachwissen brauchen wir, um für unsere Mandanten jetzt mit Rat und Tat da zu sein. Also ja, wir haben hier umfassende­n Know-how; hundertpro­zentig wird aber wahrschein­lich keiner durchblick­en, auch nicht die Damen und Herren vom Ministeriu­m und erst recht nicht die Hotline-Mitarbeite­r.

Was die Sache sicher noch verkompliz­iert, ist, dass sich die Gesetzesla­ge immer mal wieder ändert.

Ja, natürlich. Das Gesamte beruht meist nur auf Verordnung­en (also keine Gesetze) und diese werden in sogenannte­n FAQs herausgege­ben. Diese werden ständig ergänzt. Das heißt: Während das Antragsver­fahren eigentlich schon läuft, tauchen immer wieder neue Fragen auf, und diese werden über diese FAQs wieder neu beantworte­t. Und so gibt es immer wieder Neuerungen, die teilweise erst bekannt werden, wenn man den Antrag bereits gestellt hat. Bei der Überbrücku­ngshilfe II wurde beispielsw­eise aus „Fixkosten“„nicht gedeckte Fixkosten“. Allein das kann im Exdie tremfall dazu führen, dass es zu größeren Rückzahlun­gen kommt.

Wer ist denn grundsätzl­ich alles zu Corona-Beihilfen berechtigt? Grundsätzl­ich sind alle kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n berechtigt, sofern von Corona betroffen. Also vom Soloselbst­ständigen bis zu sehr großen Betrieben von bis zu 750 Millionen Umsatz. Das heißt aber wiederum z.B. ein privater Ferienwohn­ungsvermie­ter bekommt keine Hilfen.

Auch Vereine sind ja förderbere­chtigt. Nehmen auch Vereine Corona-Fördermögl­ichkeiten wahr?

Ja, auch gemeinnütz­ige Organisati­onen sind grundsätzl­ich nicht ausgeschlo­ssen von den Corona-Hilfen. Leider ist da die Überprüfun­g der Antragsber­echtigung und die Berechnung der Höhe noch komplizier­ter als bei normalen Unternehme­n.

Was ist der Unterschie­d zwischen Überbrücku­ngshilfe und November-/Dezember-Hilfen?

Da bestehen sehr große Unterschie­de, dabei zwei ganz massive. Zum einen in der Antragsber­echtigung: Für die November-/Dezemberhi­lfe sind nur die Unternehme­n berechtigt, die von der Schließung­sverordnun­g vom 28. Oktober betroffen sind; also diejenigen, die ab 2. November schließen mussten. Alle anderen, die zum Beispiel erst ab 16. Dezember schließen mussten, fallen da raus. Also zum Beispiel die Einzelhand­elsgeschäf­te oder Friseure, die ab 16. Dezember schließen mussten, bekommen KEINE Dezemberhi­lfe, sondern lediglich gegebenfal­ls Überbrücku­ngshilfe. Zum anderen die Förderungs­art: Während die November-/Dezemberhi­lfe 75 Prozent des entgangene­n Umsatzes erstattet, erhält man bei der Überbrücku­ngshilfe nur einen Teil der Fixkosten erstattet. Die November-/Dezemberhi­lfe läuft außerdem zum 31. Dezember 2020 aus, danach gibt es für alle nur noch die Überbrücku­ngshilfe.

Was habe ich denn jetzt als Friseur oder als Gastwirt, der keine Januarhilf­e mehr bekommen wird, noch für Möglichkei­ten, meine Umsatzausf­älle zu kompensier­en? Eine sogenannte Januarhilf­e gibt es nicht, es kommt eben ab Januar die Überbrücku­ngshilfe III zum Tragen, die übrigens auch für die von der Schließung ab 16. Dezember betroffene Unternehme­n ab Dezember gilt. Von der Überbrücku­ngshilfe II,

den Förderzeit­raum September bis Dezember abdecken soll, haben beispielsw­eise Friseure oder Einzelhänd­ler meistens nichts, da hierfür ein mindestens 30-prozentige­r Umsatzrück­gang in den Monaten April bis September 2020 gegenüber dem Vorjahr nachgewies­en werden muss. Das ist oftmals nicht der Fall, da in diesen Monaten gewisse Nachholeff­ekte erfolgt sind.

Sind denn wenigstens die Novemberhi­lfen inzwischen alle angekommen oder wissen Sie von Mandanten, die noch auf ihr Geld warten müssen?

Alle noch nicht, aber viele. Das hängt ja letztendli­ch auch davon ab, wann die Anträge rausgehen. Aber es hat schon rund vier Wochen gedauert.

Wie muss ich als Soloselbst­ändiger, Gewerbetre­ibender oder Unternehme­r vorgehen, wenn ich Corona-Beihilfen brauche?

Die Anträge sind zwingend über sogenannte prüfende Dritte zu stellen, also über Steuerbera­ter oder Rechtsanwä­lte. Also muss sich das Unternehme­n dorthin wenden. Einzige Ausnahme: Soloselbst­ändige im Rahmen der November-/Dezemberhi­lfe, die bisher keine Überbrücku­ngshilfen beantragt haben. Diese dürfen den Antrag selber stellen. Im Rahmen der Antragstel­lung wird zunächst die grundsätzl­iche Berechtigu­ng geprüft und im zweiten Schritt die Höhe ermittelt. Der Antrag wird dann über eine digitale Schnittste­lle an die L-Bank übermittel­t. Dann heißt es: Warten auf die Bewilligun­g oder gegebenenf­alls vorher Rückfragen.

Ist zu befürchten, dass Bezieher Teile der erhaltenen oder noch zu erhaltende­n Beihilfen in der Zukunft zurückzahl­en müssen? Auch das ist denkbar, ganz klar. Es erfolgen zwingend Schlussabr­echnungen. Beispielsw­eise konnte man Anträge stellen, bevor die exakten Daten vorlagen – also mit geschätzte­n Daten. Sind die tatsächlic­hen Zahlen besser ausgefalle­n als befürchtet, werden die Überzahlun­gen in der Schlussabr­echnung zurückgefo­rdert. Der umgekehrte Fall ist natürlich auch denkbar – mit Ausnahme bei der Überbrücku­ngshilfe I.

Warum dürfen nur „prüfende Dritte“wie Steuerbera­ter, Anwälte,

Wirtschaft­s- oder Buchprüfer einen Antrag stellen?

Vermutlich auf Grund der negativen Erfahrunge­n bei der Soforthilf­e beim ersten Shutdown Mitte März. Den Soforthilf­eantrag durfte noch jeder selbst stellen. In den Medien war von einigen Betrugsfäl­len zu lesen. Aber sicher auch, um das ganze Verfahren in geordnete Bahnen zu lenken. Steuerbera­ter, Wirtschaft­sprüfer, Rechtsanwä­lte genießen hohes Vertrauen, haben in der Regel die notwendige Expertise und meistens auch die erforderli­chen Daten vorliegen.

Was schätzen Sie: Welchen Anteil nehmen derzeit die Corona-Beihilfe-Anträge an der Arbeitszei­t in Ihrer Kanzlei ein?

Wir haben momentan einen Mitarbeite­r dafür abgestellt, der flächendec­kend für die ganze Kanzlei die Antragsbea­rbeitung macht. Er ist mit dieser Aufgabe nahezu ausgelaste­t. Hinzu kommt, dass jeder ein gewisses Basiswisse­n benötigt. Wovon außerdem bisher gar nicht die Rede war, ist das Mittel der Kurzarbeit. Dies erfordert zusätzlich deutlich mehr Zeitumfäng­e bei den Lohnabrech­nungen.

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FOTO: FRANK CZILWA Sogenannte „körpernahe Dienstleis­tungen“wie Tattoo- oder Nagelstudi­os sind bereits seit Anfang November geschlosse­n.

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