Wanderung mit Einkehr: Es droht neue Infektionswelle
Folgen von privatem Treffen im Donautal nicht absehbar – Nicht-Einhalten von Corona-Regeln eine Straftat?
LANDKREIS TUTTLINGEN - Rücksichtslos, verantwortungslos, über alle Maßen egoistisch: In aller Deutlichkeit hat Landrat Stefan Bär Bewohner aus dem Landkreis Tuttlingen kritisiert, die sich nicht an die Regeln der Corona-Verordnung halten. Dies sei der Grund, warum die Sieben-Tages-Inzidenz im Vergleich zu anderen Regionen nicht wirklich sinkt. Nach Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft.
Es ist Samstag, der 16. Januar. Insgesamt 14 Personen aus zehn Haushalten treffen sich zu einer Wanderung im Donautal samt anschließender Einkehr. Die Folge: mindestens 21 Frauen und Männer haben sich mit dem Coronavirus angesteckt. Ein Mensch werde nun stationär im Krankenhaus behandelt. „Ich weiß nicht, ob die 21 Fälle das Ende sind“, sagte Bär. Schließlich wäre das Virus von den Erkrankten bereits in zwei Unternehmen getragen worden.
Mühlheims Bürgermeister Jörg Kaltenbach bestätigt auf Nachfrage unserer Zeitung, dass die Wandergruppe auch auf Mühlheimer Gemarkung unterwegs war. Er werde sich in der Angelegenheit noch an den Ortschaftsrat Stetten sowie an den Gemeinderat Mühlheim wenden und dazu auch etwas im Mitteilungsblatt veröffentlichen. „Ich verurteile dieses völlig inakzeptable Verhalten zutiefst. Ich bin regelrecht schockiert und enttäuscht“, sagte Kaltenbach.
So könnte das „negative Highlight der Woche“weite Kreise ziehen, so Landrat Bär. Denn der Vorfall stehe für eine Geisteshaltung, die sich bei einigen Bürgern entwickelt habe. „Das ist eine Selbstherrlichkeit. Die Leute meinen, sie dürfen machen, was sie wollen, ihnen kann nichts passieren und wenn, dann ist es auch egal“, kritisierte der Landrat das „bewusste Hinwegsetzen über Regeln“scharf.
Erschwerend kommt für die Verwaltung hinzu, dass die Personen dies selbst bei einer Infektion nicht zugeben wollen. „Wir haben das Gefühl, dass wir bei der Kontaktnachverfolgung angelogen werden“, sagte Bär. Bei der Nachfrage würden nur die erlaubten Kontakte angegeben. Dass dies nicht zutrifft, muss das Gesundheitsamt aufwändig recherchieren. Über Name und Wohnort von Infizierten ließen sich Kontakte herleiten, die nicht angegeben wurden. „Bei Freunden und Arbeitskollegen wird es dann aber schwer, Verbindungen zu erkennen“, sagte Bär. Das Verständnis, wie wichtig die Kontaktnachverfolgung
ist, sei verschwunden. Dabei sei das Tückische an dem Coronavirus doch, dass man tagelang nichts davon merke, obwohl man bereits infektiös sei.
Neben dem „sorglosen Kontakt untereinander“bemängelte der Landrat auch, dass die QuarantäneAnordnungen nicht eingehalten wurden. So seien Menschen zur Arbeit gegangen, obwohl sie eigentlich mit einer Infektion zu Hause bleiben sollten. „Da müssen wir uns auch nicht wundern, dass die Zahlen nicht runtergehen“, meinte Bär, der die Verfehlungen konsequent ahnden will. „Wir werden beim Bußgeldrahmen alles ausnutzen, was möglich ist.“
Die Betroffenen müssen sich somit nicht nur auf eine hohe Geldstrafe einstellen. Die Staatsanwaltschaft sei eingeschaltet.
Sorgen bereitet das Verhalten auch hinsichtlich der aufgetretenen Virusmutation. Zwar gebe es noch keinen bestätigten Fall im Kreis Tuttlingen,
aber bereits im SchwarzwaldBaar-Kreis. „Es wäre naiv, zu glauben, dass das mutierte Virus eine Kurve um unseren Kreis machen würde“, sagte der Landrat. Er fordert Bürger auf, bei Hinweisen auf Verstöße die Gemeinden oder den Kreis zu informieren. Er wolle kein Denunziantentum, bei dem Menschen „den ganzen Tag Streife laufen“. Schließlich würden die wenigsten Bürger rausgehen, um andere Menschen bewusst anzustecken. Aber wenn auffällige Dinge – wie größere Gruppen – erkennbar wären, sollte man dies doch lieber melden. „Dann muss ich aber auch hinstehen und sagen, wo war es, wann war es und wer war es. Wenn wir besser werden wollen, dann müssen wir das wissen.“Gerade jetzt, da sich das Coronavirus in Mutationen ausbreitet, dürfe man sich bei den Kontakten keine Nachlässigkeiten erlauben.
Aus Sicht von Bär würden die Menschen, die sich nicht an die Regeln halten und im Fall einer Infektion ihre Kontakte nicht angeben, nicht nur der Gesellschaft, sondern auch sich selbst schaden. Im Februar, so mutmaßt er, werde über Lockerungen diskutiert werden. Und dann hätten Kreise, die bei der Inzidenz deutlich niedriger als die Region Tuttlingen liegen, bessere Argumente und Chancen. „Es kann zu der Situation kommen, dass die Gastronomie und die Geschäfte in VillingenSchwenningen, Rottweil oder Sigmaringen öffnen dürfen und in Tuttlingen nicht.“
Weil man die „Infektionsfälle selbst produziert“, liegt der Kreis mit einer Sieben-Tages-Inzidenz von 125 Infektionen je 100 000 Einwohnern deutlich über dem Landesschnitt (76). „Das ist unbefriedigend“, meinte Bär.