„Da ist die Welt über ihm zusammengebrochen“
Bewährungsstrafen für Überfall auf Pizzaboten
ROTTWEIL/GOSHEIM - Mit einer Bewährungsstrafe sind die beiden jungen Männer, die im Juni 2018 an einer Hütte bei Gosheim einen Pizzaboten überfallen haben, recht glimpflich davongekommen. Das Urteil des Landgerichts lautete: Für S., der die Tat unter Bewährung beging, gibt es eine Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, aus denen eine zweijährige Bewährung wird, für den jüngeren Ö. anderthalb Jahre Jugendstrafe, daraus werden ebenfalls zwei Jahre Bewährung. Damit folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwältin und berücksichtigte auch die lange Zeit zwischen der Verhaftung der beiden im Januar 2019 und dem Prozess.
S. habe sich vom Pizzeria-Inhaber, wo er einst arbeitete, betrogen gefühlt.
TRAUERANZEIGEN Ö. wiederum sei in der Situation damals überfordert gewesen: Nach der Trennung der Eltern alleine im Haus der Familie, die Lehre abgebrochen, kein Geld. Sie betonte auch, dass das Opfer heute noch unter der Tat leide. Dass Ö. bereits 500 Euro an das Opfer bezahlt habe, rechnete sie zu seinen Gunsten, auf der anderen Seite sei die Tat mit hoher krimineller Energie ausgeführt worden. S. wiederum habe die lange Krankheit der Mutter und der frühe Tod sowie die konfliktbehaftete Beziehung zum Vater nachhaltig geprägt. Inzwischen aber habe er sich stabilisiert und sie hoffe, dass er auf dem positiven Weg weitergehe.
„Das ist eine ungewöhnliche Situation“, so Anwalt Berhard Mußgnug, der S. verteidigte und sowohl der Staatsanwältin als auch Nebenklagevertreter Rüdiger Mack dankte: „Damit
können die Angeklagten sehr zufrieden sein!“Sein Mandant habe die Chance gut genutzt, das zeige auch sein Entschuldigungsschreiben an das 68-jährige Opfer, das im Prozess verlesen wurde: „Wäre das über meinen Schreibtisch gegangen, hätte ich einiges geändert.“Die Sache habe auf Messers Schneide gestanden, so Mußgnug, immerhin beging S. die Tat kurz vor seinem 22. Geburtstag, danach wäre er nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden und hätte fünf Jahre Haft bekommen. Dass beide Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, lag auch am Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Michael Karle, der ihn eingehend untersucht hatte und zum Schluss kam, dass S. zum Tatzeitpunkt noch lange nicht die Reife eines Erwachsenen hatte. Mußgnug ging in seinem Antrag sogar noch weiter als die Staatsanwältin: Sein Mandant brauche Hilfe und Struktur im Leben; er forderte, ihm 150 Arbeitsstunden aufzuerlegen.
Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer betonte, beide Angeklagten hätten damals einen Knick in ihrer Lebenslinie gehabt, „und beide haben die Chance genutzt, sich zu beweisen“. Er sprach von großer Naivität der beiden Männer, „sie haben nicht mit den Folgen gerechnet, dafür fehlte ihnen die Empathie“. S. hielt er zugute, dass er vollumfänglich beim psychiatrischen Gutachten mitgearbeitet hatte, „er wusste ja nicht, wie es ausgeht“, er hätte ja auch nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden können.
Auch für Ö. zeigte das Gericht Verständnis. Er hatte damals die Lehrstelle verloren, weil sein Vater sich beim
Chef beschwerte, dass sein Sohn täglich neun Stunden arbeiten musste. „Der Vater als Vorbild – aber was für eins?“Ö. sei völlig überfordert gewesen, „da ist die Welt über ihm zusammengebrochen“. Dass er sich heute in Vereinen engagiere, gefalle dem Gericht, Münzer konstatierte Ö. eine „richtig positive Entwicklung“.
Auch S. sei, so Münzer, durch die Krebserkrankung und den frühen Tod der Mutter aus der Bahn geworfen worden, damals auch stationär in der Luisenklinik behandelt worden. „Er hatte niemanden, der sich seiner annimmt“, deshalb verordnete das Gericht auch den Gang zu Familienhilfe, Suchtberatung und Jobcenter für eine Berufsberatung. Sowohl Verteidiger als auch Staatsanwältin erklärten, nicht gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen.