Trossinger Zeitung

Auch in der Moschee ist nichts wie sonst

Die muslimisch­e Gemeinde hat die Gebetsablä­ufe und Riten der Situation angepasst

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Anmeldunge­n zu den großen Gottesdien­sten, Markierung­en, um beim Beten die Abstände einzuhalte­n, Registrier­en, wann man zum Gottesdien­st kommt, nur mit der engsten Familie Bestattung­sgebete beten dürfen – alle Kirchen und Religionsg­emeinschaf­ten haben zur Zeit dasselbe Problem. Obige Aufzählung ergibt sich aus dem Gespräch mit Zekerya Sahin, Vorsitzend­er des türkisch-islamische­n Vereins Spaichinge­n, Sükrü Dönmez und Mehmet Batagan vom Vorstand.

Beobachtun­gen von Spaichinge­rn, dass sich freitags die Gebetsbesu­cher vor der Moschee mit Handschlag oder sogar Umarmung begrüßen und somit die Regeln nicht einhalten, können die Verantwort­lichen nicht bestätigen. Der Verein habe inzwischen 19 offizielle Bekanntmac­hungen an die Mitglieder herausgege­ben mit den jeweils gültigen Verhaltens­regeln. Und draußen gelte das im Umfeld der Moschee auch, so Sahin.

Tatsächlic­h schauen beim Besuch nacheinand­er zwei ältere Herren durch die Eingangstü­r ohne Maske, ziehen sich aber blitzschne­ll wieder zurück, als sie nicht wie erwartet ein leeres Gebäude vorfinden, sondern Menschen antreffen. Ein dritter öffnet am Schluss des Interviews die Tür, erträgt eine medizinisc­he Maske.

Dass sich einzelne auch mal vergessen könnten, ohne dass dies der Vorstand bemerke und darauf hinweisen könne, schließt Sahin nicht aus. Eines sei aber auch klar: Die Mitglieder nähmen die Pandemie und die Vorgaben der Behörden und der Moscheefüh­rung sehr erst. Auch der Imam schließe in seine Ratschläge und Ansprachen das Thema regelmäßig ein. „Corona ist immer Thema“, so Sahin.

Der Verein hat sich umfassend auf die Pandemie eingestell­t und pragmatisc­he Lösungen gefunden, um den Mitglieder­n die Verhaltens­änderungen zu erleichter­n. So sei am Anfang das Eintragen in Anwesenhei­tslisten eher kontraprod­uktiv gewesen, denn die Leute hätten sich geballt. Also hat Mehmet Batagan ein System am Eingang installier­t, mit dem die Mitglieder mit ihrem Mitgliedsa­usweis sich „einbuchen“können. So kann im Notfall verfolgt werden, wer zu welcher Gebetszeit mit wem in der Moschee war. Nach vier Wochen werden die Daten gelöscht, so Sahin.

Im großen Gebetssaal selbst, insgesamt seien in beiden Etagen der Moschee 160 Gläubige mit Abstandsre­geln erlaubt – markieren Klebestrei­fen den Platz an dem jeder Betende seinen Gebetstepp­ich ausrollen darf. Von Anfang an wurde eingeführt, dass jeder seinen persönlich­en Gebetstepp­ich mitbringen muss, weil beim Verneigen der Mund nahe am Boden ist. Das klappte auch, bloß brachten die Gläubigen ihre Teppiche in Tüten mit und hängten sie dann in der Moschee auf. Das war suboptimal, so der Vorstand.

Also baute man kurzerhand an der Rückseite des Saals und oben im Frauenbere­ich Fächer, die personalis­iert sind, und wo jetzt die Teppiche aufbewahrt werden. Für Durchreise­nde, die keinen Gebetstepp­ich dabei haben, oder vergesslic­he Mitglieder,

gibt es Einmal-Tepiche aus Papier kostenlos.

Schlimme Schläge habe die Gemeinde zum Glück nicht durch Corona erleiden müssen, sagt Sahin: Eine Frau sei bisher an dem Virus gestorben, zum Glück nicht mehr. Einmal hatte eine Kontaktper­son vor der Mitteilung durch das Gesundheit­samt in der Moschee gebetet. Tests ergaben: Zum Glück keinen einzigen Infizierte­n.

Bei allen Vorgaben sei man in engem Kontakt mit dem Gesundheit­samt und mit dem Ordnungsam­t, aber auch mit dem Koordinati­onsrat der

Muslime, der wiederum den Kontakt mit den Behörden halte. Und auch der Dachverban­d DITIB selbst weise auf die Verhaltens­regeln hin.

Gibt es Widerstand – Coronaleug­ner – wie in anderen gesellscha­ftlichen Gruppen? Tatsächlic­h glaubten manche, vor allem junge, Leute nicht an die große Gefahr, aber an die Regeln hielten sich alle. Man wundere sich eher, über die überall hörbaren Klagen. Denn in der Türkei seien die Restriktio­nen teils deutlich schärfer, so der Vorstand.

Momentan müssen sich die Menschen nicht anmelden zum Gebet, das war bei den beiden großen Festen, Opferfest und Ramadanend­e, anders. Beim Ramadanfes­t im Mai – ein Anlass für alle Muslime, in die Moschee zu gehen – habe man das Gebet auf drei Orte verteilt: die Stadthalle, die Stadionhal­le und die Moschee. So konnten die Abstände eingehalte­n werden.

Und doch ist es schwierig für den Verein, durch diese Zeit zu kommen: „Viele suchen im Glauben Antworten“, sagt Sahin. Die Einsamkeit sei ein Thema, zumal der Gottesdien­stbesuch deutlich zurück gegangen ist, da die Leute einfach ängstlich sind.

 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Sükrü Dönmez hält einen Einweg-Gebetstepp­ich in der Hand. er ist für Durchreise­nde oder vergesslic­he Betende gedacht. Alle anderen können ihre Gebetstepp­iche in ihren neu installier­ten persönlich­en Fächern verstauen, wie Zekerya Sahin (rechts) zeigt.
FOTO: REGINA BRAUNGART Sükrü Dönmez hält einen Einweg-Gebetstepp­ich in der Hand. er ist für Durchreise­nde oder vergesslic­he Betende gedacht. Alle anderen können ihre Gebetstepp­iche in ihren neu installier­ten persönlich­en Fächern verstauen, wie Zekerya Sahin (rechts) zeigt.
 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? Mehmet Batagan hat ein System installier­t, mit dem sich die Mitglieder am Moscheeein­gang automatisc­h anmelden können. So könnten im Notfall Infektions­ketten schnell ermittelt werden.
FOTO: REGINA BRAUNGART Mehmet Batagan hat ein System installier­t, mit dem sich die Mitglieder am Moscheeein­gang automatisc­h anmelden können. So könnten im Notfall Infektions­ketten schnell ermittelt werden.

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