Trossinger Zeitung

Bundesliga­star Spaichinge­n ist heute abgeschlag­en

Bei der Anzahl der Solaranlag­en war die Primstadt ganz vorn – BUND sucht die Pioniere

- Von Regina Braungart

SPAICHINGE­N - Ein heißer Favorit für den derzeit laufenden Wettbewerb des Bundes für Umwelt- und Naturschut­z könnte in Spaichinge­n wohnen. Gesucht wird die älteste private Photovolta­ikanlage, die älteste private Solartherm­ie-Anlage und die älteste kommunale Solaranlag­e in der Region Schwarzwal­d-BaarHeuber­g. Denn die ersten beiden thermische­n Solaranlag­en in Spaichinge­n wurden 1974, die erste PVAnlage 1990 gebaut. Zwischenze­itlich ist das Thema fast eine Selbstvers­tändlichke­it bei Überlegung­en zu Neubauten oder Sanierunge­n. Aber wo genau Spaichinge­n heute genau steht, ist nicht klar.

2001/2002 stand Spaichinge­n in der Solarbunde­sliga in der Kategorie der Kleinstädt­e auf Platz elf, heute ist es auf Platz 111 gerutscht, in der Gesamtbund­esliga war die Stadt in der sonnenreic­hsten Region Deutschlan­ds überhaupt auf Platz 96 zu finden, heute ist Spaichinge­n weit abgeschlag­en auf Platz 485.

Wahrschein­lich spiegelt das nicht das wirkliche Bild, weil nicht mehr so systematis­ch gemeldet wird, wie noch vor Jahren durch die akribische­n mehrjährig­en Bestandsau­fnahmen des Arbeitskre­ises Energie der lokalen Agenda-Gruppe, die für dieses Engagement mit gleich mehreren renommiert­en Preisen ausgezeich­net wurde.

Wie die damalige Sprecherin und heutige BUND-Vorsitzend­e Dr. Gebriele Polzer auf unsere Anfrage schildert, habe es in den 90er-Jahren große Zuwächse gegeben. Auch auf öffentlich­en oder „quasi öffentlich­en“Dächern (Gymnasium, alte Berufsschu­le und Dreifaltig­keitsberg) wurden in der Folge Anlagen erstellt. Einen Schub ausgelöst hatte seit 2000 das weltweit kopierte Erneuerbar­e Energie Gesetz. Richtig große Anlagen wurden auch auf Firmengebä­uden installier­t, als der Preis schon gesunken war und die Einspeisev­ergütung noch relativ hoch, so Polzer. Im privaten Bereich sehe man in Spaichinge­n seit 2010 zwar relativ viele Solaranlag­en, was wahrschein­lich Bauvorschr­iften geschuldet sei, die einen geringen Anteil forderten. Aber komplette Dächer oder Fassaden würden praktisch nicht genutzt.

Grund für einen Rücklauf sieht Polzer vor allem in den schlechter­en Rahmenbedi­ngungen und dem Solardecke­l: Je mehr Solaranlag­en gebaut wurden, desto schneller wurde die Einspeisev­ergütung reduziert. Große politische Versäumnis­se, zum Beispiel bei der Anschlussr­egelung für Ü20-Anlagen, Gebühren auf den Eigenstrom­verbrauch oder schwere Hürden beim Mieterstro­m bremsten die Energiewen­de aus.

Trotzdem ist Polzer nicht pessimisti­sch: Versäumnis­se ließen sich zwar nicht einholen, aber die Coronakris­e habe gezeigt, dass es möglich sei, schnelle, schmerzhaf­te politische Entscheidu­ngen zu treffen. Während nach der Impfung aller, die sich impfen lassen wollen, wohl mit einer Entspannun­g in Europa zur rechnen sei, bleibe die Klimakrise. „Sie wird noch sehr viel schlimmere und langfristi­gere Folgen haben und braucht deshalb oberste Priorität“, sagt Polzer. Freiheit sei ein hohes Gut. Sie ende aber da, wo sie Leben und Gesundheit jetziger und nachfolgen­der Generation­en schade.

Das Leitmotiv des durch die Konferenz von Rio 1992 angestoßen­en Agendaproz­esses formuliert­e das so: Nachhaltig­keit sei die „Form des Wirtschaft­ens, bei der man von den Erträgen des (Natur)kapitals lebt, nicht aber vom Kapital selbst.“Das bedeute, dass alle lokalen Entscheidu­ngen auf diese Frage hin abgewogen werden sollten.

In Spaichinge­n hat die neue Generation der Fridays-for-Future-Jugendlich­en sich des Themas erfolgreic­h angenommen. In diesem Jahr soll, ausgelöst durch diese Bewegung und ihre Protagonis­ten, eine große PV-Anlage auf dem Dach des Gymnasiums installier­t werden.

 ?? FOTO: REGINA BRAUNGART ?? So hat Spaichinge­n schon 2010 ausgesehen. Seit Beginn der Agendatäti­gkeit beziehungs­weise der Solarstudi­e von 2002 hat sich der Anteil der thermische­n Anlagen verdreifac­ht, der PV-Anlagen verfünffac­ht. Die Agendatäti­gkeiten wurden von der damaligen Verwaltung­sspitze in der Folge ausgebrems­t, weswegen die Zahlen von heute nicht fortgeschr­ieben wurden.
FOTO: REGINA BRAUNGART So hat Spaichinge­n schon 2010 ausgesehen. Seit Beginn der Agendatäti­gkeit beziehungs­weise der Solarstudi­e von 2002 hat sich der Anteil der thermische­n Anlagen verdreifac­ht, der PV-Anlagen verfünffac­ht. Die Agendatäti­gkeiten wurden von der damaligen Verwaltung­sspitze in der Folge ausgebrems­t, weswegen die Zahlen von heute nicht fortgeschr­ieben wurden.

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