Ein Besuch als Wahlkampf-Wumms
Finanzminister Olaf Scholz kommt zur Stippvisite ins Ulmer Münster und liefert den Südwest-Genossen Schützenhilfe
ULM - Auch der hohe Besuch weckt die Ulmer Innenstadt nicht aus ihrem Lockdown-Schlaf. In Nicht-Corona-Zeiten wären an solch einem milden Donnerstagmittag Scharen von Menschen unterwegs. Stattdessen flanieren nur wenige über den Münsterplatz. Einzig die Polizeiautos und die schweren, dunklen Limousinen mit Berliner Kennzeichen lassen erahnen, dass hier gerade etwas passiert. Finanzminister Olaf Scholz ist zu Gast am Ulmer Münster. Es sei nicht sein erster Besuch, sagt der SPD-Politiker. Oben sei er dennoch nie gewesen.
Am Mittwoch teilte der Vizekanzler im bayrischen Vilshofen noch gegen die politischen Gegner aus. Hier ist Scholz unter sozialdemokratischen Genossen. Gastgeber Martin Rivoir ist da, Landtagsabgeordneter und -kandidat für Ulm, und die Zweitkandidatin für den Wahlkreis 64, Ramona Häberlein-Klumpner. Auch die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis empfängt Scholz. Und Hasan Sen ist ebenfalls zu Gast, der der scheidenden Parlamentarierin Mattheis in den Bundestag nachfolgen möchte.
Sie begrüßen Scholz, Rivoir stellt dem Vizekanzler Heidi Vormann vor, die frisch gekürte Münsterbaumeisterin, seit Montag im Amt. „Es gibt zwei Gründe für meinen Besuch, das ist der eine“, witzelt Scholz. Der andere ist der Geburtstag Ivo Gönners. Der ehemalige – und bislang einzige rote – Oberbürgermeister Ulms feiert seinen 69. Geburtstag.
Für die Stippvisite könnte es einen weiteren Grund geben. Denn eines haben die Sozialdemokraten gemeinsam: Sie haben es gerade nicht leicht. In Land und Bund wird dieses Jahr gewählt. Die Baden-Württemberger bestimmen am 14. März einen neuen Landtag, die Wahl zum neuen Bundestag folgt am 26. September.
Die jüngste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sieht die Südwest-SPD derzeit bei zehn Prozent. 2016 holten die Sozialdemokraten noch 12,7 Prozent, im Jahr 2011 waren es ganze 23,1 Prozent.
Sie können die Schützenhilfe vom Berliner Bazooka-Experten also gerade gut gebrauchen, Scholz mit dem Wahlkampf-Wumms. Das Signal aus Berlin könnte lauten: Seht her, wir interessieren uns auch für das Schwabenland, der oberste Haushälter der Bundesrepublik inspiziert das weltberühmte Ulmer Münster höchstpersönlich.
Dabei hat auch Kanzlerkandidat Olaf Scholz derzeit zu kämpfen. Je nachdem, welche Umfrage man bemüht, pendeln die Bundes-Genossen derzeit zwischen 15 und 17 Prozent. Um fast zehn Prozentpunkte haben sie seit 2013 eingebüßt. Die SPD konnte von der frühen Nominierung Scholz’ zum Kanzlerkandidaten nicht profitieren.
Die harsche Kritik der Sozialdemokraten an der Impfstrategie hatte zuletzt Wähler irritiert – auch Scholz ist Teil des Corona-Kabinetts. Und wird über mögliche Kanzlerkandidaten gesprochen, fallen häufig die Namen des neuen CDU-Chefs Armin Laschet oder des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder. Laut Umfragen sähen die Deutschen lieber einen von ihnen als Kanzler.
Doch Scholz hat für die Aufholjagd noch etwas Zeit. Die heiße Phase des Wahlkampfs wird im Frühsommer
losgehen. Bis dahin bleibt – neben all den Gipfeln zum Kampf gegen Corona – Zeit für ein Besuch in der Münsterbauhütte, die in die Liste guter Praxisbeispiele des Immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen wurde. Scholz hört zu, als ihm Dekan Ernst-Wilhelm Gohl und Andreas Böhm, der Hüttenbaumeister der Münsterbauhütte, erklären, wie die Handwerker die Pfeilersegmente aus Sandstein bearbeiten. Scholz ist interessiert, fragt nach. Manchmal nimmt er seine Hände aus den tiefen Taschen seines Mantels
und fährt über die Sandklötze. In der Hütte ist es laut, Scholz spricht leise.
Draußen lobt er anschließend die „große Arbeit“und das „tolle Handwerk“. Ulm sei „eine Stadt“, in der man merke, „was hier los ist“.
Als eine Journalistin ihn nach der kommenden Bundestagswahl fragt, schaltet er wieder in den Wahlkampfmodus. „Die Bürgerinnen und Bürger wissen, was sie an mir haben“, sagt Scholz siegessicher. Er habe die meiste Erfahrung, der Finanzminister verweist auf die Erfolge im
Kampf gegen die Corona-Pandemie und die finanziellen Folgen, wie gut Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten dasteht. Kurzum: „Ich glaube, dass ich jemand bin, der ein sehr, sehr gutes Ergebnis kriegen kann“, sagt Scholz und betont erneut den Anspruch, Bundeskanzler zu werden.
Im Inneren des Münsters bekommt Scholz einen kurzen historischen Abriss der Kirche. Dekan Gohl erzählt, was es mit der Figur des Erzengels Michael auf sich hat, dass die NSDAP die Figur aufhängen ließ, und es regelmäßig Debatten darüber gibt, den „Nazi-Engel“endlich abzuhängen. Ein kurzes Orgelkonzert gehört auch zum Programm. Es scheint Olaf Scholz recht zu sein, kurz innehalten zu können.
Der Wahlkampf wird dennoch wieder Thema. Gefragt nach den Südwest-Sozialdemokraten, lobt Scholz, diese machten „ziemlich viel richtig“. Die SPD sei die modernste und frischeste Partei im Wahlkampf. „Man merkt das, mit den Auftritten, mit dem, was vorgeschlagen wird, aber auch mit den sehr klaren Äußerungen, wenn es darum geht, wie man die Wirtschaft und die industrielle Zukunft Baden-Württembergs gestalten kann“, sagt Scholz.
Die SPD wisse, wie sie dafür sorgen könne, dass in „zehn, 20 Jahren noch gute Arbeitsplätze da sind“. Gleichzeitig wolle sie den Klimawandel aufhalten und für eine gute Zukunft sorgen, beispielsweise durch gebührenfreie Kitas und Ganztagsangebote in den Schulen. Konkreter wird er nicht.
Insgesamt sei die SPD eine Partei „mit einem guten Programm und einem beeindruckenden Spitzenkandidaten“– gemeint ist Andreas Stoch, der jedoch an diesem Donnerstag nicht nach Ulm gekommen ist. „Ich bin sicher, dass es ein sehr gutes Votum für die SPD geben kann und wird“, sagt Scholz.
Der Ulmer Landtagswahlkämpfer Martin Rivoir freut sich über so viel Lob und Wahlkampfhilfe des Finanzministers. „Ich bin optimistisch, dass so ein Besuch einem auch hilft, am Wahlabend mit in die Regierung zu kommen“, sagt er.
Ob das hilft, wird Rivoir erst am 14. März wissen. Olaf Scholz selbst, der SPD-Kanzlerkandidat, hat ja noch etwas mehr Zeit.