„Nichts ist einfach an der deutschen Sprache“
Die Teilnehmenden des Integrationskurses in Spaichingen büffeln momentan im virtuellen Klassenzimmer
SPAICHINGEN - Vieles steht wegen Corona still, aber einiges geht auch weiter - allerdings häufig digital. An der VHS in Spaichingen läuft einer der Integrationskurse seit über zwei Wochen im virtuellen Klassenzimmer. Von Montag bis Freitag schalten sich die Teilnehmenden jeden Morgen um 8.30 Uhr zusammen, ein Screenshot belegt die Anwesenheit. Unter Anleitung von Lehrerin Helena Schwindt büffeln sie bis 11.45 Uhr Deutsch.
Versiert blendet Schwindt die Folien ein, stellt Fragen und die Teilnehmenden antworten - ohne großes Durcheinander. Insgesamt 19 Menschen aus Rumänien, Kroatien, Bosnien, Russland, Türkei, Tunesien, Polen, Nigeria und Nicaragua sitzen in Spaichingen und Umgebung vor Handys, Tablets oder Laptops und hören Schwindt zu.
Die VHS setzte nicht gleich zu Beginn des Lockdowns auf das virtuelle Klassenzimmer, sondern bot stattdessen Online-Tutorien und ein Lernportal an. Helena Schwindts Schülerinnen und Schüler wirken froh darüber, dass sie inzwischen wieder regulär Unterricht haben. Auch, wenn aus unerklärlichen Gründen ab und zu der Ton wegbleibt – Hauptsache, der Kurs läuft.
Und es geht ans Eingemachte. Die Teilnehmenden schauen sich den Arbeitsvertrag eines Krankenpflegers an, lauschen als Hörbeispiel einem Bewerbungsgespräch, lernen, dass Verdienst und Lohn das Gleiche bedeutet. Sie stehen nicht mehr ganz am Anfang, sondern belegen bereits Modul drei von insgesamt sieben. Die deutsche Sprache, so zumindest die einhellige Meinung der Gruppe, ist echt schwer. Denis Palan (23) ,bringt es auf den Punkt: „Nichts ist einfach an der deutschen Sprache.“
Bei der Frage, was denn die größten Herausforderungen am Deutschen seien, fliegen gleich einige Begriffe durch den virtuellen Raum: die Präpositionen, die Grammatik und – oft genannt – die Artikel. „Im Rumänischen zeigt die Endung des Wortes das Geschlecht an“, erklärt Anca
Krasnek (30). Außerdem seien viele Wörter, die im Rumänischen feminin sind, im Deutschen maskulin. Als Beispiel nennt sie den Tisch, der direkt aus dem Rumänischen übersetzt, eigentlich „die Tisch“wäre. Auch Erol Ismet (33) kämpft: „Das Türkische kennt keine Artikel“, sagt er. So sei „pantolon“einfach Hose ohne dabei ein bestimmtes Geschlecht zu haben.
Carlos Garcia aus Nicaragua verzweifelt ein bisschen an der Eigenheit, im Deutschen verschiedene Begriffe zu „langen Ketten“zusammenzufügen wie Kopfsalat, Kinderspielplatz oder gar Investitionsverwaltungsentwicklungsgesellschaft. Auch er kämpfe mit den Artikeln. So ist beispielsweise „la boca“, der Mund, auf Spanisch feminin. „Mind-blowing“, nennt der 28-Jährige das. Der einzige englische Ausdruck, der fällt, ansonsten läuft alles auf Deutsch ab.
Die Artikel im Deutschen mögen auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, ein paar Regeln gibt es aber doch. Die Sprachforschung geht beispielsweise davon aus, dass 90 Prozent der Wörter mit -e weiblich sind. „Alle Obstsorten, außer Pfirsich und Apfel, sind feminin“, bringt Helena Schwindt als Beispiel an.
Und so leicht geben sich ihre Schützlinge nicht geschlagen: „Ich will die Sprache lernen, egal, ob sie schwierig ist oder nicht“, betont Anca Krasnek. Vor drei Jahren kam sie aus Rumänien nach Deutschland, weil sie hier auf ein besseres Leben für sich und ihre Kinder hofft. In Rumänien habe sie als Verkäuferin gearbeitet und 300 Euro im Monat verdient.
Eigentlich wollte sie schon früher einen Integrationskurs besuchen, doch ihr habe das Geld gefehlt. Denn EU-Bürgerinnen und Bürger aber auch Ausländer mit Aufenthaltstitel zahlen pro Modul einen Eigenanteil von 195 Euro. Für Asylbewerber und Spätaussiedler ist der Kurs kostenlos.
Mit ihren Sprachkenntnissen hofft Krasnek, einen guten Job zu finden und in Kindergarten und Schule besser mit den Erzieherinnen und Erziehern ihrer Kinder sprechen zu können. Ihre beiden Söhne darf sie während des Kurses in die Notbetreuung bringen.
Carlos Garcia sagt, er habe schon lange viele Sprachen lernen wollen. „Ich liebe es mit Leuten zu sprechen.“Italienisch, Englisch und natürlich Spanisch umfasst sein Repertoire bisher – jetzt kommt noch Deutsch hinzu. Der Liebe wegen zog er vergangenen September nach Spaichingen. Nach Europa, genauer gesagt nach Großbritannien, kam er bereits vor einigen Jahren um Englisch zu lernen. Danach wollte er zurück nach Nicaragua, um als Tour-Guide zu arbeiten. Doch er erhielt die Chance, in die Schweiz zu gehen und arbeitete dort als Skilehrer.
Er findet es „sehr, sehr gut“, dass es den Integrationskurs gibt, dessen letztes Modul „Leben in Deutschland“die Gesellschaft und das politische System des Landes in den Blick nimmt. „Ich möchte lernen, wie Leute in Deutschland leben und sprechen“, sagt Garcia. Und hofft: „Vielleicht kann ich ja auch in Europa Tourguide sein.“