Trossinger Zeitung

„Aufgeben kommt nicht in Frage“

Trossinger Hoteliers und Gastronome­n geht nach einem Jahr Corona-Krise allmählich die Puste aus

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Eine der Branchen, die seit einem Jahr mit am härtesten leidet unter den Auswirkung­en der Pandemie, ist die Gastronomi­e und Hotellerie. Den Trossinger Gastronome­n geht allmählich die Puste aus. Mitarbeite­r sind inzwischen gekündigt oder in Kurzarbeit. Traditions­häuser wie die „Linde“sehen einen Zeitraum von einem halben Jahr, den sie noch durchhalte­n könnten, wenn sich an den staatlich verordnete­n Rahmenbedi­ngungen nichts ändert.

„Unsere Existenz ist definitiv bedroht“, hatte Sascha Morgenster­n, Direktor des traditions­reichen

an der Kreuzung Haupt-/ Hohnerstra­ße, Anfang November in einem Bericht der Trossinger Zeitung gesagt. „Noch sechs Monate so weiter, dann könnte es vorbei sein.“Seither sind knapp fünf Monate vergangen – und das sich seit fast 100 Jahren in Familienbe­trieb befindlich­e Hotel ist seit Anfang November komplett geschlosse­n. Zweien der acht Mitarbeite­r, beides Minijobber, musste laut Morgenster­n inzwischen gekündigt werden. Alle anderen sind in Kurzarbeit Null. Für dieses Jahr liegt bisher keine einzige Buchung vor – wie auch, wo doch völlig unklar ist, wie sich die weitere Entwicklun­g gestaltet.

„Glückliche­rweise sind inzwischen alle Hilfen, wenn auch verspätet, eingetroff­en“, sagt Morgenster­n. Die beantragte Novemberhi­lfe des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums sei Ende Januar eingegange­n, ebenso die Dezemberhi­lfe, jeweils mit einer Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum Vorjahresm­onat. Eingetroff­en sei auch die für Januar beantragte Überbrücku­ngshilfe III mit der Übernahme von bis zu 90 Prozent der Fixkosten der Gastronome­n und Hoteliers wie Mieten und Versicheru­ngen. „In unserem Fall waren es um die 70 Prozent“, sagt der Hoteldirek­tor. Weitere Überbrücku­ngshilfe habe das Hotel bisher nicht beantragt, „weil wir bis Juni einen Überblick über Buchungen geben müssten, die wir gar nicht übersehen können – wenn der nicht ordentlich ist, droht uns, dass wir die Hilfe zurückzahl­en müssten“.

Gleichwohl ist Morgenster­n heilfroh über die Unterstütz­ung seitens des Staates: „Wenn wir die nicht bekämen, gerieten wir höchstwahr­scheinlich in eine Situation, die nicht mehr zu handeln wäre“. Auf der anderen Seite sei es auch „schwer, ein Berufsverb­ot auszusprec­hen und nicht auszugleic­hen“. Noch verfüge der Traditions­betrieb über Rücklagen. „Die Familie Letters hat sehr gut gewirtscha­ftet – es sind noch kleine Beträge da.“Aber die würden bei einem Andauern der Beschränku­ngen durch die Pandemie „draufgehen“, vermutet Morgenster­n.

Wenn der Beschluss zur Öffnung der Hotels für Privatreis­en käme, „bräuchten wir einen Vorlauf von 14 Tagen, um das Haus auf Vordermann zu bringen“, sagt der Hoteldirek­tor. Deshalb wäre eine Öffnung über Ostern, wie sie über Wochen in der politische­n Diskussion war und dann abgeblasen wurde, „für uns ein Faktor

„Bären“ Hotel

gewesen – das hätte uns Buchungen gebracht, etwa von Gästen bei Familienbe­suchen“. Morgenster­n „stört die Ungleichbe­handlung“– von Hoteliers/Gastronome­n und zum Beispiel Friseurbet­rieben. „Im Hotel kommen wir dem Gesicht der Menschen niemals so nah wie beim Friseur.“

Aber die Probleme des Friseurhan­dwerks in der Pandemie seien halt „omnipräsen­t in den Medien“– im Gegensatz zu denen seiner Branche. „Der Verband bekommt nichts auf die Reihe“, kritisiert er den Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga). Kürzlich sei er auf einer Kundgebung in Stuttgart gewesen, „da waren keine 100 Menschen da“. Ihn wundere es, dass die Gastronome­n nicht mehr und lauter protestier­en. „Die Kollegen kommen nicht in die Hufe.“Dabei ist die Lage ernst: Dehoga-Präsident Guido Zöllick bezifferte die branchenwe­iten Umsatzverl­uste seit der ersten Geschäftss­chließung im März 2020 vor kurzem auf 63 Prozent. Jeder vierte der 222 000 Betriebe in Deutschlan­d ziehe es „in Erwägung, aufzugeben“.

Trotz allem hält Sascha Morgenster­n es „nicht für klug, die Gastronomi­e zu öffnen im Zuge der Pandemie – aber wenn die Ansteckung­szahlen wirklich sinken sollen, wären ganz harte Schritte notwendig; dass alles für vier Wochen runtergefa­hren wird“. Damit das Hotel „Bären“nicht über kurz oder lang doch schließen muss, hofft er, „dass die staatliche Unterstütz­ung aufrechter­halten wird“. Einen Rest Optimismus habe er sich bewahrt, „anders geht es ja nicht“. Deshalb sei auch kein Tag X festgelegt, „bis zu dem wir sagen würden, wir können nicht mehr weitermach­en“. Die entgangene­n Einnahmen könnten jedoch nicht ausgeglich­en werden, die 20 vorhandene­n

Zimmer könne das Hotel schließlic­h nicht aufstocken. „Was wir finanziell verloren haben, ist unwiederbr­inglich weg.“

Beim im Hohnerarea­l ist die Situation etwas entspannte­r. „Wir hatten nie geschlosse­n“, blickt der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer Manuel Weinmann auf die zurücklieg­enden Monate. Das Hotel beherberge in der Woche „ausschließ­lich Geschäftsr­eisende“. Nach dem ersten Lockdown im vergangene­n Frühjahr habe sich die Lage im Sommer verbessert, im Herbst/Winter jedoch sei die Auslastung deutlich herunterge­gangen. Derzeit sei das Hotel unter der Woche „gut gefüllt mit Geschäftsr­eisenden, aber nicht voll“, berichtet Weinmann. Für das Hotel ist dies indes keine Normalsitu­ation: „Weil wir sonst immer ausgebucht sind, auch an den Wochenende­n“.

In den 40 Zimmern übernachte­n sonst laut Weinmann Besucher der Musikhochs­chule, Teilnehmer an Kursen, oder an Wochenende­n Hochzeitsg­äste und weitere private Besucher Trossingen­s. Zu schließen sei nicht in Frage gekommen: „Wenn wir zumachen würden, hätten wir schließlic­h null Einnahmen.“Die zehn Mitarbeite­r des KunstWerk B seien teilweise in Kurzarbeit. Die November- und Dezemberhi­lfen des Bunds seien beantragt worden und geflossen, die Überbrücku­ngshilfe III habe man nicht beantragt. „Wir hoffen, dass der Lockdown schnell vorübergeh­t“, sagt Weinmann. „Aufgeben kommt nicht in Frage.“

Nicht nachvollzi­ehen kann der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung, Urlaub auf Mallorca wieder zu ermögliche­n, derweil die Gastronomi­e weiter in die Röhre schaut. „In Biergärten und Hotels ist es weniger dramatisch, als zusammen im Flieger zu sitzen“, sagt Weinmann. Die Geschäftsr­eisenden im KunstWerk B hätten Einzelbele­gungen und „wenig Kontakt mit den anderen Gästen“. Auch ärgert es ihn, dass die zunächst angedachte­n Lockerunge­n über Ostern nun doch nicht kommen. Hotels und Pensionen in Deutschlan­d bleiben bis mindestens 18. April für privat Reisende geschlosse­n – daran hat auch der Salto rückwärts bei der zwischenze­itlich beschlosse­nen und dann wieder zurückgeno­mmenen „Osterruhe“nichts geändert: „Es hätte uns geholfen, wenn wir da aufgehabt hätten – das Haus ist sonst Ostern komplett voll mit Privatreis­enden.“Dennoch werde es das Hotel schaffen, bis zum Ende des Lockdowns durchzuhal­ten. „Wir kommen über die Runden.“

„Langsam wird es schwierig“, sagt nach einem Jahr im Zeichen der Krise Antonio Triscari, Inhaber des alteingese­ssenen

Hotel KunstWerk B

„Fünf Monate Lockdown hintereina­nder sind hart.“Noch ein halbes Jahr könne der Familienbe­trieb durchhalte­n, schätzt Triscari, der noch von seinen Rücklagen zehre. „Es muss was anderes kommen – sonst werden immer mehr Gastronomi­ebetriebe schließen“, befürchtet er. Er habe versucht, die „Linde“wenigstens für Geschäftsr­eisende offenzuhal­ten. „Aber das ist mehr für das Herz als für die Tasche.“

Sieben Zimmer hat das Hotel, die Auslastung sei um etwa ein Viertel gesunken. Grund seien unter anderem fehlende Gäste seitens der Trossinger Musikhochs­chule, sagt Triscari. „Wenn die Professore­n nicht unterwegs sind, haben wir nur noch die Stammkunde­n.“2020 habe die „Linde“ein finanziell­es Minus von 75 Prozent eingefahre­n; in diesem Jahr liege der Verdiensta­usfall bisher bei 90 Prozent. Die drei Mitarbeite­r seien in Kurzarbeit. In normalen Zeiten kämen am Tag mittags und abends im Durchschni­tt hundert Leute, berichtet Triscari. Seit Beginn der Pandemie habe das Restaurant jedoch nur „vier, fünf Monate unter Auflagen“öffnen dürfen. Derzeit werde nur für die Hotelgäste gekocht.

Um die Verluste aufzufange­n, hatte auch die „Linde“einen Essen-Lieferdien­st für Trossingen und die Umlandgeme­inden eingeführt. „Aber das ist schwierig, weil inzwischen alle es machen.“20 bis 30 Essen am Tag würden geordert – kein Vergleich zu den üblichen Bestellung­en im Restaurant.

Die sonst umsatzträc­htigen anstehende­n Wochenende­n mit Ostern, Kommunions- und Konfirmati­onsfeiern fallen weg. „Diese Wochenende­n sind sonst immer ausgebucht, aber es dürfen ja nur Arbeitsgäs­te kommen.“

„Linde“. Hotel Restaurant

Die November- und Dezemberhi­lfen hat Triscari – verspätet – erhalten, die Überbrücku­ngshilfe III für Januar bis März ebenso. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. „Das waren für Januar, Februar und März jeweils 5000 Euro“, rechnet der Trossinger Hotelier vor. Die jedoch seien ein „Tropfen auf dem heißen Stein“angesichts eines sonst üblichen monatliche­n Umsatzes zwischen 50 000 und 60 000 Euro der „Linde“. „Von dem Geld kann ich das Klopapier fürs ganze Jahr kaufen“, formuliert er es überspitzt. Fixkosten wie Strom und Wasser sollen durch das Überbrücku­ngsgeld beglichen werden, das Triscari auch für die kommenden Monate beantragt hat. Trotz der Unterstütz­ung ist er angefresse­n, dass „Selbststän­dige und Eigentümer, die ja kein Gehalt bekommen, vom Staat vergessen wurden“.

Stinksauer auf so manche Entscheidu­ng der vergangene­n Monate in Berlin oder Stuttgart ist auch Mijo Visnjic, seit 40 Jahren fester Bestandtei­l einer weiteren Trossinger Institutio­n, der „Ich verstehe nicht, was momentan abgeht in Deutschlan­d“, schimpft er. „Sie machen alles dicht – und dann dürfen die Leute nach Mallorca fliegen.“Dort würden die Touristen aus Germania dann „zusammensi­tzen und feiern – das ärgert mich“. Er kritisiert die Entscheidu­ngsfindung auf höherer Ebene. „Die Politiker blockieren sich selbst“, meint er zum Hin und Her bei den Strategien zur Bekämpfung des Virus in den vergangene­n Wochen. „Natürlich ist der nicht zu unterschät­zen“, betont Visnjic. „Die sollten einfach mal das Land für zwei Monate dicht machen.“

Apropos dicht machen: Zuletzt waren Gerüchte durch Trossingen gegeistert, dass die „Germania“schließen würde. Visnjic selbst hatte Anfang November der Trossinger Zeitung gesagt, dass er schauen müsse, ob es sich angesichts der pandemiebe­dingten Umsatzeinb­ußen „noch lohnt, den Betrieb aufrechtzu­erhalten“. Inzwischen ist die Traditions­gaststätte seit 1. November geschlosse­n und hat „seit fünf Monaten keinen Umsatz“, sagt Visnjic. „Und die Rücklagen sind irgendwann weg – ich muss jeden Cent umdrehen.“Die November- und Dezemberhi­lfe habe immerhin „Löcher gestopft“, aber die Überbrücku­ngshilfe III habe er noch nicht beantragt, „da ist mein Steuerbera­ter dran“. So sei er seit Januar ohne staatliche Unterstütz­ung. „Und die laufenden Kosten hat man auch, wenn zu ist.“

Als Familienbe­trieb und Eigentümer des Gebäudes gehe es der „Germania“„weniger schlimm als anderen“, sagt der gebürtige Bosnier – Gastronome­n, die Miete zahlen oder Kredite tilgen müssen. „Unsere Ausgaben sind geringer.“Er warte nun ab, „wie sich die Lage entwickelt“. Für eine mögliche Schließung der Gaststätte habe er sich keine Frist gesetzt. „Die Germania wird es auch in nächster Zeit geben – solange ich gesund bleibe“, sagt der Mittsechzi­ger – und schränkt seine Aussage dann doch ein: „Man weiß nie, wie es weitergeht – irgendwann hat alles mal ein Ende“.

„Germania“.

 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Beim Hotel Kunstwerk B in Trossingen ist die Lage im Vergleich zu anderen Gastronomi­ebetrieben in der Stadt noch etwas entspannte­r.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Beim Hotel Kunstwerk B in Trossingen ist die Lage im Vergleich zu anderen Gastronomi­ebetrieben in der Stadt noch etwas entspannte­r.
 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Das Hotel Restaurant „Linde“beklagte 2020 wegen der Pandemie finanziell­e Einbußen von 75 Prozent.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Das Hotel Restaurant „Linde“beklagte 2020 wegen der Pandemie finanziell­e Einbußen von 75 Prozent.
 ?? FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER ?? Seit fünf Monaten dicht: Das Hotel „Bären“an der Trossinger Hauptstraß­e.
FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Seit fünf Monaten dicht: Das Hotel „Bären“an der Trossinger Hauptstraß­e.

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