„Aufgeben kommt nicht in Frage“
Trossinger Hoteliers und Gastronomen geht nach einem Jahr Corona-Krise allmählich die Puste aus
TROSSINGEN - Eine der Branchen, die seit einem Jahr mit am härtesten leidet unter den Auswirkungen der Pandemie, ist die Gastronomie und Hotellerie. Den Trossinger Gastronomen geht allmählich die Puste aus. Mitarbeiter sind inzwischen gekündigt oder in Kurzarbeit. Traditionshäuser wie die „Linde“sehen einen Zeitraum von einem halben Jahr, den sie noch durchhalten könnten, wenn sich an den staatlich verordneten Rahmenbedingungen nichts ändert.
„Unsere Existenz ist definitiv bedroht“, hatte Sascha Morgenstern, Direktor des traditionsreichen
an der Kreuzung Haupt-/ Hohnerstraße, Anfang November in einem Bericht der Trossinger Zeitung gesagt. „Noch sechs Monate so weiter, dann könnte es vorbei sein.“Seither sind knapp fünf Monate vergangen – und das sich seit fast 100 Jahren in Familienbetrieb befindliche Hotel ist seit Anfang November komplett geschlossen. Zweien der acht Mitarbeiter, beides Minijobber, musste laut Morgenstern inzwischen gekündigt werden. Alle anderen sind in Kurzarbeit Null. Für dieses Jahr liegt bisher keine einzige Buchung vor – wie auch, wo doch völlig unklar ist, wie sich die weitere Entwicklung gestaltet.
„Glücklicherweise sind inzwischen alle Hilfen, wenn auch verspätet, eingetroffen“, sagt Morgenstern. Die beantragte Novemberhilfe des Bundeswirtschaftsministeriums sei Ende Januar eingegangen, ebenso die Dezemberhilfe, jeweils mit einer Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum Vorjahresmonat. Eingetroffen sei auch die für Januar beantragte Überbrückungshilfe III mit der Übernahme von bis zu 90 Prozent der Fixkosten der Gastronomen und Hoteliers wie Mieten und Versicherungen. „In unserem Fall waren es um die 70 Prozent“, sagt der Hoteldirektor. Weitere Überbrückungshilfe habe das Hotel bisher nicht beantragt, „weil wir bis Juni einen Überblick über Buchungen geben müssten, die wir gar nicht übersehen können – wenn der nicht ordentlich ist, droht uns, dass wir die Hilfe zurückzahlen müssten“.
Gleichwohl ist Morgenstern heilfroh über die Unterstützung seitens des Staates: „Wenn wir die nicht bekämen, gerieten wir höchstwahrscheinlich in eine Situation, die nicht mehr zu handeln wäre“. Auf der anderen Seite sei es auch „schwer, ein Berufsverbot auszusprechen und nicht auszugleichen“. Noch verfüge der Traditionsbetrieb über Rücklagen. „Die Familie Letters hat sehr gut gewirtschaftet – es sind noch kleine Beträge da.“Aber die würden bei einem Andauern der Beschränkungen durch die Pandemie „draufgehen“, vermutet Morgenstern.
Wenn der Beschluss zur Öffnung der Hotels für Privatreisen käme, „bräuchten wir einen Vorlauf von 14 Tagen, um das Haus auf Vordermann zu bringen“, sagt der Hoteldirektor. Deshalb wäre eine Öffnung über Ostern, wie sie über Wochen in der politischen Diskussion war und dann abgeblasen wurde, „für uns ein Faktor
„Bären“ Hotel
gewesen – das hätte uns Buchungen gebracht, etwa von Gästen bei Familienbesuchen“. Morgenstern „stört die Ungleichbehandlung“– von Hoteliers/Gastronomen und zum Beispiel Friseurbetrieben. „Im Hotel kommen wir dem Gesicht der Menschen niemals so nah wie beim Friseur.“
Aber die Probleme des Friseurhandwerks in der Pandemie seien halt „omnipräsent in den Medien“– im Gegensatz zu denen seiner Branche. „Der Verband bekommt nichts auf die Reihe“, kritisiert er den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Kürzlich sei er auf einer Kundgebung in Stuttgart gewesen, „da waren keine 100 Menschen da“. Ihn wundere es, dass die Gastronomen nicht mehr und lauter protestieren. „Die Kollegen kommen nicht in die Hufe.“Dabei ist die Lage ernst: Dehoga-Präsident Guido Zöllick bezifferte die branchenweiten Umsatzverluste seit der ersten Geschäftsschließung im März 2020 vor kurzem auf 63 Prozent. Jeder vierte der 222 000 Betriebe in Deutschland ziehe es „in Erwägung, aufzugeben“.
Trotz allem hält Sascha Morgenstern es „nicht für klug, die Gastronomie zu öffnen im Zuge der Pandemie – aber wenn die Ansteckungszahlen wirklich sinken sollen, wären ganz harte Schritte notwendig; dass alles für vier Wochen runtergefahren wird“. Damit das Hotel „Bären“nicht über kurz oder lang doch schließen muss, hofft er, „dass die staatliche Unterstützung aufrechterhalten wird“. Einen Rest Optimismus habe er sich bewahrt, „anders geht es ja nicht“. Deshalb sei auch kein Tag X festgelegt, „bis zu dem wir sagen würden, wir können nicht mehr weitermachen“. Die entgangenen Einnahmen könnten jedoch nicht ausgeglichen werden, die 20 vorhandenen
Zimmer könne das Hotel schließlich nicht aufstocken. „Was wir finanziell verloren haben, ist unwiederbringlich weg.“
Beim im Hohnerareal ist die Situation etwas entspannter. „Wir hatten nie geschlossen“, blickt der stellvertretende Geschäftsführer Manuel Weinmann auf die zurückliegenden Monate. Das Hotel beherberge in der Woche „ausschließlich Geschäftsreisende“. Nach dem ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr habe sich die Lage im Sommer verbessert, im Herbst/Winter jedoch sei die Auslastung deutlich heruntergegangen. Derzeit sei das Hotel unter der Woche „gut gefüllt mit Geschäftsreisenden, aber nicht voll“, berichtet Weinmann. Für das Hotel ist dies indes keine Normalsituation: „Weil wir sonst immer ausgebucht sind, auch an den Wochenenden“.
In den 40 Zimmern übernachten sonst laut Weinmann Besucher der Musikhochschule, Teilnehmer an Kursen, oder an Wochenenden Hochzeitsgäste und weitere private Besucher Trossingens. Zu schließen sei nicht in Frage gekommen: „Wenn wir zumachen würden, hätten wir schließlich null Einnahmen.“Die zehn Mitarbeiter des KunstWerk B seien teilweise in Kurzarbeit. Die November- und Dezemberhilfen des Bunds seien beantragt worden und geflossen, die Überbrückungshilfe III habe man nicht beantragt. „Wir hoffen, dass der Lockdown schnell vorübergeht“, sagt Weinmann. „Aufgeben kommt nicht in Frage.“
Nicht nachvollziehen kann der stellvertretende Geschäftsführer die Entscheidung der Bundesregierung, Urlaub auf Mallorca wieder zu ermöglichen, derweil die Gastronomie weiter in die Röhre schaut. „In Biergärten und Hotels ist es weniger dramatisch, als zusammen im Flieger zu sitzen“, sagt Weinmann. Die Geschäftsreisenden im KunstWerk B hätten Einzelbelegungen und „wenig Kontakt mit den anderen Gästen“. Auch ärgert es ihn, dass die zunächst angedachten Lockerungen über Ostern nun doch nicht kommen. Hotels und Pensionen in Deutschland bleiben bis mindestens 18. April für privat Reisende geschlossen – daran hat auch der Salto rückwärts bei der zwischenzeitlich beschlossenen und dann wieder zurückgenommenen „Osterruhe“nichts geändert: „Es hätte uns geholfen, wenn wir da aufgehabt hätten – das Haus ist sonst Ostern komplett voll mit Privatreisenden.“Dennoch werde es das Hotel schaffen, bis zum Ende des Lockdowns durchzuhalten. „Wir kommen über die Runden.“
„Langsam wird es schwierig“, sagt nach einem Jahr im Zeichen der Krise Antonio Triscari, Inhaber des alteingesessenen
Hotel KunstWerk B
„Fünf Monate Lockdown hintereinander sind hart.“Noch ein halbes Jahr könne der Familienbetrieb durchhalten, schätzt Triscari, der noch von seinen Rücklagen zehre. „Es muss was anderes kommen – sonst werden immer mehr Gastronomiebetriebe schließen“, befürchtet er. Er habe versucht, die „Linde“wenigstens für Geschäftsreisende offenzuhalten. „Aber das ist mehr für das Herz als für die Tasche.“
Sieben Zimmer hat das Hotel, die Auslastung sei um etwa ein Viertel gesunken. Grund seien unter anderem fehlende Gäste seitens der Trossinger Musikhochschule, sagt Triscari. „Wenn die Professoren nicht unterwegs sind, haben wir nur noch die Stammkunden.“2020 habe die „Linde“ein finanzielles Minus von 75 Prozent eingefahren; in diesem Jahr liege der Verdienstausfall bisher bei 90 Prozent. Die drei Mitarbeiter seien in Kurzarbeit. In normalen Zeiten kämen am Tag mittags und abends im Durchschnitt hundert Leute, berichtet Triscari. Seit Beginn der Pandemie habe das Restaurant jedoch nur „vier, fünf Monate unter Auflagen“öffnen dürfen. Derzeit werde nur für die Hotelgäste gekocht.
Um die Verluste aufzufangen, hatte auch die „Linde“einen Essen-Lieferdienst für Trossingen und die Umlandgemeinden eingeführt. „Aber das ist schwierig, weil inzwischen alle es machen.“20 bis 30 Essen am Tag würden geordert – kein Vergleich zu den üblichen Bestellungen im Restaurant.
Die sonst umsatzträchtigen anstehenden Wochenenden mit Ostern, Kommunions- und Konfirmationsfeiern fallen weg. „Diese Wochenenden sind sonst immer ausgebucht, aber es dürfen ja nur Arbeitsgäste kommen.“
„Linde“. Hotel Restaurant
Die November- und Dezemberhilfen hat Triscari – verspätet – erhalten, die Überbrückungshilfe III für Januar bis März ebenso. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. „Das waren für Januar, Februar und März jeweils 5000 Euro“, rechnet der Trossinger Hotelier vor. Die jedoch seien ein „Tropfen auf dem heißen Stein“angesichts eines sonst üblichen monatlichen Umsatzes zwischen 50 000 und 60 000 Euro der „Linde“. „Von dem Geld kann ich das Klopapier fürs ganze Jahr kaufen“, formuliert er es überspitzt. Fixkosten wie Strom und Wasser sollen durch das Überbrückungsgeld beglichen werden, das Triscari auch für die kommenden Monate beantragt hat. Trotz der Unterstützung ist er angefressen, dass „Selbstständige und Eigentümer, die ja kein Gehalt bekommen, vom Staat vergessen wurden“.
Stinksauer auf so manche Entscheidung der vergangenen Monate in Berlin oder Stuttgart ist auch Mijo Visnjic, seit 40 Jahren fester Bestandteil einer weiteren Trossinger Institution, der „Ich verstehe nicht, was momentan abgeht in Deutschland“, schimpft er. „Sie machen alles dicht – und dann dürfen die Leute nach Mallorca fliegen.“Dort würden die Touristen aus Germania dann „zusammensitzen und feiern – das ärgert mich“. Er kritisiert die Entscheidungsfindung auf höherer Ebene. „Die Politiker blockieren sich selbst“, meint er zum Hin und Her bei den Strategien zur Bekämpfung des Virus in den vergangenen Wochen. „Natürlich ist der nicht zu unterschätzen“, betont Visnjic. „Die sollten einfach mal das Land für zwei Monate dicht machen.“
Apropos dicht machen: Zuletzt waren Gerüchte durch Trossingen gegeistert, dass die „Germania“schließen würde. Visnjic selbst hatte Anfang November der Trossinger Zeitung gesagt, dass er schauen müsse, ob es sich angesichts der pandemiebedingten Umsatzeinbußen „noch lohnt, den Betrieb aufrechtzuerhalten“. Inzwischen ist die Traditionsgaststätte seit 1. November geschlossen und hat „seit fünf Monaten keinen Umsatz“, sagt Visnjic. „Und die Rücklagen sind irgendwann weg – ich muss jeden Cent umdrehen.“Die November- und Dezemberhilfe habe immerhin „Löcher gestopft“, aber die Überbrückungshilfe III habe er noch nicht beantragt, „da ist mein Steuerberater dran“. So sei er seit Januar ohne staatliche Unterstützung. „Und die laufenden Kosten hat man auch, wenn zu ist.“
Als Familienbetrieb und Eigentümer des Gebäudes gehe es der „Germania“„weniger schlimm als anderen“, sagt der gebürtige Bosnier – Gastronomen, die Miete zahlen oder Kredite tilgen müssen. „Unsere Ausgaben sind geringer.“Er warte nun ab, „wie sich die Lage entwickelt“. Für eine mögliche Schließung der Gaststätte habe er sich keine Frist gesetzt. „Die Germania wird es auch in nächster Zeit geben – solange ich gesund bleibe“, sagt der Mittsechziger – und schränkt seine Aussage dann doch ein: „Man weiß nie, wie es weitergeht – irgendwann hat alles mal ein Ende“.
„Germania“.