Trossinger Zeitung

Zeit für Ostern

Der evangelisc­he Landesbisc­hof July ermutigt zu Gottvertra­uen auch in Zeiten der Pandemie

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Ostern mit der Auferstehu­ng Jesu Christi als Beginn einer neuen Zeit: In seiner Predigt zu den Kar- und Ostertagen für die Leserinnen und Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“fordert der evangelisc­he Landesbisc­hof von Württember­g, Frank Otfried July, dazu auf, auch angesichts der Pandemie das Gottvertra­uen zu leben: „Ostern verweist auf das Ende der Zeit, die Gott selbst aufhebt.“

Auf einen Schlag wird alles anders. Gewohnte Abläufe werden unterbroch­en und Menschen erfahren in ihrem Leben, was es heißt: Nichts wird mehr so sein, wie es vorher war. Jedem wird dazu etwas einfallen, wie es war nach einem Anruf mit einer fürchterli­chen oder einer wunderbare­n Nachricht. Oft brennt sich in der Erinnerung nicht nur der Tag, sondern auch die Stunde ein. Manchmal erinnert sich ein Großteil der Menschheit daran, manchmal eine Stadt, manchmal eine Familie oder ein Mensch für sich ganz allein: Da hat die Stunde für eine bittere Tragödie geschlagen oder für ein großes Glück. Mich hat in diesem CoronaJahr der Abschied von manchem guten Bekannten beschäftig­t.

An Karfreitag ging ein Beben durch das Land und es wurde dunkel. Die Sterbestun­de Jesu markiert am Karfreitag den lautesten Schlag, die tiefste Stille. Am Ostermorge­n dann wieder ein Beben. Diesmal erscheint ein Engel Gottes im hellen Glanz, wälzt den Stein am Grab Jesu zur Seite. „Fürchtet euch nicht!“, sagt er den Menschen, die am Grab wachen.

Zeit für Ostern – mit einem Schlag wird alles anders. In der Martinskir­che in Biberach, die Heimat gleicherma­ßen für evangelisc­he und katholisch­e Christen ist, zieht eine große Uhr am Chorbogen die Blicke auf sich. Ich weiß noch genau, wie sie mich fasziniert hat, als ich sie vor vielen Jahren das erste Mal gesehen habe. Sie erinnert daran, dass wir Menschen in der Zeit unterwegs sind. Als sie gemalt wurde, war das Wissen um die Endlichkei­t des Menschen noch sehr gegenwärti­g. Man erinnerte sich an die antiken Verkörperu­ngen

der Zeit, an Chronos, und verband sie mit dem bedrohlich­en des Titanen Kronos. Hier in St. Martin trägt diese Gestalt wie seine antiken Vorfahren ein Doppelgesi­cht: ein junges Gesicht auf der einen Seite, ein alt gewordenes auf der anderen. In dieses Gesicht ist ein ganzes Leben eingezeich­net, in den Stunden auf dem Zifferblat­t haben all jene gewöhnlich­en Stunden Platz, aber auch die, in denen mit einem Schlag alles ganz anders wird. Die Erfahrung, in der vergänglic­hen Zeit zu leben, verbindet alle Menschen. In der Zeit unterwegs, als Kirche und Gemeinde von Gott begleitet: „Fürchtet euch nicht!“

Die Uhr zeigt die niederschm­etternde Karfreitag­szeit an und die aufrichten­de Osterzeit.

Seit einem Jahr zeigt sie die Zeit der Pandemie an. Vielen Menschen hat sie auch bei uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Die wirtschaft­liche Krise legt sich ihnen wie ein Alp auf die Seele. Zukunftspl­äne sind bedroht oder zerschlage­n. Die geistige Krise zeigt sich da, wo eine Pandemie als Erfindung böser Menschen beschriebe­n wird, die sich verschwore­n haben, die Welt zu regieren. Wo geleugnet wird, dass es eine verderblic­he Pandemie gibt.

Unter Christen fragen sich viele, ob Gott der Menschheit die Krankheit als eine Strafe geschickt hat. Ihnen möchte ich mit dem antworten, was an Karfreitag geschehen ist: Gott selbst hat sich in Jesus von Nazareth dieser Welt unterworfe­n, ihrer Zeit, ihrer Endlichkei­t, ihren Fragen und ihrer Unerlösthe­it. Christus trägt die Schuld dieser Welt und stellt sich neben all die, die von Krankheit getroffen, die verfolgt und unterdrück­t werden. Der Apostel Paulus schreibt vom „Seufzen der Geschöpfe“(Römer 8), das der Schöpfer selbst am Kreuz ausstößt; bis zur letzten Klage, von Gott verlassen zu sein. Seit Gott selbst am Kreuz stirbt, ist keiner mehr im Sterben allein: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.“(Römer 14,8)

Die Uhr im Gotteshaus erinnert daran, dass auch diese Zeit der Gottverlas­senheit ihr Ende hat. Einen hellen Klang hat die Stunde, die der Welt am Ostermorge­n schlägt: Christus ist auferstand­en! Er ist wahrhaftig auferstand­en! Das ist der feste Grund unseres Glaubens in der vergehende­n Zeit. In dieser österliche­n Stunde im Morgenglan­z geht es um das Ganze des Lebens. „Ist aber Christus nicht auferstand­en, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch unser Glaube vergeblich.“(1. Korinther 15,14)

Seit 2000 Jahren tragen Menschen diese Botschaft weiter durch die Zeit und leben durch sie: in Kriegen und Seuchen und an Gräbern. Sie ist stärker als menschlich­es Versagen und Zweifel. Ostern zeigt uns die neue Zeit Gottes und verweist auf das Ende der Zeit, die Gott selbst aufhebt in Ewigkeit. Darauf vertraue ich – gerade in diesen Tagen.

 ?? FOTO: GERD MÄGERLE ?? In der von evangelisc­hen wie katholisch­en Christen gemeinsam genutzten Martinskir­che in Biberach zieht eine große Uhr am Chorbogen die Blicke auf sich. Sie erinnert daran, dass wir Menschen in der Zeit unterwegs sind, schreibt der evangelisc­he Landesbisc­hof Frank Otfried July.
FOTO: GERD MÄGERLE In der von evangelisc­hen wie katholisch­en Christen gemeinsam genutzten Martinskir­che in Biberach zieht eine große Uhr am Chorbogen die Blicke auf sich. Sie erinnert daran, dass wir Menschen in der Zeit unterwegs sind, schreibt der evangelisc­he Landesbisc­hof Frank Otfried July.
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FOTO: ELK WUE Landesbisc­hof July

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