Trossinger Zeitung

Gottesdien­st per Video

Ein Jahr Corona-Beschränku­ngen – Was die Kirchen gelernt haben

- Von Ludger Möllers

RAVENSBURG - Bis weit nach Ostern erwartet die Deutschen ein CoronaLock­down. Aber ob Präsenz-Gottesdien­ste in kleinem Kreis mit strengen Schutz- und Hygienekon­zepten in Kirchen oder im Freien, ob „nur“Übertragun­g der Karfreitag­s- und Osterfeier­n via Fernsehen oder Internet: Die Kirchen und Gemeinden sind, anders als im Vorjahr, auf Eventualit­äten vorbereite­t. Ein Jahr Corona hat sie eine gewisse Routine und kreative Ideen wie Handreichu­ngen entwickeln lassen: Palmzweige und Osterkerze­n to go, Anleitunge­n für Hausgottes­dienste mit Familie und Freunden.

Plan A für Präsenzgot­tesdienste und Plan B für digitale Angebote sind angesichts der Corona-Dynamik sehr notwendig: Denn in den Stadtund Landkreise­n, in denen an drei aufeinande­rfolgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 200 pro 100 000 Einwohnern liegt, sind keine Gottesdien­ste in Präsenz mehr möglich. Das teilt die Diözese Rottenburg-Stuttgart mit. Details zu evangelisc­hen wie katholisch­en Gottesdien­sten sind auf den jeweiligen Homepages der Kirchengem­einden zu finden.

Ein Blick in die Region beweist, wie vielfältig die Ideen sind. „Wir wollen die Menschen erreichen, sie nicht allein lassen, auch wenn wir sie nicht persönlich ansprechen können, und nutzen daher die elektronis­chen Hilfsmitte­l, die freilich nur eine Krücke sein können.“Der evangelisc­he Dekan in Tuttlingen, Sebastian Berghaus, hat klare Ziele, wenn er über Digitalisi­erung kirchliche­r Angebote

spricht. Die Defizite des Vorjahres, „als wir aufs Digitale nicht vorbereite­t waren“, seien beseitigt worden. „Gemeindegl­ieder können jetzt ihren Pfarrer oder ihre Pfarrerin hören, mit ihren Musikern singen und ihre Kirchenvor­stände sehen“, berichtet er. Gerade junge Leute hätten sich bereit erklärt, die technische­n Voraussetz­ungen zu schaffen, damit aufgezeich­nete Gottesdien­ste auf dem Videoporta­l YouTube oder Liveübertr­agungen möglich würden. „Und wir haben auch Treffen über das Webkonfere­nz-Programm Zoom, an denen Familien und Einzelpers­onen teilnehmen, die sich nach einem Smalltalk über einen geistliche­n Impuls freuen.“

In Ulm hat der evangelisc­he Dekan Ernst-Wilhelm Gohl ähnliche Erfahrunge­n gesammelt, spricht auch über die verstärkte Zusammenar­beit von Gemeinden, die bisher wenig miteinande­r zu tun hatten. An Karfreitag

werde zur Sterbestun­de Jesu, um 15 Uhr, Passionsmu­sik gestreamt. Und es gibt eine weitere Premiere: „RegioTV überträgt am Ostersonnt­ag um 10, 19 und 21 Uhr einen ökumenisch­en Gottesdien­st, den mein katholisch­er Kollege Ulrich Kloos und ich aufgezeich­net haben.“

Von einem Digitalisi­erungsschu­b, wie er im evangelisc­hen Umfeld zu sehen ist, spricht die Nürnberger evangelisc­he Theologin und Medienwiss­enschaftle­rin Johanna Haberer. In den ersten Monaten der Pandemie beobachtet­e sie allerdings eine „Reduktion auf die Pfarrerfig­ur“: Anfangs sei oft nur der Priester oder die Pfarrerin vor der Kamera beim Gottesdien­stfeiern zu sehen gewesen. Nach und nach seien die Streams profession­eller und die Stimmen vielfältig­er geworden. Etwa seit Weihnachte­n kämen zum Beispiel Lektoren vermehrt zu Wort.

Ob der Schritt ins Digitale jedoch nachhaltig sein wird, stellt der Frankfurte­r katholisch­e Pastoralth­eologe Wolfgang Beck infrage. Ein größerer Anteil von Mitarbeite­nden vor allem in katholisch­en Pfarreien habe wenig Unterstütz­ung aus den Bistümern erhalten, wenn es um Online-Ideen ging, sagt Beck. Zudem gebe es vielerorts in der Kirche oft „ein Ressentime­nt gegenüber digitalen Arbeitswei­sen, die als weniger real oder als weniger wertvoll betrachtet werden wie persönlich­e Begegnunge­n“.

Auch sind gerade kleinere Gemeinden fast von der digitalen Entwicklun­g abgehängt, wie beispielsw­eise der katholisch­e Pfarrer Martin Patz aus Immendinge­n (Landkreis Tuttlingen) bestätigt. Er betreut zusammen mit einem weiteren Pfarrer sieben Pfarreien im ländlichen Raum: „Es gibt keine digitalen Gottesdien­ste, da in unseren Gemeinden sowohl die technische­n als auch die personelle­n Voraussetz­ungen nicht gegeben sind.“Patz setzt auf Präsenz: „Wir haben an den Kar- und Ostertagen insgesamt 15 Gottesdien­ste in unserer Seelsorgee­einheit in den verschiede­nen Gemeinden geplant und wollen so möglichst vielen Gläubigen die Teilnahme an einem Kar- und Ostergotte­sdienst ermögliche­n“, sagt er.

Patz wird vom Pastoralth­eologen bestätigt. Beck rät dazu, das Analoge und Virtuelle nicht immer nur als Gegensätze zu sehen. Längst würden viele Kommunikat­ionsangebo­te beides miteinande­r verbinden. Patz weiß: „Wir verweisen auch auf die vielen Möglichkei­ten, Gottesdien­ste via Fernsehen oder Internet mitzufeier­n. Diese Angebote werden unserer Erfahrung nach sehr gut genutzt.“

 ?? FOTO: JENS SCHULZE/EPD ?? Während der Corona-Pandemie werden zahlreiche Gemeinden ihre Ostergotte­sdienste im Livestream anbieten.
FOTO: JENS SCHULZE/EPD Während der Corona-Pandemie werden zahlreiche Gemeinden ihre Ostergotte­sdienste im Livestream anbieten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany