Trossinger Zeitung

„Wir brauchen Astrazenec­a dringend“

Weltärzteb­und-Chef Frank Ulrich Montgomery wirbt für den Einsatz des Impfstoffs

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BERLIN - Die Besorgnis über den zumindest teilweisen Ausfall des Covid-19-Vakzins für die laufende Impfkampag­ne des Hersteller­s Astrazenec­a ist groß. Der Vorstandsv­orsitzende des Weltärzteb­undes (WMA), Professor Frank Ulrich Montgomery, warnt deswegen im Gespräch mit André Bochow vor einer Verdammung des Impfstoffs. Er fürchtet aber weiter Verzögerun­gen beim Impfen.

Herr Montgomery, finden Sie die geänderten Impfregeln für Astrazenec­a richtig?

Ja. Es ist vernünftig und klug, wenn man neue wissenscha­ftliche Erkenntnis­se sofort in praktische­s Handeln umsetzt.

Der Chef der Ständigen Impfkommis­sion, Thomas Mertens, meint, das Vertrauen könne schwinden. Ist das eine Untertreib­ung? Ist der Impfstoff von Astrazenec­a in Deutschlan­d nicht de facto erledigt? Das will ich nicht hoffen und dafür gibt es keine faktenbasi­erten Gründe. Wir brauchen Astrazenec­a dringend als Rückgrat unseres Impfprogra­mms. Allerdings hatte der Impfstoff kommunikat­iv einen entsetzlic­hen Start in Deutschlan­d. Bei den Studien wurden unterschie­dliche Dosierunge­n verwendet, dann gab es nicht genügend Daten für die über 60-Jährigen und nun die Hirnvenent­hrombosen bei jüngeren Frauen.

Wo soll Vertrauen herkommen?

Es wurde schnell und konsequent auf unerwartet­e Nebenwirku­ngen reagiert. Anderersei­ts müssen wir besser vermitteln, dass die heftigen Reaktionen auf einen Impfstoff zeigen, dass das Immunsyste­m reagiert und der Impfstoff wirkt. Wenn wir dann bei den unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen feststelle­n, dass sie nur bei einem Teil der Bevölkerun­g auftreten können, dann ist es richtig, schnell diesen Teil von den Impfungen auszuschli­eßen. Aber eben nur diesen Teil.

Jetzt sollen Ärzte aufklären. Worüber denn?

Das Patientens­chutzgeset­z verlangt vom Arzt in Fällen wie dem Vorliegend­en eine Risikoaufk­lärung. Das heißt, er muss über das Risiko bei der Verwendung eines Impfstoffe­s informiere­n, über andere zur Verfügung stehende Impfstoffe und über die Risiken der Krankheite­n, vor denen die Impfungen Schutz bieten sollen.

Aufklärung­sgespräche dauern.

Das stimmt. Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Arzt 20 Impfungen in der Stunde schafft, schwindet.

Ist es Ärzten zuzumuten, einen Impfstoff zu verabreich­en, der mal für über 60- und mal für unter 60Jährige ungeeignet ist und bei dem jede Woche eine neue negative Botschaft auftauchen könnte? Solange es eine Zulassung der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur EMA und ein positives Votum des Paul-Ehrlich-Institutes gibt, ist das zumutbar. Auch die Haftungsfr­agen sind für die Ärzte geklärt. Wenn sie selbst keine Fehler machen, können sie nicht belangt werden. Wie die Ärzteschaf­t reagiert, weiß ich natürlich nicht. Ich kann nur dafür werben, Astrazenec­a auch unter den neuen Bedingunge­n weiter einzusetze­n.

Falls aber die Bevölkerun­g Astrazenec­a weitgehend ablehnt, könnten andere Impfstoffe den Ausfall schnell kompensier­en? Kompensier­en, ja. Schnell, ist ein Problem. Die EU hat klugerweis­e drei- bis viermal so viel Impfstoff bei den verschiede­nen Firmen bestellt, wie nötig wäre. Aber es würde Zeit verloren gehen.

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