Von der Corona- in die Chip-Krise
Halbleiterknappheit belastet Mechatronikspezialist Marquardt – Umsatzeinbruch 2020
RIETHEIM-WEILHEIM - Die Auftragsbücher sind voll, doch die benötigten Teile fehlen: Dem Mechatronikspezialisten Marquardt aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) macht die weltweite Knappheit bei Halbleitern aktuell schwer zu schaffen. Das sagte Firmenchef Harald Marquardt anlässlich der Veröffentlichung der Geschäftszahlen für das Jahr 2020 der „Schwäbischen Zeitung“. Die Lage sei kritisch. In manchen Bereichen müsse wegen des Chipmangels bereits auf Kurzarbeit ausgewichen werden. Und eine schnelle Lösung des Problems sei nicht in Sicht. „Ich denke, der Engpass wird uns bis ins vierte Quartal dieses Jahres begleiten“, befürchtet Marquardt, der in den nächsten zwei, drei Monaten „eine richtig harte Zeit“auf das Familienunternehmen zukommen sieht.
Gründe für den internationalen Mangel an Halbleitern gibt es viele: Während des Auto-Absatzeinbruchs zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 hatten viele Chipfirmen ihre Produktion auf Unterhaltungselektronik umgestellt – im zuletzt wieder besser laufenden Autogeschäft fehlen nun Teile. Hinzu kommen die Auswirkungen des Handelskriegs zwischen den USA und China. Chinesische Hersteller wie Huawei und Xiaomi kaufen deshalb gerade die Märkte leer. Verschärft wird die Problematik durch einen Brand in einem Chipwerk in Japan, die temporären Stromausfälle in texanischen Chipfabriken wegen eines ungewöhnlichen Kälteeinbruchs und die Lieferschwierigkeiten infolge der Blockade des Suez-Kanals.
„Wir erleben gerade einen regelrechten Verteilungskampf, in dem die Automotivebranche nicht gut dasteht“, resümiert Marquardt. Auch sein Unternehmen sei davon betroffen – trotz bester Kontakte zu Halbleiterzulieferern in Asien. Denn eingesetzt werden die Chips in nahezu jedem Produkt der Firma: angefangen vom Zündschlüssel über Touchpads, Lenkradschalter und Sensoren bis hin zu Batteriemanagementsystemen. Die Konsequenzen sind wegen der nicht einzuhaltenden Lieferversprechen den Kunden gegenüber nicht nur ärgerlich, sie könnten auch teuer werden. Denn immer mehr Autohersteller versuchen, ihre Zulieferer in die Haftung zu nehmen und fordern Schadenersatz.
Dieses Risiko sieht Marquardt zwar nicht. Man könne den Kunden gegenüber nachweisen, sauber geplant und auf stabile Lieferketten gebaut zu haben. Dennoch führe das Management „täglich mindestens zehn Kundengespräche wegen der fehlenden Halbleiter“. Inzwischen bearbeite ein eigens dafür gebildetes Team die Problematik.
Der Krisenmodus bleibt dem Unternehmen, das weltweit 10 600 Mitarbeiter
an 20 Standorten auf vier Kontinenten beschäftigt und rund 80 Prozent seines Umsatzes mit der Automobilindustrie macht, also auch in diesem Jahr erhalten. Dabei war schon das Vorjahr alles andere als einfach. Die Erlöse brachen gegenüber 2019 um fast 13 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro ein. „Für ein Unternehmen, das es gewohnt ist zu wachsen, ist das ein extremer Schlag“, gesteht Marquardt. Dank rechtzeitig eingeleiteter Gegenmaßnahmen konnte der Firmenchef das Unternehmen aber immerhin in den schwarzen Zahlen halten. Wie hoch das Ergebnis ausfiel wollte er gleichwohl nicht verraten. Marquardt hatte sich wegen der stark rückläufigen Entwicklung am Weltmarkt in den vergangenen zwei Jahren weltweit von 1500 Mitarbeitern getrennt; in Deutschland schrumpfte die Belegschaft netto um 200. Inzwischen sei die Anpassung der Personalstruktur aber abgeschlossen.
Ein Lichtblick im Zahlenwerk von Marquardt war der Bereich Batteriemanagementsysteme, dessen Umsatz sich im Berichtszeitraum auf einen „dreistelligen Millionen-EuroBetrag mehr als verdoppelte“. Marquardt erwartet auch in den Folgejahren zweistellige Wachstumsraten in diesem Geschäft. „Wir haben etliche Anfragen von Automobil- und Truckherstellern weltweit, die in diesem Jahr auch in Aufträge münden“, prognostizierte der Firmenchef. Die Dynamik in diesem Segment dürfte auch der wesentliche Grund sein, weshalb Marquardt trotz Corona- und Chip-Krise vor der Zukunft nicht bange ist. „Die aktuelle Auftragslage, vor allem aber die positive Kundenresonanz auf unsere Innovationen stimmen uns optimistisch“, sagte der Unternehmer, der für die kommenden Jahre „spürbare Wachstumsimpulse“erwartet.