Einigung in Runde sechs
Tarifpartner der Metall- und Elektroindustrie im Südwesten greifen Pilotabschluss auf und setzen eigene Akzente
STUTTGART/RAVENSBURG - Sonderzahlungen für die Beschäftigten oder zum Ausgleich bei verkürzter Arbeitszeit eine Corona-Prämie, erstmals Regeln auch für dual Studierende und mehr Optionen für Unternehmen im Krisenmodus: Nach mehr als achtstündigen Verhandlungen haben Arbeitgeber und Gewerkschaft in der Nacht auf Freitag auch im Südwesten einen Abschluss in den Tarifverhandlungen für die Metallund Elektroindustrie erzielt. Er basiert in wesentlichen Punkten auf dem Pilotabschluss aus NordrheinWestfalen, enthält aber auch viele Regelungen, die es so nur in BadenWürttemberg gibt.
„Der Abschluss ist weitsichtig und fair für beide Seiten. Das gemeinsame Ziel, in dieser herausfordernden Situation Beschäftigung zu sichern, war letztlich der Weg, der zur Einigung geführt hat“, sagte der Chef des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, Wilfried Porth, und betonte, dass sowohl auf der Entgelt- als auch auf der Kostenseite Ergebnisse erzielt worden seien. Für die Betriebe bedeute der Abschluss eine noch vertretbare Kostenbelastung mit belastbaren Möglichkeiten zur Abweichung und Planungssicherheit. Die Beschäftigten hingegen bekämen Sicherheit und Perspektiven. „Wir haben ganz klar gezeigt, dass die Sozialpartner in der Lage sind, auch in schwierigen Situationen zukunftsweisende Vereinbarungen zu treffen.“
Das sieht auch die Gewerkschaft so. „Das ist ein Tarifergebnis, das die Worte Augenmaß und kluge Austarierung verdient“, sagte IG-MetallVerhandlungsführer Roman Zitzelsberger. Die Arbeitgeber hätten in dieser Tarifrunde auf massive Kostensenkungen gedrängt und wollten langjährige Errungenschaften wie tarifliche Pausen und Schichtzuschläge abschaffen sowie die Alterssicherung einschränken. Diesen Angriff habe man erfolgreich abgewehrt und darüber hinaus für alle Themen zukunftsweisende Lösungen gefunden.
Genau wie in NRW sollen die Beschäftigten der Branche in BadenWürttemberg in diesem Jahr eine Corona-Prämie von 500 Euro bekommen. Azubis erhalten 300 Euro.
Von 2022 an gibt es dann – ebenfalls wie im Pilotabschluss – eine jährliche Sonderzahlung, Transformationsoder Trafobaustein genannt, die je nach Lage des Unternehmens angespart und entweder ausbezahlt oder für einen Teilausgleich von Arbeitszeitreduzierungen genutzt werden soll. 2022 sind das 18,4 Prozent eines Monatsentgelts, 2023 dann 27,6 Prozent. Aufs Jahr gerechnet entspricht das einem Plus von 2,3 Prozent. Der Tarifvertrag läuft bis Ende September 2022.
Eine der zahlreichen Besonderheiten im Südwesten ist, dass die Sonderzahlung nicht nur individuell für jeden einzelnen Beschäftigten verwendet werden kann, sondern auch kollektiv, wenn nur ein Teil der Belegschaft betroffen ist. Auch gibt es im baden-württembergischen Regelwerk
die Option, unter bestimmten Voraussetzungen das Weihnachtsgeld jeweils um die Hälfte zu senken oder zu erhöhen. Zudem können Betriebe, deren Nettoumsatzrendite weniger als 2,3 Prozent beträgt, auf das im Oktober 2021 zur Auszahlung anstehende Zusatzgeld von 400 Euro verzichten. Nach Angaben von Südwestmetall hätten 2020 knapp zwei Drittel der Unternehmen unter dieser Rendite gelegen.
Hinzu kommen eine Vereinfachung diverser Regelungen zur Arbeitszeit, die über die Jahre entstanden sind, und die Möglichkeit, sogenannte Zukunftstarifverträge für einzelne Unternehmen zu vereinbaren, um individuelle Lösungen für den Umgang mit der Transformation der Branche zu finden. Außerdem gelten Tarifregelungen zu Vergütung,
Sonderzahlungen, vermögenswirksamen Leistungen und Arbeitstagen künftig auch für Studierende der Dualen Hochschule. Dadurch habe man „auf einen Schlag mindestens 10 000 junge Menschen in die Tarifbindung gebracht“, sagte Zitzelsberger.
Bundesweit sind in der Metallund Elektroindustrie etwa 3,8 Millionen Menschen beschäftigt, davon knapp eine Million in Baden-Württemberg. Die Verhandlungen hatten hierzulande im Dezember begonnen, dann aber lange keine Fortschritte gemacht. Erst in der fünften Verhandlungsrunde in der vergangenen Woche hatten sich beide Seiten angenähert. Der Abschluss erfolgte nun in Runde sechs.
Die Beschäftigten in der für Baden-Württemberg so wichtigen
Schlüsselbranche quittierten das Tarifergebnis am Freitag ebenfalls wohlwollend. „Unter den gegebenen Rahmenbedingungen war das ein ordentlicher Abschluss“, sagte Rolf Ebe, Betriebsratschef im LiebherrWerk Ehingen (Alb-Donau-Kreis) im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Spontane Reaktionen aus der Belegschaft des Kranbauers wären beim Thema Entgelt auf das schwäbische Lob „passt schoa“und bei den Themen tarifliche Pausen, Schichtzuschläge und Alterssicherung auf das uneingeschränkte Lob „das habt ihr super gemacht“hinausgelaufen. Im Vorfeld hätten vor allem bei den vielen Schichtarbeitern, bei denen die Zuschläge einen substanziellen Anteil des Einkommens ausmachten, „die Nerven blank gelegen“.
Unternehmer lobten vor allem die höhere Flexibilität und etliche kostendämpfende Vereinbarungen, die der neue Tarifvertrag Firmen zugesteht, denen es schlecht geht. Auch die Vereinheitlichung des in BadenWürttemberg umfangreichen Tarifvertragwerks fand Zustimmung. „Persönlich hätte ich mir aber eine längere Laufzeit gewünscht“, sagte Harald Marquardt, Chef des gleichnamigen Automobilizulieferers aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) und Vizechef von Südwestmetall.
Die IG Metall war ursprünglich mit einer Forderung im Volumen von vier Prozent in die Verhandlungen gegangen. Die Arbeitgeber wiederum hatten die Kürzung oder Streichung tariflicher Sonderleistungen durchsetzen wollen.
Um Druck auf die Arbeitgeber zu machen, hatte die IG Metall seit dem Ende der Friedenspflicht Anfang März immer wieder zu Warnstreiks aufgerufen. Nach Angaben der Gewerkschaft beteiligten sich daran insgesamt mehr als 220 000 Beschäftigte. Weil Massenveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie nicht möglich waren und zudem viele Beschäftigte von zu Hause aus arbeiteten, fanden die Aktionen aber oft in kleinerem Rahmen oder gleich komplett digital statt. Aus Sicht der Arbeitgeber waren die Zahlen der Teilnehmenden deshalb auch deutlich zu hoch gegriffen.