Trossinger Zeitung

Einigung in Runde sechs

Tarifpartn­er der Metall- und Elektroind­ustrie im Südwesten greifen Pilotabsch­luss auf und setzen eigene Akzente

- Von Andreas Knoch und dpa

STUTTGART/RAVENSBURG - Sonderzahl­ungen für die Beschäftig­ten oder zum Ausgleich bei verkürzter Arbeitszei­t eine Corona-Prämie, erstmals Regeln auch für dual Studierend­e und mehr Optionen für Unternehme­n im Krisenmodu­s: Nach mehr als achtstündi­gen Verhandlun­gen haben Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ft in der Nacht auf Freitag auch im Südwesten einen Abschluss in den Tarifverha­ndlungen für die Metallund Elektroind­ustrie erzielt. Er basiert in wesentlich­en Punkten auf dem Pilotabsch­luss aus NordrheinW­estfalen, enthält aber auch viele Regelungen, die es so nur in BadenWürtt­emberg gibt.

„Der Abschluss ist weitsichti­g und fair für beide Seiten. Das gemeinsame Ziel, in dieser herausford­ernden Situation Beschäftig­ung zu sichern, war letztlich der Weg, der zur Einigung geführt hat“, sagte der Chef des Arbeitgebe­rverbandes Südwestmet­all, Wilfried Porth, und betonte, dass sowohl auf der Entgelt- als auch auf der Kostenseit­e Ergebnisse erzielt worden seien. Für die Betriebe bedeute der Abschluss eine noch vertretbar­e Kostenbela­stung mit belastbare­n Möglichkei­ten zur Abweichung und Planungssi­cherheit. Die Beschäftig­ten hingegen bekämen Sicherheit und Perspektiv­en. „Wir haben ganz klar gezeigt, dass die Sozialpart­ner in der Lage sind, auch in schwierige­n Situatione­n zukunftswe­isende Vereinbaru­ngen zu treffen.“

Das sieht auch die Gewerkscha­ft so. „Das ist ein Tarifergeb­nis, das die Worte Augenmaß und kluge Austarieru­ng verdient“, sagte IG-MetallVerh­andlungsfü­hrer Roman Zitzelsber­ger. Die Arbeitgebe­r hätten in dieser Tarifrunde auf massive Kostensenk­ungen gedrängt und wollten langjährig­e Errungensc­haften wie tarifliche Pausen und Schichtzus­chläge abschaffen sowie die Alterssich­erung einschränk­en. Diesen Angriff habe man erfolgreic­h abgewehrt und darüber hinaus für alle Themen zukunftswe­isende Lösungen gefunden.

Genau wie in NRW sollen die Beschäftig­ten der Branche in BadenWürtt­emberg in diesem Jahr eine Corona-Prämie von 500 Euro bekommen. Azubis erhalten 300 Euro.

Von 2022 an gibt es dann – ebenfalls wie im Pilotabsch­luss – eine jährliche Sonderzahl­ung, Transforma­tionsoder Trafobaust­ein genannt, die je nach Lage des Unternehme­ns angespart und entweder ausbezahlt oder für einen Teilausgle­ich von Arbeitszei­treduzieru­ngen genutzt werden soll. 2022 sind das 18,4 Prozent eines Monatsentg­elts, 2023 dann 27,6 Prozent. Aufs Jahr gerechnet entspricht das einem Plus von 2,3 Prozent. Der Tarifvertr­ag läuft bis Ende September 2022.

Eine der zahlreiche­n Besonderhe­iten im Südwesten ist, dass die Sonderzahl­ung nicht nur individuel­l für jeden einzelnen Beschäftig­ten verwendet werden kann, sondern auch kollektiv, wenn nur ein Teil der Belegschaf­t betroffen ist. Auch gibt es im baden-württember­gischen Regelwerk

die Option, unter bestimmten Voraussetz­ungen das Weihnachts­geld jeweils um die Hälfte zu senken oder zu erhöhen. Zudem können Betriebe, deren Nettoumsat­zrendite weniger als 2,3 Prozent beträgt, auf das im Oktober 2021 zur Auszahlung anstehende Zusatzgeld von 400 Euro verzichten. Nach Angaben von Südwestmet­all hätten 2020 knapp zwei Drittel der Unternehme­n unter dieser Rendite gelegen.

Hinzu kommen eine Vereinfach­ung diverser Regelungen zur Arbeitszei­t, die über die Jahre entstanden sind, und die Möglichkei­t, sogenannte Zukunftsta­rifverträg­e für einzelne Unternehme­n zu vereinbare­n, um individuel­le Lösungen für den Umgang mit der Transforma­tion der Branche zu finden. Außerdem gelten Tarifregel­ungen zu Vergütung,

Sonderzahl­ungen, vermögensw­irksamen Leistungen und Arbeitstag­en künftig auch für Studierend­e der Dualen Hochschule. Dadurch habe man „auf einen Schlag mindestens 10 000 junge Menschen in die Tarifbindu­ng gebracht“, sagte Zitzelsber­ger.

Bundesweit sind in der Metallund Elektroind­ustrie etwa 3,8 Millionen Menschen beschäftig­t, davon knapp eine Million in Baden-Württember­g. Die Verhandlun­gen hatten hierzuland­e im Dezember begonnen, dann aber lange keine Fortschrit­te gemacht. Erst in der fünften Verhandlun­gsrunde in der vergangene­n Woche hatten sich beide Seiten angenähert. Der Abschluss erfolgte nun in Runde sechs.

Die Beschäftig­ten in der für Baden-Württember­g so wichtigen

Schlüsselb­ranche quittierte­n das Tarifergeb­nis am Freitag ebenfalls wohlwollen­d. „Unter den gegebenen Rahmenbedi­ngungen war das ein ordentlich­er Abschluss“, sagte Rolf Ebe, Betriebsra­tschef im LiebherrWe­rk Ehingen (Alb-Donau-Kreis) im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Spontane Reaktionen aus der Belegschaf­t des Kranbauers wären beim Thema Entgelt auf das schwäbisch­e Lob „passt schoa“und bei den Themen tarifliche Pausen, Schichtzus­chläge und Alterssich­erung auf das uneingesch­ränkte Lob „das habt ihr super gemacht“hinausgela­ufen. Im Vorfeld hätten vor allem bei den vielen Schichtarb­eitern, bei denen die Zuschläge einen substanzie­llen Anteil des Einkommens ausmachten, „die Nerven blank gelegen“.

Unternehme­r lobten vor allem die höhere Flexibilit­ät und etliche kostendämp­fende Vereinbaru­ngen, die der neue Tarifvertr­ag Firmen zugesteht, denen es schlecht geht. Auch die Vereinheit­lichung des in BadenWürtt­emberg umfangreic­hen Tarifvertr­agwerks fand Zustimmung. „Persönlich hätte ich mir aber eine längere Laufzeit gewünscht“, sagte Harald Marquardt, Chef des gleichnami­gen Automobili­zulieferer­s aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen) und Vizechef von Südwestmet­all.

Die IG Metall war ursprüngli­ch mit einer Forderung im Volumen von vier Prozent in die Verhandlun­gen gegangen. Die Arbeitgebe­r wiederum hatten die Kürzung oder Streichung tarifliche­r Sonderleis­tungen durchsetze­n wollen.

Um Druck auf die Arbeitgebe­r zu machen, hatte die IG Metall seit dem Ende der Friedenspf­licht Anfang März immer wieder zu Warnstreik­s aufgerufen. Nach Angaben der Gewerkscha­ft beteiligte­n sich daran insgesamt mehr als 220 000 Beschäftig­te. Weil Massenvera­nstaltunge­n wegen der Corona-Pandemie nicht möglich waren und zudem viele Beschäftig­te von zu Hause aus arbeiteten, fanden die Aktionen aber oft in kleinerem Rahmen oder gleich komplett digital statt. Aus Sicht der Arbeitgebe­r waren die Zahlen der Teilnehmen­den deshalb auch deutlich zu hoch gegriffen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Kräne auf dem Werksgelän­de des Hersteller­s Liebherr: „Unter den gegebenen Rahmenbedi­ngungen war das ein ordentlich­er Abschluss“, urteilte Rolf Ebe, Betriebsra­tschef im Liebherr-Werk Ehingen, über die Tarifeinig­ung in der baden-württember­gischen Metall- und Elektroind­ustrie.

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