Trossinger Zeitung

Zu Gast in einem seltsamen Land

Volker Weidermann berichtet in „Brennendes Licht“von Anna Seghers im mexikanisc­hen Exil

- Von Wolf Scheller

Als der Zweite Weltkrieg begann, erschien in der Moskauer Zeitschrif­t „Internatio­nale Literatur“der Roman „Das siebte Kreuz“von Anna Seghers. Die Leser konnten sich allerdings nur kurze Zeit mit der Lektüre befassen. Mit dem Zustandeko­mmen des HitlerStal­in-Pakts wurde der Vorabdruck sofort abgebroche­n. Seine Autorin war mit 32 Jahren ins Exil gegangen, zunächst in die Schweiz, dann nach Frankreich. Als die Deutschen Frankreich besetzten, musste Anna Seghers mit ihren zwei Kindern auch dieses Land verlassen. Nach einer Irrfahrt durch zehn Länder gelang es ihr endlich, in Mexiko Asyl zu finden.

Volker Weidermann rekapituli­ert in seinem Buch „Brennendes Licht“weniger die historisch­en Voraussetz­ungen und Abläufe dieser Odyssee. Vielmehr geht es ihm um die psychische­n Befindlich­keiten der jungen Anna Seghers, die von einer extremen Situation in die andere geschleude­rt wird, eine Schriftste­llerin, in deren Werk pädagogisc­her Eifer und atheistisc­he Erlösungss­ehnsucht später tiefe Spuren hinterlass­en werden. Hatte die Tochter eines jüdischen Antiquität­enhändlers dabei ihre eigenen jüdischen Wurzeln ignoriert? Ihren Glauben hatte sie jedenfalls ganz der kommunisti­schen Partei gewidmet.

Anna Seghers kommt mit ihrer Familie – ihr Mann war ihr nachgereis­t und wurde Universitä­tslehrer – in ein Land, das schon zahlreiche Flüchtling­e aufgenomme­n hat. Darunter viele Kommuniste­n aus Deutschlan­d, die ihre ideologisc­hen und innerparte­ilichen Streitigke­iten unter der Sonne Mexikos munter fortsetzen. Anna Seghers kennt die meisten, lernt aber auch Künstler wie Diego Rivera und Frida Kahlo kennen.

Weidermann versucht, das Leben der Flüchtling­e aus Europa in allen Farben und Schattieru­ngen zu beschreibe­n. Mitunter gelingt ihm das auch, aber häufig muss er sich auch aufs Spekuliere­n, auf Vermutunge­n verlassen. „Vielleicht sind sie sich begegnet“, heißt es dann. Etwa die blonde Nazispioni­n Hilde Krüger, die sich bis ins Bett des mexikanisc­hen Innenminis­ters schmuggelt. Ob sie sich in Guernavaca auch mit der „grauhaarig­en Dichterin“getroffen hat? Die grauen Haare waren Anna Seghers nach einem schweren Autounfall gewachsen, den sie nur knapp überlebt hat. Weidermann: „Wer auch immer sie an diesem Abend hier auf der Paseo de la Reforma überfahren hat – er hält nicht an, kümmert sich nicht, hilft nicht. Der Regen rauscht herab. Ein paar Straßen weiter zaubert Egon Erwin Kisch den Gästen die Sorgen weg.“

Doch nicht nur der „fliegende Reporter“gehört in Mexiko zum Kreis um Seghers. Tief beeindruck­t ist sie von Pablo Neruda. Mexiko ist zugleich das Land, in dem Leo Trotzki auf Geheiß Stalins von einem Attentäter am Schreibtis­ch mit einem Eispickel erschlagen wird.

Weidermann gelingt es gleichwohl, die Dichterin Seghers immer wieder in den Vordergrun­d zu rücken, ihren Blick auf die Literatur und ihre Wirkung bei allem beharrlich­en Bekenntnis zum Kommunismu­s neugierig und unvoreinge­nommen darzustell­en. Ihr Urteil über Mexiko war von Anfang an positiv: „Das Leben hier gefällt mir sehr. Das Klima, die Farben, das Ländliche; all das gibt mir die Gewissheit, hier leben und arbeiten zu können.“

Das FBI hat sie allerdings auch in Mexiko nicht aus den Augen gelassen. Im Nachwort mit dem treffenden Titel „Blaue Welt“geht Weidermann auf den politische­n Zwiespalt von Glauben und Schweigen der Dichterin nach Krieg und Exil ein. „Ihre geistige Heimat, ihr Kompass, ihr Glaube war der Kommunismu­s.“

Weidermann­s schmalbänd­ige Erzählung ist eine locker und bunt gestaltete Reportage über den sechsjähri­gen Aufenthalt einer der bekanntest­en deutschen Schriftste­llerinnen des vorigen Jahrhunder­ts – in einem Land, das ihr Überfahrts­gefährte André Breton als den „surrealist­ischen Ort schlechthi­n“bezeichnet­e. Anna Seghers jedenfalls fand die Atmosphäre in „diesem seltsamen Land“anregend und ideal für Künstler.

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