Der Geheimtipp Franz Schmidt
Liegt es an seinem Allerweltsnamen, dass ihm ein Platz unter den anerkannten Klassikgrößen verwehrt blieb? Immerhin konnte der österreichische Komponist Franz Schmidt zu Lebzeiten einige Erfolge feiern. Seine Musik ist bis heute nicht komplett aus den Konzertsälen verschwunden. Zwei seiner Spätwerke – die vierte Sinfonie und das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“– werden gelegentlich aufgeführt oder auf Tonträger eingespielt, sind aber nie ins Kernrepertoire vorgedrungen. Schmidt wurde 1874 in Bratislava (damals Pressburg) geboren, im selben Jahr wie seine späteren Kollegen Josef Suk, Arnold Schönberg und Charles Ives. Wie schon Gustav Mahler lernte er bei Anton Bruckner und Robert Fuchs, der auch Franz Schreker, Jean Sibelius, Hugo Wolf und Alexander Zemlinsky zu seinen Schülern zählte.
Schmidt war Cellist bei den Wiener Philharmonikern und zudem als Organist, Pianist, Dirigent und Hochschulpädagoge tätig. Anders als Schönberg blieb er auch nach dessen atonalen Versuchen seinem spätromantischen Personalstil treu. Dass er 1938 für den „Anschluss“Österreichs eintrat und sich vor seinem Tod ein Jahr später in Wien von den Nazis noch hofieren ließ, war seiner Reputation nach dem Krieg nicht gerade dienlich, zumal seine Musik ohnehin wegen vermeintlichen Mangels an „Fortschrittlichkeit“bald ins Abseits geriet. Ohne dogmatische Avantgarde-Ohrenklappen ist freilich nicht zu überhören, wie sich Schmidts Tonsprache in ganz eigener Weise auf der Höhe ihrer Zeit bewegt. Der estnische Dirigent Paavo Järvi hat bis 2018 mit dem Frankfurter Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks sämtliche vier Sinfonien Franz Schmidts und das Intermezzo aus dessen Oper „Der Glöckner von Notre Dame“eingespielt.
Die jetzt erst erschienenen Livemitschnitte bestechen durch transparentes Klangbild, rhythmische Präzision und leuchtende Orchesterfarben. Der noch etwas brav daherkommende Erstling, 1902 in Wien uraufgeführt, gewinnt bei Järvi durch scharfe Konturenzeichnung. Schon hier lassen barockisierende Elemente aufhorchen. In der Zweiten (1913) und Dritten (1928) hat der Sinfoniker Schmidt zu seinem individuellen Idiom gefunden. Harmonische Kühnheiten, kunstvoll-einfacher Liedton, dissonant gewürzte Choralsteigerungen und polyphone Renaissance-Reminiszenzen der Bläser entfalten sich zwischen festlichem Glanz und katastrophischen Einbrüchen. Höhepunkt der Gesamtaufnahme ist die Darbietung der Vierten mit dem berühmten Trompetensolo. Schmidt schrieb das Werk 1933 als instrumentales Requiem für seine jung verstorbene Tochter. Järvis subtile Interpretation kann sich neben Zubin Mehtas legendärer Einspielung mit den Wiener Philharmonikern aus den 60er-Jahren durchaus hören lassen. (wmg)