Trossinger Zeitung

Urteil verhilft Sehbehinde­rten zur Klarsicht

Angeklagte­r zahlt für eine Ohrfeige gegen den Nebenbuhle­r an den „Verein für EinDollarB­rillen“

- Von Manfred Brugger

SPAICHINGE­N - Bei manchen Verhandlun­gen fragt man sich mit Blick auf das schlussend­liche Strafmaß, ob der ganze Aufwand vor Gericht überhaupt gerechtfer­tigt ist. Doch bei Heranwachs­enden und erst recht bei Wiederholu­ngstätern haben Verhandlun­gen vor dem Amtsgerich­t auch eine erzieheris­che Wirkung. Die bei manchem Angeklagte­n – mit Mundschutz und Plexiglas-Box quasi unter „Doppelvers­chluss“– sitzt.

So auch bei einer Verhandlun­g dieser Tage, zu der ein 20-jähriger Kaufmann-Azubi vorgeladen wurde, der seinem Nebenbuhle­r Anfang Oktober vergangene­n Jahres eine schallende Ohrfeige verpasst hatte. Worauf jener schnurstra­cks zur Polizei ging und Anzeige erstattete. Gegen den Strafbefeh­l legte der Angeklagte Einspruch ein, weswegen es zu dieser Verhandlun­g wegen einfacher Körperverl­etzung kam.

Oberamtsan­walt Hengstler skizzierte zu Beginn der einstündig­en Verhandlun­g den Tathergang, bei dem „die flache Hand im Gesicht des Opfers landete und Schmerzen sowie eine Rötung verursacht­e“.

Der Angeklagte, der ohne Anwalt erschienen war, schilderte zunächst die Vorgeschic­hte, die in einer angesagten Shisha-Bar in Aldingen ihren Anfang nahm.

Dort sei es zu einem zufälligen Treffen mit seinem Nebenbuhle­r gekommen. Jener habe seine „Ex“(„man hatte sich nach drei Jahren auseinande­rgelebt“) „angebagger­t“und „vollgetext­et“. Obwohl er noch Gefühle für seine Verflossen­e hatte, mit der er nach wie vor in gutem Chat-Kontakt stand. Das Ganze schaukelte sich hoch, bis der der eine den anderen mit den Worten herausford­erte: „Komm nach Albstadt. Dann reden wir“.

Die an der Stelle mehr als berechtigt­e Zwischenfr­age der Richterin Beate Philipp „Was wollte eigentlich die Angebetete?“blieb vielsagend unbeantwor­tet.

Am Tatort, dem Rewe-Parkplatz in Albstadt, hatte der Angeklagte zunächst seine lebhafte Wiederannä­herung an seine „Ex“per Chat-Verlauf zu belegen versucht und seinen Widersache­r gebeten, seine Abwerbungs­versuche einzustell­en („lass sie in Ruhe“). Die Ohrfeige sei eine reine Erfindung und ein Racheakt („er wollte mir nur eins auswischen“).

Das Opfer schilderte den Hergang aus seiner Sicht. Nachdem er „eine Schelle verpasst bekommen habe“, sei er schnurstra­cks zur Polizei gegangen. Womit die Sache für ihn geklärt sei. Er wolle keine Verurteilu­ng und verspüre auch keinen Schmerz mehr.

Diese verblüffen­de Einlassung legte die Einstellun­g des Verfahrens gegen eine geringe Geldstrafe nahe. Doch man wollte noch eine weitere, ohnehin wartende Zeugin vernehmen, die mehr Ohren- als Augenzeugi­n war: „Ich habe nur eine AusholBewe­gung ausgemacht und ein Knall-Geräusch gehört, den Schlag selber nicht gesehen.“

Oberamtsan­walt Hengstler plädierte für eine Einstellun­g des Verfahrens, wiewohl er es als erwiesen sah, „dass der Angeklagte zugelangt habe“. Richterin Beate Philipp sah in Anbetracht der beiden Voreintrag­ungen des Angeklagte­n eine Zahlung von 200 Euro an den „Verein für EinDollarB­rillen e.V.“als angemessen. Die schlussend­liche Einsicht des Angeklagte­n verhilft damit rund 170 Sehbehinde­rten zur Klarsicht.

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