Urteil verhilft Sehbehinderten zur Klarsicht
Angeklagter zahlt für eine Ohrfeige gegen den Nebenbuhler an den „Verein für EinDollarBrillen“
SPAICHINGEN - Bei manchen Verhandlungen fragt man sich mit Blick auf das schlussendliche Strafmaß, ob der ganze Aufwand vor Gericht überhaupt gerechtfertigt ist. Doch bei Heranwachsenden und erst recht bei Wiederholungstätern haben Verhandlungen vor dem Amtsgericht auch eine erzieherische Wirkung. Die bei manchem Angeklagten – mit Mundschutz und Plexiglas-Box quasi unter „Doppelverschluss“– sitzt.
So auch bei einer Verhandlung dieser Tage, zu der ein 20-jähriger Kaufmann-Azubi vorgeladen wurde, der seinem Nebenbuhler Anfang Oktober vergangenen Jahres eine schallende Ohrfeige verpasst hatte. Worauf jener schnurstracks zur Polizei ging und Anzeige erstattete. Gegen den Strafbefehl legte der Angeklagte Einspruch ein, weswegen es zu dieser Verhandlung wegen einfacher Körperverletzung kam.
Oberamtsanwalt Hengstler skizzierte zu Beginn der einstündigen Verhandlung den Tathergang, bei dem „die flache Hand im Gesicht des Opfers landete und Schmerzen sowie eine Rötung verursachte“.
Der Angeklagte, der ohne Anwalt erschienen war, schilderte zunächst die Vorgeschichte, die in einer angesagten Shisha-Bar in Aldingen ihren Anfang nahm.
Dort sei es zu einem zufälligen Treffen mit seinem Nebenbuhler gekommen. Jener habe seine „Ex“(„man hatte sich nach drei Jahren auseinandergelebt“) „angebaggert“und „vollgetextet“. Obwohl er noch Gefühle für seine Verflossene hatte, mit der er nach wie vor in gutem Chat-Kontakt stand. Das Ganze schaukelte sich hoch, bis der der eine den anderen mit den Worten herausforderte: „Komm nach Albstadt. Dann reden wir“.
Die an der Stelle mehr als berechtigte Zwischenfrage der Richterin Beate Philipp „Was wollte eigentlich die Angebetete?“blieb vielsagend unbeantwortet.
Am Tatort, dem Rewe-Parkplatz in Albstadt, hatte der Angeklagte zunächst seine lebhafte Wiederannäherung an seine „Ex“per Chat-Verlauf zu belegen versucht und seinen Widersacher gebeten, seine Abwerbungsversuche einzustellen („lass sie in Ruhe“). Die Ohrfeige sei eine reine Erfindung und ein Racheakt („er wollte mir nur eins auswischen“).
Das Opfer schilderte den Hergang aus seiner Sicht. Nachdem er „eine Schelle verpasst bekommen habe“, sei er schnurstracks zur Polizei gegangen. Womit die Sache für ihn geklärt sei. Er wolle keine Verurteilung und verspüre auch keinen Schmerz mehr.
Diese verblüffende Einlassung legte die Einstellung des Verfahrens gegen eine geringe Geldstrafe nahe. Doch man wollte noch eine weitere, ohnehin wartende Zeugin vernehmen, die mehr Ohren- als Augenzeugin war: „Ich habe nur eine AusholBewegung ausgemacht und ein Knall-Geräusch gehört, den Schlag selber nicht gesehen.“
Oberamtsanwalt Hengstler plädierte für eine Einstellung des Verfahrens, wiewohl er es als erwiesen sah, „dass der Angeklagte zugelangt habe“. Richterin Beate Philipp sah in Anbetracht der beiden Voreintragungen des Angeklagten eine Zahlung von 200 Euro an den „Verein für EinDollarBrillen e.V.“als angemessen. Die schlussendliche Einsicht des Angeklagten verhilft damit rund 170 Sehbehinderten zur Klarsicht.