Trossinger Zeitung

„Es macht keinen Sinn nach hinten zu gucken“

Mögliches Strafmaß im Hess-Prozess sinkt weiter in Richtung „Marginalie“

- Von Cornelia Spitz

VILLINGEN-SCHWENNING­EN/ MANNHEIM (sbo) - Viel Zeit hinter schwedisch­en Gardinen stand für sie im Raum, weil den ehemaligen HessChefs Christoph Hess und Peter Ziegler wegen des Vorwurfs der Bilanzmani­pulation mehrjährig­e Haftstrafe­n drohten. Was davon nun nach gerichtlic­her Aufarbeitu­ng im Strafproze­ss noch übrig bleiben soll, ist hingegen lächerlich wenig.

Vor der Großen Wirtschaft­sstrafkamm­er am Landgerich­t in Mannheim kamen die Beteiligte­n am Mittwoch erneut zusammen. Der Prozess hat nicht nur seine Schwere verloren, die Verhandlun­gstage sind auch kurz geworden. Es sind jede Menge Formalien, die abgearbeit­et werden müssen und eigentlich nur ein Ziel haben: einen Prozess, den es so vielleicht nie hätte geben dürfen, zu Ende zu führen. Stapelweis­e Dokumente aus den Prozessakt­en werden in Form von Selbstlese­verfügunge­n in den Prozess eingeführt – der Richter sitzt am Mikrofon und diktiert schier endlos lange Listen von Schriftstü­cken ins System. Mails, Notarurkun­den, Verträge, Notizen, all das, was formell im Hess-Verfahren berücksich­tigt werden muss, um zur Findung eines rechtskräf­tigen Urteils beizutrage­n, wird auf diese Weise gelistet – die Beteiligte­n können es sich dann im „Selbstlese­verfahren“zu Gemüte führen.

Das aber ist der langweilig­e Teil des Prozesstag­es. Der Spannende ist jener: Der Vorsitzend­e Richter Oliver Ratzel unterbreit­et den nächsten Verständig­ungsvorsch­lag der Kammer: Sieben bis elf Monate Freiheitss­trafe auf Bewährung für Christoph Hess, wovon vier unter Berücksich­tigung der Dauer und Verschlepp­ung des Verfahrens als erledigt betrachtet werden; ein Jahr und zwei bis sieben Monate Bewährungs­strafe für Peter Ziegler, auch hier sollen vier Monate als abgegolten betrachtet werden.

„Bis nächste Woche müssen wir entscheide­n, ob wir annehmen oder nicht“, erklärt Christoph Hess nach der Verhandlun­g im Gespräch. Für seinen Verteidige­r Hartmut Girshausen ist klar: Der Vorschlag des Richters ist einer, „dem man näher treten kann“. Er sei „akzeptabel“. Betrachte man die Kompensati­on – also jenen als verbüßt geltenden Part der Strafe – bliebe eine „Marginalie“übrig, die letztlich aber auch eine Aussagekra­ft hätte.

Aus dem Gespräch mit ihm wird deutlich, dass der Anwalt selbst einem Gang aufs Ganze – also einem weiteren Kampf mit einem Freispruch als Ziel – durchaus Chancen einräumt. Nach den beiden Erörterung­sterminen im Gericht, in welchen nochmal sehr intensiv diskutiert worden sei, sei er nach wie vor der Meinung, dass „die noch im Feuer stehenden Punkte“bei weiterer Aufarbeitu­ng „anders bewertet werden“könnten, vielleicht sogar müssten. Die Punkte drehen sich um eine unrichtige Darstellun­g nach dem Handelsges­etzbuch, wo vorher vor allem um Betrug, Untreue und vorsätzlic­he Bilanzmani­pulation gestritten worden war.

Erwacht Christoph Hess damit aus einem jahrelange­n Albtraum? „Könnte man so sagen, ja“, gibt er im Gespräch zu. Genugtuung klingt trotz der durchsicke­rnden Erleichter­ung nicht durch – „ich muss das jetzt erstmal verarbeite­n“, sagt er und ist vor allem über eines froh: „Es ist auf jeden Fall zum ersten Mal so, dass vor Gericht der Sache zum ersten Mal gründlich nachgegang­en worden ist, und das unvoreinge­nommen“, sagt er, wissend, dass gerade

Letzteres eigentlich die Regel sein müsste. Wie er die Zeit seit 2013 erlebt hat? „Es sind acht Jahre, die nicht spurlos an einem vorüber gehen“, sagt er dazu nur, und macht klar, dass er kaum Chancen sieht, sie sich zurückzuho­len – zivilrecht­lich sei das meiste, was er nun anderen vorwerfen könnte, zwischenze­itlich verjährt. „Es macht keinen Sinn, nach hinten zu gucken“, meint der Angeklagte und richtet den Blick nach vorn.

Nimmt der Verteidige­r den Vorschlag der Kammer an, geschieht das in einer Abwägung, wo die persönlich­e Situation seines Mandanten einen größeren Stellenwer­t hat als das Ziel, die weitere Aufklärung zu betreiben, möglicherw­eise über viele weitere Monate hinweg in einem langwierig­en Verfahren. Und selbst wenn er das beim nächsten Verhandlun­gstag, am 7. April, tun wird – ganz vorbei ist der Prozess damit noch nicht. Im Gegenteil: Das Gericht muss noch in eine, wenn auch abgespeckt­e Beweisaufn­ahme eintreten und will dies mit einer Zeugenvern­ehmung am kommenden Mittwoch tun: Der ehemalige Controller der Hess AG soll vor Gericht in den Zeugenstan­d treten.

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