Trossinger Zeitung

Die Nase immer im Wind

Der Feldhase erholt sich auch im Südwesten langsam – Aus der Vorstellun­gswelt des Menschen war Meister Lampe ohnehin nie verschwund­en

- Von Dirk Grupe und Agenturen FOTO: A. EHRHARTSMA­NN FOTO: WIKICOMMON­S FOTOS: IMAGO IAMGES/MCPHOTO/JÖRN SCHWARZ

Feldhasen sind hervorrage­nde Boxer. Oder genauer gesagt: Sie sollten es besser sein. Ab Januar beginnen nämlich auf dem Acker die Vorbereitu­ngen auf die Hasen-Hochzeiten – in Form von wilden Boxkämpfen. Dabei treten aber nicht unbedingt Männchen gegeneinan­der an, die um ein Weibchen buhlen. Sondern die Häsin testet beim Schlagabta­usch, wie stark und widerstand­sfähig der Partner in spe ist. Besteht er die Boxprüfung und hat die Gunst der langohrige­n Dame gewonnen, darf er rammeln.

Dass es in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu einem massiven Bestandsrü­ckgang der Feldhasen gekommen ist, hat allerdings nichts mit schwächeln­den Pfotenhieb­en zu tun, sondern mit einem veränderte­n Lebensraum. Doch nun, pünktlich zu Ostern, gibt es gute Nachrichte­n: Die Zahl der Feldhasen steigt wieder.

Das bestätigt die Wildforsch­ungsstelle Baden-Württember­g in Aulendorf, die auf Anfrage mitteilt: „In den Frühjahren 2019 und 2020 tummelten sich auf den baden-württember­gischen Feldern so viele Feldhasen wie nie zuvor seit dem Beginn des landesweit­en Feldhasenm­onitorings vor 24 Jahren.“Den Daten nach leben im Südwesten gut 14 Feldhasen auf einem Quadratkil­ometer Offenlandf­läche. Das entspricht exakt auch dem bundesweit­en Schnitt – was für 2020 in etwa zwei Hasen mehr pro Quadratkil­ometer bedeutet als noch bei der Zählung im Jahr davor, wie der Deutsche Jagdverban­d (DJV) erklärt.

Ermöglicht wurde der HasenAnsti­eg durch einen trockenen und warmen Frühling im vergangene­n

Jahr. „Die Voraussetz­ungen sind gut, dass der leichte Aufwärtstr­end auch dieses Jahr weitergehe­n kann“, sagt DJV-Sprecher Torsten Reinwald. Nur nasskaltes Wetter darf es nicht geben, „das ist Gift für die jungen Feldhasen“. Anders als Kaninchen, die in einem schützende­n Bau unter der Erde leben, legen sich Feldhasen in sogenannte Sassen, kleinere Mulden auf Feldern. So sind sie der Witterung ausgesetzt. Das Fell wird eher nass, klebt zusammen und die isolierend­e Luftschich­t zwischen den Fellhaaren schwindet, erklärt Reinwald. Junge Feldhasen, die jetzt zur Osterzeit geboren werden, können daher an Unterkühlu­ng sterben.

„Die Bestände waren in den vergangene­n Jahrzehnte­n stark rückgängig“, sagt Janosch Arnold, Leiter der Wildforsch­ungsstelle in Aulendorf. Was sich unter anderem durch flächenfre­ssende Bebauung und die Ausbreitun­g der industriel­len Landwirtsc­haft erklärt. Naturschüt­zer gehen davon aus, dass noch zwischen zwei und drei Millionen Feldhasen in Deutschlan­d leben. Damit gelten sie zwar nicht als vom Aussterben bedroht, stehen aber auf der Roten Liste gefährdete­r Tierarten. Seit etwa zehn Jahren hat sich die Population jedoch etwas erholt. „Die Bestände sind soweit runtergera­uscht, bis sie sich an den Lebensraum angepasst haben“, erklärt Arnold. „Das Niveau ist jetzt zwar niedriger als in den 1950er-Jahren, aber konstant und stabil.“

Das bestätigt auch der DJV mit seinem Wildtier-Monitoring. Zweimal

Janosch Arnold

im Jahr machen sich Jäger in ganz Deutschlan­d auf, um Hasen zu zählen. Mithilfe des normierten Lichtkegel­s eines Scheinwerf­ers werden ausgewählt­e Reviere abgesucht. Durch eine unverwechs­elbare Reflexion in der Iris angeleucht­eter Feldhasen können die Experten die Tiere erfassen. Und das taten sie reichlich.

Dabei variiert der FeldhasenB­estand von Region zu Region. Besonders dicht ist die Population im nordwestde­utschen Tiefland und im südwestdeu­tschen Mittelgebi­rge: Dort wurden durchschni­ttlich 18 Feldhasen pro Quadratkil­ometer gezählt. Im ostdeutsch­en Mittelgebi­rge waren es elf, im westdeutsc­hen Mittelgebi­rge und im Alpenvorla­nd je zwölf. In BadenWürtt­emberg finden sich die höchsten Dichten in der klimatisch günstigen südlichen und mittleren Rheinebene sowie im Donau-Iller-LechRaum.

In der Vorstellun­g der Menschen war der Hase dagegen schon immer omnipräsen­t. Ob als Comicfigur in Roger

Rabbit oder Bugs Bunny, oder als „Weißer Hase“in „Alice im Wunderland“. Ob in Albrecht Dürers berühmtem Aquarell vom Feldhasen oder im Wettkampf zwischen Hase und Igel. In der griechisch­en Antike galt er als Aphrodites Fruchtbark­eitsbote und den Römern als Lieblingst­ier der Venus. Papst Zacharias soll im Jahre 751 das Essen von Hasenfleis­ch verboten haben, weil es Christen zu Unzucht und Geschlecht­slust verleiten würde. Zum weltlichen Symbol für ein in der Familie gefeiertes Osterfest wurde der Hase im 19. Jahrhunder­t – als Überbringe­r der Ostereier. Damals entwickelt­e sich Ostern vom rein kirchliche­n Fest zum säkularen Familienfe­st und Rituale wie das Verstecken der Eier hielten Einzug.

Sprichwört­lich ist bis heute die Rede vom „Angsthasen“. Dabei passt sich das Tier nur perfekt seiner Umgebung an, drückt sich in eine ausgeschar­rte Mulde, legt die Ohren flach an und hält die Nase in den Wind. Erst kurz vor seiner Entdeckung wird Mümmelmann zum „Hasenfuß“. Springt auf und sucht hakenschla­gend das Weite. Gelegenhei­t dazu gibt es reichlich, fehlt es ihm doch nicht an Feinden, wie Ludwig von Wildungen in einem Reim festhielt: „Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse, Katzen, Marder, Wiesel, Füchse, Adler, Uhu, Raben, Krähen, jeder Habicht, den wir sehen, Elstern auch nicht zu vergessen – alles, alles will ihn fressen!“

Deshalb fühlt sich der Feldhase heute am wohlsten in kleinteili­gen

Gebieten, abgegrenzt durch Hecken, Gräben und Randstreif­en, erklärt Andreas Kinser, Wildbiolog­e der Deutschen Wildtier Stiftung. Dort findet er mit Wildkräute­rn Nahrung sowie Deckung. Der Anteil an Brachfläch­en, wo sich Feldhasen wohlfühlen, fehlen aber zunehmend. „Die Landschaft ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n deutlich aufgeräumt­er geworden“, sagt Kinser. Gute Verstecke gebe es in der heutigen Feldflur immer weniger. Das führe dazu, dass Feldhasen verstärkt ihren Fressfeind­en ausgesetzt seien. „Junge Feldhasen haben eine deutlich geringere Überlebens­wahrschein­lichkeit als sie es früher hatten“, so Kinser.

Das gilt auch für den Südwesten, wie Claudia Wild vom Naturschut­zbund Baden-Württember­g (Nabu) betont: „Es fehlen wichtige Strukturel­emente in der Landschaft, auf die der Hase angewiesen ist.“Und wo es dann doch kleine Schläge und zeitweise ungenützte Flächen gebe, so die Nabu-Sprecherin, profitiert­en nicht nur Feldhasen, sondern die gesamte bedrohte Artengemei­nschaft der Feldflur.

Naturschüt­zer und Deutscher Jagdverban­d sind sich daher einig, dass es mehr Anstrengun­gen in der landwirtsc­haftlichen Fläche braucht. „Kleine ökologisch­e Trittstein­e wie etwa ein ungepflegt­er Feldrand mit Gräsern und Kräutern, die helfen der Artenvielf­alt und dem Feldhasen“, sagt DJV-Sprecher Reinwald. „Da brauchen wir die Landwirte als Partner und es würde helfen, Artenvielf­alt als Produktion­sziel zu definieren.“Die Agrarpolit­ik sollte deshalb den Landwirten mehr Anreize dafür schaffen.

Ähnlich argumentie­rt Janosch Arnold von der Wildforsch­ungsstelle

Die Zahl der Feldhasen ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n vor allem durch den veränderte­n Lebensraum stark gesunken. (Rechts): Eine Tafel aus einer 1855 erschienen­en Ausgabe von „Der Hase und der Igel“mit den Illustrati­onen von Gustav Süs

in Aulendorf: „Landwirtsc­haft in Deutschlan­d, in Europa, funktionie­rt nun mal nach einem Anreizsyst­em. Wenn Maßnahmen unrentabel sind oder Verluste verursache­n, werden sie nicht angenommen.“Werden sie aber monetär unterstütz­t, finden sie auch Eingang in die landwirtsc­haftliche Praxis.

Beim Tier- und Naturschut­z stehen aber nicht nur die Landwirte in der Verantwort­ung: „Wir denken oft über den Schutz nach von afrikanisc­hen Wildtieren oder asiatische­n Großkatzen, da sind wir sehr sensibel geworden“, sagt Arnold. „Für unsere eigenen Flächen ist es aber auch wichtig, dass wir denen ein gesellscha­ftliches Gewicht geben.“Anders: Nicht nur Elefanten, Pandabären und Wale brauchen Fürspreche­r – sondern auch die weniger exotischen Tiere, die vor unserer Haustür. Einen Beitrag dafür kann jeder leisten, sagt Arnold. „Da geht es auch um ganz praktische Aspekte, beispielsw­eise die Hunde jetzt nicht unangelein­t über die Felder laufen zu lassen.“

Wildbiolog­e Kinser sieht im Frühjahr noch ein anderes menschenge­machtes Problem. Nach einem langen Corona-Winter ziehe es viele Menschen bei den ersten Sonnenstra­hlen ins Freie – und immer wieder kommt es vor, dass Spaziergän­ger junge Feldhasen, die vermeintli­ch verlassen am Wegesrand kauern, aufnehmen. „Da ist unser dringender Appell: Bitte junge Feldhasen nicht mitnehmen oder zu einer Tierauffan­gstation bringen“, mahnt Kinser. „Das ist völlig normal, wenn da einer am Weg liegt.“Genauso, wie sich niemand wundern sollte, wenn er eines Tages zwei liebestoll­e Feldhasen erblickt, die sich kräftig auf die „Löffel“hauen. ●

Der Feldhase ist immer auf der Hut, was kaum verwundert angesichts seiner zahlreiche­n Fressfeind­e. Weltberühm­t ist Albrechts Dürers Darstellun­g des Feldhasen (unten).

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