Die Nase immer im Wind
Der Feldhase erholt sich auch im Südwesten langsam – Aus der Vorstellungswelt des Menschen war Meister Lampe ohnehin nie verschwunden
Feldhasen sind hervorragende Boxer. Oder genauer gesagt: Sie sollten es besser sein. Ab Januar beginnen nämlich auf dem Acker die Vorbereitungen auf die Hasen-Hochzeiten – in Form von wilden Boxkämpfen. Dabei treten aber nicht unbedingt Männchen gegeneinander an, die um ein Weibchen buhlen. Sondern die Häsin testet beim Schlagabtausch, wie stark und widerstandsfähig der Partner in spe ist. Besteht er die Boxprüfung und hat die Gunst der langohrigen Dame gewonnen, darf er rammeln.
Dass es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem massiven Bestandsrückgang der Feldhasen gekommen ist, hat allerdings nichts mit schwächelnden Pfotenhieben zu tun, sondern mit einem veränderten Lebensraum. Doch nun, pünktlich zu Ostern, gibt es gute Nachrichten: Die Zahl der Feldhasen steigt wieder.
Das bestätigt die Wildforschungsstelle Baden-Württemberg in Aulendorf, die auf Anfrage mitteilt: „In den Frühjahren 2019 und 2020 tummelten sich auf den baden-württembergischen Feldern so viele Feldhasen wie nie zuvor seit dem Beginn des landesweiten Feldhasenmonitorings vor 24 Jahren.“Den Daten nach leben im Südwesten gut 14 Feldhasen auf einem Quadratkilometer Offenlandfläche. Das entspricht exakt auch dem bundesweiten Schnitt – was für 2020 in etwa zwei Hasen mehr pro Quadratkilometer bedeutet als noch bei der Zählung im Jahr davor, wie der Deutsche Jagdverband (DJV) erklärt.
Ermöglicht wurde der HasenAnstieg durch einen trockenen und warmen Frühling im vergangenen
Jahr. „Die Voraussetzungen sind gut, dass der leichte Aufwärtstrend auch dieses Jahr weitergehen kann“, sagt DJV-Sprecher Torsten Reinwald. Nur nasskaltes Wetter darf es nicht geben, „das ist Gift für die jungen Feldhasen“. Anders als Kaninchen, die in einem schützenden Bau unter der Erde leben, legen sich Feldhasen in sogenannte Sassen, kleinere Mulden auf Feldern. So sind sie der Witterung ausgesetzt. Das Fell wird eher nass, klebt zusammen und die isolierende Luftschicht zwischen den Fellhaaren schwindet, erklärt Reinwald. Junge Feldhasen, die jetzt zur Osterzeit geboren werden, können daher an Unterkühlung sterben.
„Die Bestände waren in den vergangenen Jahrzehnten stark rückgängig“, sagt Janosch Arnold, Leiter der Wildforschungsstelle in Aulendorf. Was sich unter anderem durch flächenfressende Bebauung und die Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft erklärt. Naturschützer gehen davon aus, dass noch zwischen zwei und drei Millionen Feldhasen in Deutschland leben. Damit gelten sie zwar nicht als vom Aussterben bedroht, stehen aber auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten. Seit etwa zehn Jahren hat sich die Population jedoch etwas erholt. „Die Bestände sind soweit runtergerauscht, bis sie sich an den Lebensraum angepasst haben“, erklärt Arnold. „Das Niveau ist jetzt zwar niedriger als in den 1950er-Jahren, aber konstant und stabil.“
Das bestätigt auch der DJV mit seinem Wildtier-Monitoring. Zweimal
Janosch Arnold
im Jahr machen sich Jäger in ganz Deutschland auf, um Hasen zu zählen. Mithilfe des normierten Lichtkegels eines Scheinwerfers werden ausgewählte Reviere abgesucht. Durch eine unverwechselbare Reflexion in der Iris angeleuchteter Feldhasen können die Experten die Tiere erfassen. Und das taten sie reichlich.
Dabei variiert der FeldhasenBestand von Region zu Region. Besonders dicht ist die Population im nordwestdeutschen Tiefland und im südwestdeutschen Mittelgebirge: Dort wurden durchschnittlich 18 Feldhasen pro Quadratkilometer gezählt. Im ostdeutschen Mittelgebirge waren es elf, im westdeutschen Mittelgebirge und im Alpenvorland je zwölf. In BadenWürttemberg finden sich die höchsten Dichten in der klimatisch günstigen südlichen und mittleren Rheinebene sowie im Donau-Iller-LechRaum.
In der Vorstellung der Menschen war der Hase dagegen schon immer omnipräsent. Ob als Comicfigur in Roger
Rabbit oder Bugs Bunny, oder als „Weißer Hase“in „Alice im Wunderland“. Ob in Albrecht Dürers berühmtem Aquarell vom Feldhasen oder im Wettkampf zwischen Hase und Igel. In der griechischen Antike galt er als Aphrodites Fruchtbarkeitsbote und den Römern als Lieblingstier der Venus. Papst Zacharias soll im Jahre 751 das Essen von Hasenfleisch verboten haben, weil es Christen zu Unzucht und Geschlechtslust verleiten würde. Zum weltlichen Symbol für ein in der Familie gefeiertes Osterfest wurde der Hase im 19. Jahrhundert – als Überbringer der Ostereier. Damals entwickelte sich Ostern vom rein kirchlichen Fest zum säkularen Familienfest und Rituale wie das Verstecken der Eier hielten Einzug.
Sprichwörtlich ist bis heute die Rede vom „Angsthasen“. Dabei passt sich das Tier nur perfekt seiner Umgebung an, drückt sich in eine ausgescharrte Mulde, legt die Ohren flach an und hält die Nase in den Wind. Erst kurz vor seiner Entdeckung wird Mümmelmann zum „Hasenfuß“. Springt auf und sucht hakenschlagend das Weite. Gelegenheit dazu gibt es reichlich, fehlt es ihm doch nicht an Feinden, wie Ludwig von Wildungen in einem Reim festhielt: „Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse, Katzen, Marder, Wiesel, Füchse, Adler, Uhu, Raben, Krähen, jeder Habicht, den wir sehen, Elstern auch nicht zu vergessen – alles, alles will ihn fressen!“
Deshalb fühlt sich der Feldhase heute am wohlsten in kleinteiligen
Gebieten, abgegrenzt durch Hecken, Gräben und Randstreifen, erklärt Andreas Kinser, Wildbiologe der Deutschen Wildtier Stiftung. Dort findet er mit Wildkräutern Nahrung sowie Deckung. Der Anteil an Brachflächen, wo sich Feldhasen wohlfühlen, fehlen aber zunehmend. „Die Landschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich aufgeräumter geworden“, sagt Kinser. Gute Verstecke gebe es in der heutigen Feldflur immer weniger. Das führe dazu, dass Feldhasen verstärkt ihren Fressfeinden ausgesetzt seien. „Junge Feldhasen haben eine deutlich geringere Überlebenswahrscheinlichkeit als sie es früher hatten“, so Kinser.
Das gilt auch für den Südwesten, wie Claudia Wild vom Naturschutzbund Baden-Württemberg (Nabu) betont: „Es fehlen wichtige Strukturelemente in der Landschaft, auf die der Hase angewiesen ist.“Und wo es dann doch kleine Schläge und zeitweise ungenützte Flächen gebe, so die Nabu-Sprecherin, profitierten nicht nur Feldhasen, sondern die gesamte bedrohte Artengemeinschaft der Feldflur.
Naturschützer und Deutscher Jagdverband sind sich daher einig, dass es mehr Anstrengungen in der landwirtschaftlichen Fläche braucht. „Kleine ökologische Trittsteine wie etwa ein ungepflegter Feldrand mit Gräsern und Kräutern, die helfen der Artenvielfalt und dem Feldhasen“, sagt DJV-Sprecher Reinwald. „Da brauchen wir die Landwirte als Partner und es würde helfen, Artenvielfalt als Produktionsziel zu definieren.“Die Agrarpolitik sollte deshalb den Landwirten mehr Anreize dafür schaffen.
Ähnlich argumentiert Janosch Arnold von der Wildforschungsstelle
Die Zahl der Feldhasen ist in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch den veränderten Lebensraum stark gesunken. (Rechts): Eine Tafel aus einer 1855 erschienenen Ausgabe von „Der Hase und der Igel“mit den Illustrationen von Gustav Süs
in Aulendorf: „Landwirtschaft in Deutschland, in Europa, funktioniert nun mal nach einem Anreizsystem. Wenn Maßnahmen unrentabel sind oder Verluste verursachen, werden sie nicht angenommen.“Werden sie aber monetär unterstützt, finden sie auch Eingang in die landwirtschaftliche Praxis.
Beim Tier- und Naturschutz stehen aber nicht nur die Landwirte in der Verantwortung: „Wir denken oft über den Schutz nach von afrikanischen Wildtieren oder asiatischen Großkatzen, da sind wir sehr sensibel geworden“, sagt Arnold. „Für unsere eigenen Flächen ist es aber auch wichtig, dass wir denen ein gesellschaftliches Gewicht geben.“Anders: Nicht nur Elefanten, Pandabären und Wale brauchen Fürsprecher – sondern auch die weniger exotischen Tiere, die vor unserer Haustür. Einen Beitrag dafür kann jeder leisten, sagt Arnold. „Da geht es auch um ganz praktische Aspekte, beispielsweise die Hunde jetzt nicht unangeleint über die Felder laufen zu lassen.“
Wildbiologe Kinser sieht im Frühjahr noch ein anderes menschengemachtes Problem. Nach einem langen Corona-Winter ziehe es viele Menschen bei den ersten Sonnenstrahlen ins Freie – und immer wieder kommt es vor, dass Spaziergänger junge Feldhasen, die vermeintlich verlassen am Wegesrand kauern, aufnehmen. „Da ist unser dringender Appell: Bitte junge Feldhasen nicht mitnehmen oder zu einer Tierauffangstation bringen“, mahnt Kinser. „Das ist völlig normal, wenn da einer am Weg liegt.“Genauso, wie sich niemand wundern sollte, wenn er eines Tages zwei liebestolle Feldhasen erblickt, die sich kräftig auf die „Löffel“hauen. ●
Der Feldhase ist immer auf der Hut, was kaum verwundert angesichts seiner zahlreichen Fressfeinde. Weltberühmt ist Albrechts Dürers Darstellung des Feldhasen (unten).